Stereotypes Bild und eine fatale Wortwahl
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Die aktuelle Ausgabe von "Spiegel Geschichte“ steht wegen ihrer Darstellung von Juden auf dem Titel in der Kritik. Damit würden Stereotype genährt, so der Vorwurf. Die Schriftstellerin Mirna Funk kritisiert sowohl Bildauswahl als auch Untertitel.
Problematisch bei dem Titelblatt der aktuellen Ausgabe von "Spiegel Geschichte" sei nicht nur das Foto, das nur eine von vielen Varianten des früheren jüdischen Lebens in Deutschland zeige, sagt die jüdische Schriftstellerin Mirna Funk. Auch der Untertitel "Die unbekannte Welt nebenan" treffe nicht zu. Die Wortwahl sei fatal und hätte nicht sein dürfen.
"Weder lebten früher, noch leben heute Juden 'nebenan'. Sie waren insbesondere vor dem Zweiten Weltkrieg und auch schon im Ersten Weltkrieg Teil der Gesellschaft. Sie waren assimiliert, feierten Weihnachten und Chanukka zusammen. Auch die Juden in der Diaspora heute sind ganz normal in das nicht-jüdische Leben integriert. Sie leben mit und unter Nicht-Juden, arbeiten und sprechen mit ihnen."
Die Vielfalt jüdischen Lebens nicht dargestellt
Funk glaubt, dass sich die wenigsten Deutschen mit dem lebendigen Judentum heutzutage auskennen. "Wenn der Spiegel aber mit dieser Ausgabe versucht hat, dem entgegenzuwirken, ist das gewählte Bild kontraproduktiv. Es zeigt nämlich kein lebendiges Judentum." Dargestellt sind zwei traditionell gekleidete Ostjuden aus den 20er-Jahren, wie es sie im Berliner Scheunenviertel gab.
"Das ist aber nur ein Teil der sehr vielfältigen Geschichte der Juden. Außerdem ist es keine reine Geschichtsausgabe, es geht auch um das jüdische Leben heute. Man muss sich deswegen fragen, was man sich beim 'Spiegel' bei der sehr stereotypen Bildauswahl gedacht hat."
Die jüdische Gemeinde fühlt sich weder gesehen noch erkannt
Man hätte ein Bild wählen können, dass die Diversität des Judentums zeige, sagt Funk. "Diese Diversität ist sehr groß und orthodoxe Juden sind nur ein ganz kleiner Teil."
Man hätte auch ein Heft von Juden über Juden machen können, das hätte dann besser die Unterschiedlichkeit der jüdischen Lebensentwürfe repräsentiert. "Die Aufregung in der jüdischen Gemeinde beruht nicht auf Dramatisierung oder Hysterie, sondern wir fühlen uns nicht gesehen und nicht erkannt. Genau das ist das Problem."
(rja)