Krisenzeiten

Gesund leben fördert das Wachstum

Von Uli Müller |
Wenn es der Wirtschaft schlecht geht, analysieren Ökonomen die Entwicklung der Importe, der Exporte, der Investitionen und der Arbeitslosigkeit. Aber wie es den Menschen in Krisenzeiten geht - darüber informieren sie nicht annähernd so ausführlich.
Diese Lücke füllt das neue Buch von David Stuckler und Sanjay Basu mit einer wahren Flut an Fakten. Die beiden Gesundheitsökonomen beschäftigen sich bereits seit zehn Jahren mit der Frage, welche Entscheidungen Regierungen in Krisenzeiten treffen, und was daraus für die Gesundheit der Menschen folgt. Sie schreiben:
"Letztlich haben diese Maßnahmen einen größeren Einfluss darauf als irgendwelche Pillen, Operationen oder Krankenversicherungen."
Eine ebenso überraschende wie starke These. Stuckler und Basu recherchierten auf fünf Kontinenten, erstellten eigene Studien und stöberten in Archiven. Sie werteten Daten über den Gesundheitszustand der Menschen aus. Der Zeitraum umfasst die Rezessionen der vergangenen 100 Jahre. Dabei stießen sie auf ein Muster: Die Auswirkungen von Konjunkturprogrammen können segensreich sein, wenn sie passgenau entworfen werden. Aber die Folgen von Sparprogrammen sind immer negativ. Ihr Buch widmen sie der Überprüfung dieses Musters. Ihre zentrale Erkenntnis:
"Es geht bei wirtschaftlichen Entscheidungen nicht nur um Wachstumsraten und Defizite. Es geht um Leben und Tod."
Menschen in Ländern mit ausgebauten sozialen Sicherungssystemen kämen besser durch Krisen als jene in Ländern mit wenig Absicherung. Ihre Forschungen belegen, so argumentieren sie, dass in schwachen Zeiten nicht auch noch gespart werden darf wie in Indonesien oder Griechenland. Notwendig seien kluge Investitionen. Die Autoren sind überzeugt, dass selbst das schlimmste ökonomische Desaster keine negativen Folgen für die Gesundheit haben muss. Vielmehr können politische Entscheidungen den Gesundheitszustand der Menschen sogar verbessern und gleichzeitig die wirtschaftliche Erholung beschleunigen.
Wie Sozialprogramme die Gesundheit fördern
Ein beeindruckendes Beispiel sind die USA während der Weltwirtschaftskrise. Nach dem Börsencrash von 1929 lebten drei von fünf Amerikanern unter der Armutsgrenze. Die Zahl der Selbstmorde stieg. Das änderte sich, als Franklin D. Roosevelt Präsident wurde. Im Wahlkampf hatte er Sozialprogramme versprochen, die Arbeitern und Farmern über die Folgen der Krise hinweghelfen sollten. Nach seiner Ernennung beschloss sie der Kongress.
Cover: "Sparprogramme töten" von David Stuckler und Sanjay Basu
Cover: "Sparprogramme töten" von David Stuckler und Sanjay Basu© Verlag Wagenbach
Aber die Umsetzung lief nicht in allen Landesteilen gleich. In Bundesstaaten, deren Gouverneure die Reform aktiv vorantrieben, starben weniger Kinder. Infektionskrankheiten und Selbstmorde gingen zurück. Zum Beispiel in Louisiana. Aber nicht in Georgia oder Kansas. Dort blockierten die Gouverneure den New Deal.
Heute sind die Krisenerfahrungen besonders schmerzvoll in Griechenland. Als Bedingung für neue Hilfskredite verordnete die Troika aus Europäischer Union, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfond immer wieder hohe Auflagen zur Haushaltskürzung. Deshalb bauten die griechischen Politiker mehrere Gesundheitsprogramme ab.
"In letzter Zeit haben wir immer wieder Engpässe; mal fehlen uns Spritzen, mal Venenkatheter, mal Mullbinden. Und was wir bekommen, bekommen wir in kleinen Mengen. Vor ein paar Wochen wussten wir nicht mehr weiter, wir hatten keine Einweghandschuhe mehr, diese Tage haben wir nicht genügend Spritzen."
Viele Griechen können sich Arztbesuche nicht mehr leisten. HIV wurde wieder zum Problem, weil Präventionsprogramme gestrichen wurden. Die Zahl der Selbstmorde stieg. Sparen, davon sind Basu und Stuckler überzeugt, bringt Angst und Leid. Einen anderen Weg wählten die Isländer. Auch sie traf die weltweite Krise im Jahr 2007 besonders hart. Für die Isländer war es die schwerste Banken- und Immobilienkrise ihrer Geschichte.
Sparen bringt Angst und Leid
"40.000 Menschen haben auf Unterschriftenlisten eine Volksabstimmung verlangt – das ist ein Fünftel aller Wahlberechtigten – und auch alle Meinungsfragen deuten darauf hin: Die Mehrheit der Bürger Islands will in dieser Frage ein Mitspracherecht. Ich habe mich deshalb dafür entschieden, gemäß dem 26. Artikel der Verfassung eine Volksabstimmung über diesen Konflikt einzuleiten."
Sie entschieden sich per Referendum gegen das Sparen. Sie beschlossen: Das isländische Volk wird die Schulden der Banken nicht kollektiv zurückzahlen, und die Sozialprogramme werden nicht angetastet. Die Regierung gab sogar noch mehr Geld aus, damit weniger Isländer ihre Häuser verloren und Bedürftige besser unterstützt wurden. Islands Wirtschaft erholte sich schnell. Die Griechen dagegen sitzen noch immer in der Rezessionsfalle. Echte Besserung ist nicht in Sicht.
Die Beispiele zeigen, wie unterschiedlich die Politiker einzelner Länder auf ökonomische Schwächephasen reagieren. Für die Autoren besteht kein Zweifel, welche Strategie die bessere ist:
"Aus unseren Daten geht hervor, dass sich Gesundheitsförderung und Schuldenabbau nicht ausschließen. Um beides zu erreichen, muss man allerdings in die richtigen staatlichen Programme investieren."
Solche Programme kosten erst einmal Geld, erhöhen also die Schulden. Kritikern halten sie entgegen, dass Staaten aus den Schulden herauswachsen können.
Ein Euro für die Gesundheit bringt drei Euro Wachstum
Kredite für wachstumsfördernde Maßnahmen kurbeln die Geschäfte der Unternehmen an. Die zahlen dann mehr Steuern. Der Staat kann Schulden einfacher zurückzahlen. Soweit klingt Stucklers und Basus Argumentation bekannt. Ungewöhnlich ist ihr konzentrierter Blick auf die Frage der Gesundheit.
"Im Gesundheitsbereich schafft jeder vom Staat investierte Euro mehr als drei Euro an zusätzlichem Wirtschaftswachstum. Wir sollten die Sparexperimente beenden und stattdessen evidenzbasierte Maßnahmen ergreifen, um die Gesundheit der Menschen in schweren Zeiten zu schützen."
Erreichbar wäre das nur, wenn die Menschen wissen, welche Maßnahmen welche Folgen haben. Erst dann könnten sie die Entscheidungen von Politikern nachvollziehen, für Fehler Rechenschaft von ihnen fordern und sich für ihre eigenen Ziele einsetzen.
Das analytische Vorgehen von Stuckler und Basu überzeugt erst einmal. Bei Sterbestatistiken zum Beispiel berücksichtigen sie sogar den Rückgang der Verkehrstoten, weil die Menschen sich weniger Benzin leisten können und deshalb weniger fahren. Aber leider gelingt es ihnen nicht, einen umfassenden Zusammenhang herzustellen. Das liegt daran, dass ihr Umgang mit Zahlen nicht immer nachvollziehbar ist. Oft fehlen die Bezugsgrößen, um eine genaue Vorstellung entwickeln zu können. Präsentierte Zahlen bleiben leblos. Das ist schade. Denn so interessant ihr Ansatz ist: kritische Köpfe können sie damit kaum überzeugen.
Dieses Buch ist dennoch wichtig, weil es den Blickwinkel auf Wirtschaftskrisen verändert. Es kann dabei helfen, der menschlichen Dimension jene Rolle zu geben, die ihr gebührt.
David Stuckler, Sanjay Basu: Sparprogramme töten. Die Ökonomisierung der Gesundheit
Verlag Wagenbach, Berlin 2014
224 Seiten, 19,90 Euro, auch ebook