Ständige Ausgrenzungen im Namen Gottes
Je fester ein Glaube ausfällt, desto wahrscheinlicher entsteht daraus Gewalt, schrieb kürzlich der Dalai Lama. Unser Autor Florian Goldberg pflichtet ihm bei, meint aber: Ein Leben ohne Hass und Vorurteile sei nicht allzu einfach umzusetzen.
Das Thema treibt mich schon eine ganze Weile um, und ja – ich hätte gern eine knallende Polemik geschrieben: Krach, Bumm, Bäng! Es regt mich dermaßen auf! Dieser ganze mörderische Irrsinn der Religionen und Ideologien, diese dumpfen, jahrtausendealten Rechthabereien darüber, wer nun der Reinere, Geweihtere, Auserwähltere ist, dieses ständige Ab- und Ausgrenzen im Namen des je eigenen Gottes, der eigenen Nation, der eigenen Kultur. Eine ständige Wiederkehr des Gleichen. Es ist erbärmlich.
Aber nun hat der Dalai Lama, befragt von Franz Alt, ein Büchlein veröffentlicht, das gleichzeitig in 8 Sprachen erschienen ist und als eBook frei zum Download verfügbar. Es trägt den Titel "Warum Ethik wichtiger ist als Religion" und versteht sich als Appell an die Welt. Ein ebenso ein- wie unaufdringlicher Appell, das muss man erst mal hinkriegen. Und vor allem einer, den der Dalai Lama als Oberhaupt einer Religion auch an sich selbst richtet.
Unser spirituelles Wohl sollte nicht von der Religion abhängen
Die Erde, sagt er sinngemäß, ist zu klein geworden, als dass wir uns die hergebrachten Koordinatensysteme noch leisten könnten. Daher sollten wir unsere jeweilige Tradition als zweitrangig betrachten und unsere Aufmerksamkeit auf das lenken, was uns verbindet, wörtlich gesagt: "dass unser spirituelles Wohl nicht von der Religion abhängig ist, sondern unserer natürlichen Veranlagung zu Güte, Mitgefühl und Fürsorge für andere entspringt."
So weit, so gut, könnte man meinen. Endlich sagt auch mal ein Religionsführer, was jedem, der einigermaßen bei Sinnen ist, längst vor der Nase liegt. Aber das wäre zu kurz gegriffen. Zum einen kann man es gar nicht hoch genug schätzen, wenn ein Kirchenoberhaupt den eigenen Glauben zugunsten eines universelleren Wertes zur Disposition stellt. Selbst dem in mancher Hinsicht erstaunlichen Franziskus würde ich dergleichen eher nicht zutrauen. Andererseits macht der Dalai Lama nicht bei ein paar allgemeinen Empfehlungen halt, sondern wendet sich, wenn ich die Zeilen ernst nehme, direkt an mich.
Der Feind, den ich sehe, heißt es in der Schrift, ist auch nur ein Mensch, der nach Glück sucht. "Der wirkliche Feind ist doch in uns und nicht außen!" Der äußeren Abrüstung müsse daher eine innere Abrüstung vorangehen, also die Bereitschaft, die eigenen Vorurteile, vor allem aber die negativen Emotionen zu überwinden, um mit dem jeweils anderen in einen konstruktiven Dialog treten zu können.
Von Güte und Mitgefühl sind auch wir weit entfernt
Natürlich könnte ich hier selbstgefällig mit dem Kopf wackeln und sagen: "Genau, meine Damen und Herren von der Pegida, dem Islamischen Staat oder vergleichbaren engherzigen Vereinigungen, schreibt euch das mal hinter die Ohren!" Ich kann aber auch genauer hinsehen und zulassen, dass sich meine Verärgerung als das entlarvt, was sie ist: eine Spielart eben der Gewalt, gegen die sie sich wendet.
Auch ich habe ein System mit klaren Koordinaten für "richtig" und "falsch". Wer dem im Weg steht, wird von mir zwar nicht physisch vernichtet, aber immerhin intellektuell mit allen Mitteln der Kunst bekämpft. (Krach, Bumm, Bäng eben!) Das mag zwar eine zivilisiertere Form der Auseinandersetzung sein. Nur von Güte und Mitgefühl und konstruktivem Dialog bin ich da, ehrlich gesagt, meilenweit entfernt.
Ich wüsste noch nicht einmal, wie das ginge, mit einem Islamisten, Ausländerfeind, Flüchtlingsunterkunftsanzünder, Schwulenhasser und so weiter. Wirklich, keine Ahnung.
Aber vermutlich ist genau dies das Problem: Die anderen wissen es umgekehrt auch nicht. Wir haben alle keine Ahnung, und wenn wir eine haben, sagen wir, dass man doch nur ein Mensch sei und kein Heiliger. Ich weiß nicht, ob wir mit dieser Haltung durchkommen werden.
Innere Abrüstung. Keine Kleinigkeit. Was übrigens auch der Dalai Lama nicht behauptet. Von Franz Alt befragt, antwortet er: "Wir müssen nachdenken, nachdenken, nachdenken. Und forschen, forschen, forschen."
Florian Goldberg hat in Tübingen und Köln Philosophie, Germanistik und Anglistik studiert und lebt als freier Autor, Coach und philosophischer Berater in Berlin. Er hat Essays, Hörspiele und mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt "Wem gehört dein Leben?" (Kunstkloster art research). Am 30. Juni 2015 sendete der Deutschlandfunk das Hörstück "Metamorphosen", das er mit Heike Tauch verfasst hat.