Kritik am Modell der Patchworkfamilie

20.09.2011
In ihrem neuen Buch geht Melanie Mühl der Frage nach, ob die Patchworkfamilie als Idee für unser Leben funktionieren kann. Die FAZ-Redakteurin nutzt ihre Kritik am Bild des Familienmodells als einen Aufhänger für eine weitergehende Medienschelte und Kulturkritik.
Streitschriften sind sublimierte Äußerungen von Wutbürgern. Oder solchen, die sich wie diese aufführen wollen, ohne jedoch Gefahr zu laufen, dass Ordnungskräfte sie aus dem Weg räumen. Manchmal entspringen Streitschriften auch dem Bedürfnis, Diskurshoheit zu behaupten. Oder der Sehnsucht, in Talkshows eingeladen zu werden.

Das Klima in den Räumen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) scheint dieser Sehnsucht besonders förderlich zu sein. Ihr Herausgeber Frank Schirrmacher prangerte in seiner Streitschrift "Der Methusalem Komplex" die Überalterung unserer Gesellschaft an. Feuilletonchef Patrick Bahners entlarvte vor kurzem Islamgegner als Panikmacher. Und nun knöpft sich die FAZ-Redakteurin Melanie Mühl mal so richtig die Patchworkfamilie vor.

Patchwork als Familienmodell sei modern, lässig, cool und unkonventionell behaupteten die Medien seit einigen Jahren – so Melanie Mühl. Dank "der Medien" kennt sich die Autorin in Patchworkfamilien aus: in Vorabendserien, bei Heidi Klum, Boris Becker, Til Schweiger, Madonna und der Familie des Bundespräsidenten Wulff. Was sie dort zu sehen bekommt, wurmt sie.

Alles Lüge, schreibt sie empört und verweist auf das Märchen von Aschenputtel: "Die Stiefmutter ist ein Eindringling, bei den Kindern ruft sie reflexartigen Widerstand hervor." Ebenso negativ wirke sich ein Stiefvater, "der im Schlafanzug frühstückt und auch sonst keine Manieren hat", auf Scheidungskinder aus - die seien stärker suizid- und depressionsgefährdet als Kinder aus klassischen Familien. So wird aus der Kritik an einer modernen Form des Zusammenlebens - über deren Gelingen oder Misslingen jeweils im Einzelfall zu entscheiden wäre - die Klage über das allgemeine Los von Scheidungskindern. Melanie Mühl ist ein solches.

Die Autorin springt von einem Thema zum nächsten, sie verwischt dabei ihre Argumentationslinien. Kritik am Bild der Patchworkfamilie ist nur ein Aufhänger. Darunter: Medienschelte (medienwirksam) und verquaste Kulturkritik. Mühl beklagt den Verlust starker Vaterfiguren, solche, die einen zum Rafting mitnehmen, des Jenseitsglaubens und den der Liebe im Großen und Ganzen.

Sie prangert Wohlstandsverwahrlosung und Erziehungswahnsinn an, die immer stärkere Ausbreitung des Narzissmus in unserer Gesellschaft, die Familienpolitik. Und die hohe Zahl von Geburten per Kaiserschnitt. Verantwortlich dafür macht sie Frauen, "die eine Schwangerschaft auf das Nötigste reduzieren", nicht jedoch medizinische Notwendigkeiten oder den Abrechnungsmodus von Krankenhäusern.

Melanie Mühl sagt gerne "wir" und "uns". Sie suggeriert anmaßend ein gleichförmiges Leserkollektiv. Auch die Familien, die sie schildert, ähneln sich: Menschen, die medienmanipuliert ihr Leben dem Konsum, der Freiheit und Selbstoptimierung widmen, die liebesunfähig und gefühllos sind, deshalb alle paar Jahre ihre Partner wechseln und die Kinder zum Hockey, ins französische Sommercamp und, oder zum Reiten schicken. Ansonsten aber keine Empathie für sie aufbringen.

Das Buch kommt gesellschaftskritisch daher, ist aber zusammengerührt aus Behauptungen, Allgemeinplätzen, Phrasen und Klischees. Alles zu finden in psychologischen Ratgebern, Feuilletons, Lifestyle- und Frauenmagazinen. Zahlen, Untersuchungen, je nach Belieben wird auch ein bisschen Erich Fromm oder Konrad Lorenz zitiert, Monika Maron, Niklas Luhmann sowie die "Leiterin des Jugendamtes Steglitz-Zehlendorf". Die Argumentation der Autorin wird dadurch nicht kohärent. Ihre Streitlust wirkt wie die einer Mutter, die den Latte Macchiato-Halter am Kinderwagen vermisst.

Besprochen von Carsten Hueck

Melanie Mühl: "Die Patchwork Lüge. Eine Streitschrift"
Hanser Verlag, München 2011
171 Seiten, 16,90 Euro
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