Wissenschaftler müssen wieder Unabhängigkeit demonstrieren
Fragen stellen, kritisch sein und vor allem: auf Unabhängigkeit pochen. Das seien die Aufgaben von Wissenschaftlern in der Öffentlichkeit, sagt Historiker Caspar Hirschi. Zu oft hätten sich Experten als "Handlanger der Politik" angreifbar gemacht.
Das Bild des Wissenschaftlers in der Öffentlichkeit habe sich in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt, sagt der Historiker Caspar Hirschi von der Universität St. Gallen. Wissenschaftler würden nicht mehr als unabhängig wahrgenommen, sondern als "integraler Bestandteil des politischen Establishments", als "reine Ausführungsgehilfen" und als "heimliche Herrscher einer Expertokratie", so Hirschi im Deutschlandfunk Kultur.
Dieses Bild von Wissenschaftlern werde vor allem in der "populistischen Ecke" gezeichnet, sei aber auch durch Politik und Medien zu verantworten.
"Einfallstor für populistische Elitenkritiker"
"Die Politik der letzten Jahrzehnte hat sich sehr stark auf Experten gestützt, um ihren Entscheidungen den Anschein der Alternativlosigkeit zu geben, also Sachzwänge zu kreieren, damit man politische Debatten vermeiden konnte", sagte Hirschi. "Und ich glaube, das war letztlich ein Einfallstor für populistische Elitenkritiker, die gesehen haben, dass Experten hier in einer Rolle auftreten müssen, wo sie nicht unbedingt die Politik beraten oder Sachfragen klären, sondern letztlich politische Entscheidungen die schon gefällt wurden, nachträglich legitimieren müssen."
Grundsätzlich sei es "eine technokratische Erwartungshaltung" davon auszugehen, dass sich Entscheidungen "von alleine" ergäben, wenn man einfach nur genügend Wissen sammelt. Diese Ansicht sei zudem "eigentlich falsch und für eine Demokratie letztlich auch gefährlich", denn sie fuße auf der Annahme, dass das Wissen selbst die Entscheidungen hervorbringe.
"Das ist in der Politik eben nicht so. Es gibt in der Politik in den meisten Fällen Alternativen. Es müssen Debatten geführt werden und dann muss man eine Entscheidung treffen, die auch vor der Öffentlichkeit begründet werden kann - nicht als Sachzwang, sondern tatsächlich als eine Entscheidung, zu der es auch Alternativen gibt."
"Expertenauftritt ist zu einem Ritual geronnen"
Hirschi mahnte an, dass sich Wissenschaftler verstärkt in Distanz zur Politik öffentlich äußerten - "gerade in Zeiten, wo die Demokratie eigentlich erschüttert wird". Dafür seien die Rollen des "Kritikers" und des "Intellektuellen" besser geeignet als die des "Experten", dessen Auftritt in der Öffentlichkeit zu einem Ritual geronnen sei.
Zu oft seien politische Entscheidungen, die schon gefällt oder angebahnt wurden, dann noch nachträglich mit einer gewichtigen Expertenstimme unterlegt worden. Und das sei heikel, "weil eben die Wissenschaft dann nicht mehr als beratende, sondern als legitimierende Stimme auftritt", so Hirschi. Wissenschaftler machten sich auf diese Weise als "Handlanger der Politik" angreifbar.
(huc)