Kristen Gallerneaux: "High Static Dead Lines"

Kontakt mit den Klängen des Jenseits

06:31 Minuten
Dirt Synth by Kristen Gallerneaux.
Dirt Synth by Kristen Gallerneaux. © Strange Attractor / MIT Press / Kirsten Gallerneaux
Von Hartwig Vens |
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Bei der Entstehung neuer Medien-Apparate wie Fotokamera, Plattenspieler oder Radio hoffte man, mit ihrer Hilfe mit dem Jenseits in Kontakt treten zu können. Über „Klanggespenster und das Jenseits der Objekte“ ist jetzt ein Buch erschienen.
Mit der Geschichte von Musik, Tonaufzeichnung und anderen Medientechnologien ist auch die des Übernatürlichen verbunden. Als Fotografie, Telegrafie, Telefon und Phonograph erfunden wurden, war es auch der Kontakt ins Jenseits, der Erfinder wie Thomas Edison antrieb.
Über das Paranormale in Sound- und Mediengeschichte ist jetzt ein Buch erschienen, "High Static Dead Lines" heißt es, besser übersetzbar ist der Untertitel: "Klanggespenster und das Jenseits der Objekte". Geschrieben hat es Kristen Gallerneaux, Künstlerin, Volkskundlerin und Kuratorin für Technologie- und Mediengeschichte am Henry-Ford-Museum in Detroit. Herrscherin über eine der renommiertesten Sammlungen der Technologiegeschichte weltweit.

Klang aus Dreck

Ein Kapitel in "High Static, Dead Lines" dreht sich um den Dirt Synth. "In meiner künstlerischen Arbeit habe ich einen Analogsynthesizer konstruiert, der spezialisiert darauf ist, externen Sound zu prozessieren. Zum Beispiel kann er Klang aus Dreck gengerieren. Ich habe eine große Sammlung Bodenproben von Orten, an denen es angeblich spukt. Was mich dabei interessiert ist, die Stimmen unbeseelter Materialien herauszulassen, so dass sich rationaler Stoff irrational verhält. Wenn man so ein Dreck-Sample sonifiziert, hört man nur das harsche Britzeln der elektrischen Ladung. Aber das kann man verwenden, um etwas Schönes daraus zu machen."
Der Dirt Synth von Kristen Gallerneaux bei der Arbeit.
Der Dirt Synth von Kristen Gallerneaux bei der Arbeit© Kristen Gallerneaux
Dieses Projekt Dirt Synth ist exemplarisch für das Buch und auch für die Autorin. Alles oszilliert zwischen Wissenschaft, Kunst und paranormalen Phänomenen. Man könnte das als Hokuspokus abtun. Aber Kristen Gallerneaux ist als Kuratorin der Sammlung für Kommunikations- und Informationsechnologie am Henry-Ford-Museum in Detroit eine wissenschaftliche Autorität – keine Esoterikerin.
Das Institut ist auch bekannt als Edison-Institut für amerikanische Innovation. Ford war ein Sammler von Objekten amerikanischer Erfindungen und Technologie und eng mit Edison befreundet. Und hier kommt schon das Übersinnliche ins Spiel. Edison hat seinen Phonografen, also einen Plattenspieler, mit dem aufgezeichnet und abgespielt werden konnte, nicht zuletzt für den Kontakt zu Verstorbenen gebaut. Das Rationale und das Irrationale gingen also schon bei Amerikas berühmtesten Erfinder Hand in Hand.

Spiritistische Familienprägung

Am erhellendsten für das Verständnis dieses Buches ist Kristen Gallerneaux' Herangehensweise als Volkskundlerin. Sie will die Gespenster und Geister und die Séeancen, mit denen sie herbeigerufen werden, nicht als Aberglauben entlarven. Sie beschreibt und untersucht die Spukgeschichten als Folklore und aus persönlicher Betroffenheit. Denn die Pointe ist, dass sie selbst Teil einer spiritistischen Familie ist. Ihre Mutter und Großmutter sind selbst Medien gewesen und haben in ihrem Haus regelmäßig Séeancen veranstaltet.
Porträt Kristen Gallerneaux in rotem Licht.
Porträt Kristen Gallerneaux.© Kristen Gallerneaux
Am Anfang verschiedener Kapitel stehen persönliche Reflexionen, die sie aus ihren eigenen Erinnerungen und ähnlichen aus der lokalen Folklore montiert hat, und die in einem Ton von Traumerzählung geschrieben sind. Wie die Ich-Erzählerin sich etwa schon in frühester Kindheit angeschlichen hat, um die Séeancen, die unten im Wohnzimmer stattfanden, zu belauschen.

Das schwarze Schaf der Spukgeschichte

Ihr besonderes Faible gilt Musik und Geräuschen - Klopfgeister, autonom klappernde Schubladen, unerklärliche Drone-Phänomene, die ganze Ortschaften heimsuchen. "Audio-basierter Spuk ist das schwarze Schaf in der Spuk-Historie", sagt sie. "Die Menschen sehnen sich nach visuellen Erlebnissen: Medien, die Ectoplasma ausspucken, doppelbelichtete Fotos von Geistern – aber was die Leute eigentlich am unheimlichsten finden und ich am faszinierendsten, sind die fragmentarischen und zusammenhanglosen Spukerscheinungen. Und die passieren eben auf der Sound-Ebene."
Ansonsten geht es in "High Static, Dead Lines" um Innvoationen wie Miniaturradios in Pillenform, die man verschlucken kann; die Entwicklung vom Maser, der auf Mikrowellen basierte, zum lichtbasierten Laser und von dort zur Sprachsynthese. Um das Kapern von Fernsehprogrammen etwa durch die Cyberpunk-Cartoonfigur Max Headroom; um die Erfindung des Moog-Synthesizers; um einen riesigen Telefunken Sendemast der unentdeckt mitten im Zweiten Weltkrieg auf US-Gebiet errichtet wurde, und der natürlich zur Spionage gedient hat. Das Buch ist auch eine Compilation aus dem Obskuritäten-Archiv. Führt manchmal ins Nichts, ist aber immer interessant und unterhaltsam.
Gallerneauxs Stil ist teils assoziativ und weiß um das coole Wissen, das er transportiert. Das ist anstrengend zu lesen, aber auch eine große Freude.

Kristen Gallerneaux: "High Static Dead Lines"
derzeit nur auf Englisch
Strange Attractor / MIT Press, 2018
264 Seiten, 22 US-Dollar

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