"Wir haben das Ungleichgewicht auf der Agenda"
Die GEMA vertritt die Urheberrechte von Musikschaffenden. In Kürze verleiht sie den Musikautorenpreis 2018. Unter den 21 Nominierten ist mit der Musikerin Balbina nur eine Frau. Kommunikationschefin Ursula Goebel äußert sich zu dem krassen Missverhältnis.
Martin Böttcher: Die GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte) ist eine der größten Autorengesellschaften für Musik auf der Welt. Sie sammelt Jahr für Jahr hunderte von Millionen Euro ein, die sie dann an ihre Mitglieder - Komponisten, Textdichter und Verleger - verteilt. Die GEMA macht aber auch noch andere Dinge. In ein paar Wochen wird die GEMA ihren Musikautorenpreis 2018 verleihen. Selbst wenn Sie von dem noch nicht gehört haben sollten: Das ist eigentlich ein schöner Preis, denn eine Jury ernennt die möglichen Preisträger, und dabei, so hat es der Jurysprecher gerade gesagt, geht es "nicht darum, wie viele Platten jemand verkauft hat. Was zählt, ist die Arbeit des Komponisten, des Textdichters". Musikerinnen, die das jetzt hören, dürften ziemlich wütend werden, denn die Jury hat es tatsächlich geschafft, bei 21 Nominierten nur eine einzige Frau auszuwählen. Anders ausgedrückt: 20 Männer sind in den verschiedenen Kategorien nominiert – und die Berliner Musikerin Balbina. Wir wollten wissen, wie das sein kann: Seit Jahren und Jahrzehnten reden wir über Gleichberechtigung, in der letzten Zeit häuften sich die Stimmen, die sich mit der Ungleichberechtigung nicht mehr abfinden wollten, bei Festivals und in der Branche wird immer wieder durchgezählt und immer wieder auf krasse Missverhältnisse aufmerksam GEMAcht. Und in Zeiten von #Aufschrei und #MeToo sollte jeder dafür eine Antenne haben, dass so eine Ungleichbehandlung nicht mehr toleriert werden kann. Ich habe mit Ursula Goebel gesprochen. Sie ist die Kommunikationschefin der GEMA. Meine erste Frage: Welchen Stellenwert hat dieser Preis?
Ursula Goebel: Der deutsche Musikautorenpreis ist für uns ein wichtiger Baustein des kulturellen Engagements. Wir alle wissen, Musik wird uns immer begleiten, begleitet uns heute, und Musik hat einen unschätzbaren Wert für die Gesellschaft. Und wir sind der Meinung, dass dieser Wert geschützt und gefördert werden muss, und diesen Auftrag wollen wir mit dem Musikautorenpreis vermitteln.
Böttcher: 21 Nominierte gibt es, davon sind 20 Männer und eine Frau. Wie kann das sein, dass da so ein krasses Missverhältnis zwischen Männern und Frauen herrscht? Das kann die GEMA doch eigentlich im Jahr 2018 so gar nicht mehr ernst meinen, oder?
Goebel: Also wir sehen es ja selbst, dass wir dieses Ungleichgewicht haben, und wir sehen es schon an den Zahlen innerhalb unserer Mitgliedschaft. Also wenn ich mal von den 70.000 Mitgliedern der GEMA ausgehe, das sind Komponisten, Textdichter und Verleger, da sind wir aktuell bei einem Prozentsatz von rund 14 Prozent weiblichen Urheberinnen. Das ist natürlich, sage ich mal, in der Struktur schon ein Ungleichgewicht, wo wir natürlich uns fragen, es ist ein Thema, das uns seit letztem Jahr oder eigentlich seit 2016 schon beschäftigt, woher kommt das, was sind die Gründe, weshalb es dieses Ungleichgewicht gibt, und wie können wir Frauen unterstützen, Frauen fördern, sodass sie entweder in der Mitgliedschaft, ihre Stimme wahrnehmen, dass sie sich engagieren können und dass sie vor allem aber auch das nötige Rüstzeug in die Hand bekommen, um auch einen Wandel in der Musikindustrie zu schaffen. Denn wir sind absolut davon überzeugt, dass wir diese Vorbilder brauchen, die wir aktuell so nicht sehen, und deshalb ist es für uns eher eine langfristige Planung und ein langfristiger Ansatz, wie können wir mit diesem Ungleichgewicht auch strukturell umgehen, und wie finden wir Antworten darauf.
Eine Jury nur aus Männern
Böttcher: Das ist ja nicht ein neues Problem, das gibt es ja schon seit Jahren. In der Jury – wir haben gerade mal nachgeschaut –, die diese 21 Leute dort nominiert haben, da sind sieben Mitglieder und sieben von denen sind Männer. Ist da nicht schon der Fehler angelegt?
Goebel: Richtig, auch das ist vielleicht ein strukturelles oder auch ein systemisches Problem. Der Prozess der Juryfindung ist kein Prozess, den die GEMA alleine bestimmt. Also da sitze nicht ich und sage, ich möchte die Juroren oder Jurorinnen haben, sondern es ist ein demokratisch geführter Prozess, der innerhalb der Akademie Deutscher Musikautoren stattfindet. Wer ist die Akademie Deutscher Musikautoren – darin sind alle ehemaligen Preisträger und Nominierten zusammengeschlossen, und wir rufen die Akademie jedes Jahr dazu auf, Vorschläge einzureichen für mögliche Juroren und Jurorinnen. Diese sammeln wir, stellen wir dann später zur Wahl, und dann gibt es am Ende pro Genre – wir wechseln die einzelnen Kategorien ja in jedem Jahr –, gibt es dann Kandidaten, die wir ansprechen und fragen, habt ihr Zeit für das Jurorenamt. Und da hatten wir auch im letzten Jahr einige Frauen, starke Frauen, die gewählt wurden, die aber leider – so ist es – alle abgesagt haben.
Balbina: "Es fehlt nicht an Frauen"
Böttcher: Die einzige Frau, die da jetzt nominiert ist, das ist ja die Berliner Musikerin Balbina. Wir haben auch mit ihr gesprochen, und das hier hat sie uns gesagt:
Balbina: Also da ist ja jetzt eine hitzige Diskussion im Gange. Und die Diskussion ist richtig und wichtig, der Anlass rechtfertigt das, jedoch ist es mir auch wichtig hinzuzufügen, dass der GEMA-Preis per se nicht die Wurzel des Üblen ist, sondern die Abläufe in der Musikbranche intern. Also ich lenke immer wieder gerne auf den öffentlichkeitswirksamen "Echo", weil der einfach seit Jahren Frauen benachteiligt. Seit Bestehen dieser Kategorie "Echo"-Kritikerpreis National zum Beispiel war da noch nie, ich wiederhole: noch nie eine Frau nominiert. Beim GEMA-Autorenpreis hingegen waren fünf der letztjährigen Preisträger weiblich. Letztes Jahr ist natürlich nicht dieses Jahr, man muss sich Tag für Tag neu reflektieren. Trotzdem: Die Diskussion muss seine Schuldigen in den Führungsetagen der Musikbranche suchen. Es fehlt nicht an Frauen, es fehlt einfach nicht an Frauen. Es gibt sie überall, ob das Judith Holofernes ist, seit Jahren, oder ob das Kat Frankie ist, oder ob das eine Leslie Clio ist, oder ob das eine Joy Denalane ist, oder ob das eine Cäthe ist – also die Liste ist ja endlos. Es gibt genug Frauen. Das Problem ist gar nicht da, dass es nicht genug tolle Frauen gäbe.
Böttcher: Würden Sie die teilen, diese, nicht nur eine Kritik, aber es ist schon auch eine halbe Kritik von Balbina?
Goebel: Teile ich absolut, ganz klar. Also ich sehe es auch so, dass der Musikautorenpreis jetzt natürlich ein Ergebnis ist, vielleicht auch dieser Situation der rein strukturellen Problematik, aber im Grunde geht es – und da stimme ich Balbina 100 Prozent zu –, es geht darum, die ganze Debatte auf eine doch anderen Ebene zu führen und zu fragen, wie können wir dieses strukturelle, systemische Problem, das wir hier sehen, wie können wir dem begegnen.
Böttcher: Das hört sich natürlich gut an, ich frage mich trotzdem, wir haben das Jahr 2018, das sind doch Fragen, die eigentlich schon vor einem Jahrzehnt oder noch länger hätten gestellt werden müssen. Und so ein bisschen drängt sich natürlich auch auf, dass die GEMA vielleicht gar nicht so selber strukturell dazu in der Lage ist, das als Problem so anzuerkennen. Wenn man mal genau hinguckt, der Aufsichtsrat zum Beispiel der GEMA, da sitzen 15 Menschen drin, auch da sind nur zwei Frauen. Also das Ganze zieht sich doch in der GEMA von ganz oben bis ganz unten durch als Problem.
"Wo setzen wir neue Weichen?"
Goebel: Also wir haben im GEMA-Aufsichtsrat drei Frauen, Pe Werner wurde als Textdichterin in den Aufsichtsrat gewählt. Und es freut mich sehr, dass Pe Werner sich genau dieses Themas annimmt, dass sie sagt, wir müssen die Frauen fördern, wir müssen die Frauen aber auch dazu bringen, dass sie sich engagieren in der GEMA. Und in der GEMA sich engagieren heißt dann auch, zu Mitgliederversammlungen zu kommen und dort die Stimme zu erheben und dem Verein, also den anderen Mitgliedern zu sagen, wir müssen das auf die Agenda setzen, wir müssen vielleicht auch in einzelne Strukturen oder in Satzungsfragen in der Geschäftsordnung, wir müssen diese Themen diskutieren und überlegen, wie verändern wir die Rahmenbedingungen, wo setzen wir neue Weichen, damit wir das verändern können.
Böttcher: Lassen Sie uns ganz kurz noch mal nach vorne gucken. Das Musicboard Berlin, diese öffentliche Fördereinrichtung für Musikerinnen und Musiker, die haben sich auch geäußert und geschrieben, die GEMA würde sich der Lächerlichkeit preisgeben und sollte überdenken, wie unglaublich anachronistisch sie damit mal wieder rüberkommt. Und die fragen dann beim Musicboard, warum ist der GEMA Diversität nichts wert. Wie reagieren Sie denn darauf, und wie geht es jetzt weiter? Geht da jetzt eine Diskussion los? Und kann man vielleicht auch demnächst dann handfeste Ergebnisse erwarten?
Goebel: Ja, also wir haben im letzten Jahr schon Aktivitäten gestartet. Wir sind seit letztem Jahr Partner der Keychange-Kampagne. Das ist eine Kampagne, die von unserer Schwestergesellschaft in England, der PRS, initiiert wurde. Das ist ein internationales Projekt, das das Ziel verfolgt, Musikerinnen das nötige Rüstzeug zu geben, damit sie diesen Wandel, also in der Musikindustrie, schaffen können. Wir haben die Initiative letztes Jahr im Rahmen des Reeperbahn-Festivals gestartet. Wir haben im letzten Jahr auf vielen Panels zu diesem Thema gesprochen, und wir haben ganz klar auch immer formuliert, dass es ein Thema ist, das wir auf der Agenda haben, und es ist ein Thema, das wir diskutieren werden, entweder im Rahmen des Musikautorenpreises, weil wir uns dort fragen, wie können wir bei diesem Projekt, bei diesem Preis die Rahmenbedingungen anders setzen, müssen wir sie anders setzen. Und das andere gilt natürlich, wie können wir für die Gesamtorganisation diese Diskussion auch führen.
Böttcher: Was den Musikautorenpreis angeht, da wird jetzt aber wahrscheinlich nichts mehr geändert für 2018, da gibt es jetzt keine Nachnominierung oder da wird nicht noch mal da drauf geguckt, oder?
Goebel: Das kann ich schlichtweg nicht tun. Also wenn ich das tun würde, dann würde ich ja eine Entscheidungsfindung einer Fachjury, die aus Fachexperten verschiedener Genres besteht, würde ich ja damit entwerten. Also das kann ich jetzt nicht machen, und im Grunde ist es ja auch ein Fakt, und wie Balbina es auch schon gesagt hat, es ist gut, dass diese Diskussion ins Rollen kommt, und so bewerte ich das auch ganz positiv, und es ist auch gut, dass wir diese Diskussion jetzt auch ganz konkret am Musikautorenpreis führen werden.
Böttcher: ... sagt Ursula Goebel, sie ist die Kommunikationschefin der GEMA. Vielen Dank für dieses Gespräch, Frau Goebel!
Goebel: Herzlichen Dank, Herr Böttcher!
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