"Reiner Stimmenfang"
Der Wirtschaftsjournalist Klaus Weinert sieht die AfD auf einem gefährlichen Weg. Parteichef Bernd Lucke und seine Mitstreiter versprechen eine heile Welt ohne Euro - und ignorieren die möglichen Folgen einer Rückkehr zur D-Mark.
Vor 100 Jahren war der Erste Weltkrieg sechs Wochen alt. Es gab nicht nur die Schlacht auf den Feldern, sondern auch die Schlacht der Worte. An der Propaganda waren viele Intellektuelle beteiligt, besonders auch deutsche Professoren, die die deutsche Kultur des Geistes, des Ordnungssinns und des Pflichtgefühls verteidigten - gegenüber der Zivilisation des Westens, der Freiheit und Demokratie.
Hochschullehrer hatten in Deutschland schon immer ein hohes Ansehen. Sie werden gern in Talkshows eingeladen, weil die Redaktion hofft, dass sie ideologische Argumente von sicherem Wissen unterscheiden. In den Sozialwissenschaften, also auch der Ökonomie, spielen andererseits Standpunkte eine wichtige Rolle, das war schon so, als Adam Smith sein Buch "Wohlstand der Nationen" im 18. Jahrhundert veröffentlichte.
Argumente erscheinen auf den ersten Blick einleuchtend
Denn die Ökonomik als Wissenschaft von der Wirtschaft hat keine vergleichbare Grundlage wie die Physik; so kann die Politik die Schwerkraft nicht beeinflussen, wirtschaftliche Verhältnisse aber schon.
Jüngst führte ein Professor im Fachbereich für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg die neue Partei "Alternative für Deutschland" in das Europäische Parlament und jetzt auch in den Landtag von Sachsen. Bereits 2011 war Bernd Lucke an der Gründung des "Plenums für Ökonomen" beteiligt; fast 200 Professoren unterschrieben damals eine Petition gegen den Euro-Rettungsschirm.
Er und seine professoralen Mitstreiter stehen also durchaus in der Tradition deutscher Professoren, die Aufrufe oder Reden verfassten, um gegen oder für politische Zustände zu werben und für nationale Werte, was nicht immer zum Vorteil Deutschlands war. Bernd Lucke dürfte allerdings der erste Professor sein, dem es gelungen ist, eine Partei zu gründen, die rasch Erfolge verzeichnen konnte.
Seine wirtschaftspolitischen Argumente erscheinen auf den ersten Blick rational und einleuchtend. In Wirklichkeit bewegt er sich in einer Grauzone zwischen Politik und Wissenschaft. Wenn die "AfD" die geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes fordert, dann hat das wenig mit Forschungsergebnissen zu tun, als vielmehr mit einem politischen Richtungswechsel, mit einem Plädoyer für ein altes Europa vor der Einführung des Euro.
Wunsch nach einer mächtigen Bundesbank
Viele Ökonomen wünschen sich wieder die D-Mark. Sie möchten eine Deutsche Bundesbank, die nicht nur einflussreich, sondern wieder mächtig ist. Nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Währungssystems bestimmten Frankfurter Notenbanker maßgeblich die Geldpolitik in Europa von 1973 bis 1999. Die Sehnsucht nach der D-Mark ist keine Nostalgie, es ist der Wunsch einer nationalen, keiner europäischen Geldpolitik.
Bei der Geldpolitik, die auch ein Teilbereich der Ökonomie ist, gibt es wie bei allen Sozialwissenschaften selten eindeutige Lösungen, eben nicht die eine Alternative, die der Name "AfD" suggeriert. Es würde alles besser werden, träte Deutschland aus dem Euro aus, so der Tenor der "AfD", auch weil es weniger Verpflichtungen gegenüber den europäischen Nachbarn hätte.
Wissenschaftlich unlauter
Sicher, es würde vieles anders werden, nicht sicher aber ist, ob es in einer global vernetzten Wirtschaft dem Lande wirklich besser ginge. Es kann sich weder vor konjunkturellen Schwankungen noch vor strukturellem Wandel bewahren, weder dem eigenen Wohl und Wehe noch den ausländischen Märkten entziehen. Dies unberücksichtigt zu lassen und sich nur anti-europäisch gegen den Euro zu wenden, ist wissenschaftlich unlauter und reiner Stimmenfang.
Mit der Zeit und dem Nationalismus vor 100 Jahren ist die "AfD" sicher nicht vergleichbar. Sie spielt aber auch ein Spiel, das den Menschen eine heile, nationale, vor allem national-ökonomische Welt verspricht. Dieser Weg nach den besseren, guten alten Zeiten ist gefährlich, für Deutschland und Europa.
Klaus Weinert, Wirtschafts- und Fachjournalist. Er studierte Germanistik, Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Filmwissenschaften.
Der Journalist arbeitet für Rundfunk, Fernsehen und Printmedien.