Wenn die Profis kicken, wollen die Amateure auch
07:27 Minuten
Wenn die Profifußballer wieder spielen dürfen, wollen Kinder- und Jugendmannschaften auch auf den Platz. Der Geisterspiel-Plan von DFB und DFL sei riskant und profitorientiert, kritisieren Gesundheitsexperten, Polizeigewerkschaft und Amateure.
Kinderfußballtrainer Markus Schwarz würde seine Mannschaft vom SC Buntekuh gerne wieder trainieren. Ständig fragen ihn seine kleinen Kicker, wann es wieder losgeht, einige schicken ihm Bilder von einem selbstgebastelten Trainingslager im Garten, wo sie alleine spielen, oder aus dem Wohnzimmer, weil sie gar keinen Garten haben.
Verärgerung über DFL und DFB
Markus Schwarz ist Trainer in einem Problem-Stadtteil in Lübeck, wo viele Familien in Hochhäusern leben. Er selbst wohnt in einem Reihenhaus in Ratekau und hat einen Garten, wo er mit seinem Sohn Niklas Fußball spielen kann – natürlich ohne Freunde. Nun will die Bundesliga wieder spielen. Für den neunjährigen Niklas unverständlich.
"Wieso dürfen die in der Bundesliga spielen und wir nicht?"
Politiker, DFL- und DFB-Vertreter preschen in der allgemeinen Lockerungsdebatte vor und fordern für den Profifußball Geisterspiele. Viele ehrenamtliche Trainer klatschen in Fußballforen sogar Beifall: Endlich wieder Bayern München oder HSV gucken. Eine Einstellung, die selbst bei einem Vollblutfußballer wie Markus Schwarz nur Kopfschütteln erzeugt:
"Verarschung einfach. Das ist ein Schlag in die Fresse der Gesellschaft. Sozial ist was anderes und gerade als Vorhängeschild DFL oder DFB sollte man an alle denken und nicht nur an 36 Vereine."
Politiker liefern Steilvorlage für DFL
Seit 45 Jahren ist Markus Schwarz auf dem Fußballplatz, seit 20 Jahren trainiert er ehrenamtlich unter anderem die F-Jugend vom SC Buntekuh.
"Für den Jugendbereich, Amateurbereich ist es verboten, Kontaktsperre, und die Herren Millionäre dürfen spielen. Wenn es für die gilt, dann müsste es auch für die Kinder und Jugendlichen gelten."
Noch gibt es kein grünes Licht für die Bundesligaspiele ohne Zuschauer. Doch verschiedene Ministerpräsidenten wie Markus Söder aus Bayern oder Armin Laschet aus Nordrhein Westphalen stürmen beim Thema Lockerung für das Fußballprofigeschäft nach vorne und können sich Geisterspiele gut vorstellen. Diese Äußerungen sind eine Steilvorlage für den Vorsitzenden der Geschäftsführung der Deutschen Fußball Liga, Christian Seifert. Der stellte seine Pläne vergangene Woche vor und sagte im ZDF:
"Wenn wir zunächst mal sagen: Wir wollen wieder spielen, dann ist das eine rein von der wirtschaftlichen Überlegung getriebene Entscheidung. Genauso wie wie viele andere Unternehmen auch sagen, wir müssen früher oder später wieder arbeiten, sonst hat das langfristige Schäden, die wir noch gar nicht überblicken können. Andererseits handelt es sich bei der Bundesliga um ein Produkt, um ein Unterhaltungsangebot, das Millionen von Menschen verfolgen. Wir müssen aber bei der Bewertung dessen, was man tun muss, jetzt diese Sphären trennen. Es geht nicht darum, dass wir Stargetriebene Unterhaltung anbieten wollen, sondern in erster Linie spielen wir Fußball und dafür interessieren sich nun zum Glück viele Menschen und das würde wohl auch bei Spielen ohne Zuschauer so sein, auch wenn sie sich anders ansehen und anfühlen, als das normalerweise der Fall sein wird. Im Moment ist das aber offenbar die einzige Lösung, wenn wir dann wieder die Erlaubnis bekommen zu spielen."
Profis sollen massenhaft getestet werden
Bei dem Doppelpassspiel zwischen einigen Ministerpräsidenten einerseits und den Fußballprofis andererseits nimmt der sächsische Landeschef Michael Kretschmer den Ball gerne auf.
"Wie die Bundesliga sich das überlegt hat mit einer Task Force mit Medizinern, ist das für mich plausibel, was da vorgestellt wurde."
Das Schutz- und Hygiene-Konzept ist zusammen mit dem Deutschen Fußballbund entwickelt worden, wo DFL-Chef Seifert als Vizepräsident zur Mannschaft gehört. Wie ein DFB-Sprecher sagte, soll dieses Konzept auch bei der 3. Liga und der Frauenbundesliga angewendet werden. Doch genau an diesem Konzept gibt es Kritik, weil Profis massenhaft auf Corona getestet werden sollen. Christian Seifert sagt, es werde niemandem ein notwendiger Test weggenommen.
"Wir haben Vertragskooperationen mit fünf medizinischen Laborverbunden mit einer bundesweiten Flächenpräsenz, die uns alle versichern, dass wir niemandem einen Test wegnehmen."
Kritik am Schutzkonzept
Aber der SPD-Politiker und Gesundheitsexperte Karl Lauterbach grätscht dazwischen. Sollte nämlich ein Spieler positiv getestet werden, sollen laut Konzept NICHT wie sonst üblich alle Kontaktpersonen ebenfalls in Quarantäne. Lauterbach fasst zusammen.
"Mich überzeugt das überhaupt nicht, ehrlich gesagt."
Und er ist nicht der einzige, der dem Konzept die dunkelgelbe Karte zeigt. Jörg Radeck – stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei - hält die Annahme des Konzeptes, es werde nicht zu Fanansammlungen rund um das Stadion kommen, für falsch.
"Sowohl für diejenigen, die sich unvernünftigerweise vor einem Stadion möglicherweise ansammeln, als auch für meine Kollegen: Es geht doch eigentlich darum, dieses Ansteckungsrisiko zu verhindern."
Wirtschaftliche Interessen müssen hintan stehen
Es geht Radeck aber nicht nur um das Konzept, denn wenn Fußballprofis mit vollem Körperkontakt und mit Spucken auf den Rasen etwas zeigen, was gerade für Groß und Klein nicht nur in Deutschland verboten ist, dann bewege sich der Fußballsport, den er auch als Fan liebt, ins Abseits.
"Meine Haltung ist, das diese Pandemie offenlegt, für welche Werte steht denn diese Gesellschaft. Steht sie für Werte, wie die Würde ist unantastbar oder steht sie für die körperliche Unversehrtheit oder für das Recht, Fußball zu gucken, und natürlich geht es um viel Geld, aber ich finde diese wirtschaftlichen Interessen müssen jetzt erstmal nach hinten treten."
Die Fußballfans sind gespalten – so wie auch Florian Möller, der Geschäftsführer des Tabellenführers in der Regionalliga Nord, VFB Lübeck. Er hat auch schon davon gehört, dass 17 von 36 Vereinen die Insolvenz drohe.
"Wenn es denn dazu beiträgt, dass auch Arbeitsplätze gesichert werden können in dem Zirkus, dann finde ich das positiv."
"Denen sind die Zuschauer doch völlig egal"
Das Problem wollen Politiker wie Monika Lazar, die für die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen im Sportausschuss sitzt, anders lösen. Sie fordert eine Solidarität innerhalb der DFL ohne staatliche Hilfen für Clubs der Bundesliga.
Dass nun sogar größere Bundesliga-Klubs von Insolvenzen bedroht scheinen, zeuge nicht davon, dass in den vergangenen Jahren nachhaltig gewirtschaftet wurde, sagt die Grünenpolitikerin. Das findet auch Kinderfußballtrainer Markus Schwarz.
"Denen sind die Zuschauer doch völlig egal, Hauptsache sie bekommen ihre TV-Gelder, nur darum geht es denen, wer es bisher nicht gemerkt hat, merkt es jetzt."
An der Fußball-Basis bröckelt es sowieso schon seit Jahren. Die Zahl der Nachwuchskicker geht zurück und mit diesem Einsatz für Geisterspiele, wo Millionäre etwas dürfen, was ansonsten streng verboten ist, hat nach Ansicht des ehrenamtlich engagierten Trainers der Profifußball ein echtes Eigentor geschossen.