Kritik

Familiendramen ungewöhnlich erzählt

Von Wolfgang Martin Hamdorf |
In beiden Filmen geht es um Gewalt in der Familie. Doch Anna und Dietrich Brüggemanns "Kreuzweg" und Philip Grönings "Die Frau des Polizisten" erzählen ihre Geschichten anders als Hollywood und Fernsehfilme.
Filmszene aus "Kreuzweg", Spaziergang:
Maria: "Guck mal, da ist die ganze Familie. Das ist die Mama, das ist der Papa, da ist die Katharina, da ist der Thomas und da ist auch die Bernadette und hier ist die Maria. - Mutter: "Wer will einen Keks? Lass uns doch mal ein Foto machen. Haben wir den Apparat dabei?"
Ein Familienspaziergang wie aus dem Bilderbuch. Die 14-jährige Maria hat drei Geschwister, ist katholisch und steht kurz vor ihrer Firmung. Die Familie gehört einer ultrakonservativen Brüderschaft an. Maria versucht, den strengen Anforderungen ihres Glaubens gerecht zu werden, aber trotzdem steigen die Spannungen mit ihrer Mutter:
Filmszene im Auto:
Mutter: "Du sollst mir nicht widersprechen!" - Maria: "Ich hab dir nicht widersprochen, ich hab dir zugestimmt." - Mutter: "So jetzt reicht es. Noch eine so freche Antwort und wir sagen die ganze Firmung ab. Wenn dir Gospel und Jazz wichtiger ist als Gott und dein Seelenheil, dann hat das alles sowieso keinen Sinn, dann kannst du jetzt aussteigen und zu Fuß nach Hause gehen, oder gleich zu deinem so genannten Kirchenchor."
Für Drehbuchautorin Anna Brüggemann war dieser starke Mutter-Tochter-Konflikt sehr wichtig:
"Die Mutter bildet oft, nicht immer, eine andere Geborgenheit. Wenn der Vater jetzt so wahnsinnig wäre und die Mutter aber lieb, dann würde die Geschichte glaube ich, anders enden. Ich vermute, oder zumindest hab ich mir das immer so überlegt, als wir die Mutter erfunden haben, dass sie sich selbst nicht über den Weg traut. Sie ist ja auch katholisch erzogen und hat ganz viele Instinkte von sich relativ früh einfach abgetötet.
Und weil sie eigentlich nicht ihrer inneren Stimme traut. Sie traut sich selbst nicht über den Weg und damit auch nicht ihren Kindern. Die Welt ist voller Monster und Gefahren und so eine Pubertierende bringt diese Monster und Gefahren nach Hause auf den Tisch. Das bringt im Prinzip ihr System ins Wanken. Das will sie nicht."
"Kommentar zum Kino an sich"
Maria verhungert aus religiöser Überzeugung vor den Augen der Öffentlichkeit und behütet abgeschirmt im Schoß ihrer Familie. "Kreuzweg" erzählt, analog zur Darstellung der Passion Christi in 14 Tableaus, in 14 langen Plansequenzen vom Leiden und Sterben Marias. Für Regisseur Dietrich Brüggemann ist es eine meditative Form, sich seiner Geschichte zu nähern, und ein Rückgriff auf ruhigere Rhythmen filmischer Darstellung:
"Gleichzeitig ist so zu drehen aber auch ein Kommentar zu Kino an sich, wie ich es hier so vorfinde, wo ich der Meinung bin, dass viel zu viel, zu viele Großaufnahmen die ganze Zeit den Leuten unter Missachtung jeglicher Diskretionsgrenze ins Gesicht kriechen, und zu denken, es wäre emotional, wenn ich ganz nah rangehe, es könnte nicht falscher sein. Ein Bewusstsein dafür in der Kunst, dass man nur das macht, was unbedingt nötig ist, aber das richtig gut macht, das geht da komplett verloren, wenn Leute die ganze Zeit sagen, wir müssen jetzt noch mal eine nähere und eine noch nähere.
Wenn man sich mal alte Filme anschaut, alte Mainstream-Unterhaltungsfilme, die in der 50ern Kassenschlager waren - was weiß ich 'Das Appartment' oder wie sie alle heißen -, die sind fast immer auf respektvoller Distanz; haben auch sehr sehr lange Einstellungen, was nicht so auffällt, weil sie immer so ganz elegant durch die Kulissen den Leuten hinterher fahren und gehen fast nie nah ran. Und das hat ja seine Gründe. Und da gehe ich quasi erstens zurück in die Stummfilmzeit und zurück in die 50er-Jahre."
Der Film erzählt ohne zu dämonisieren, wie familiäre und religiöse Bande ein Mädchen strangulieren. Er erzählt vom ganz normalen Familienleben im religiösen Fanatismus. Der distanzierte und ruhige Blick unterscheidet "Kreuzweg" von der geschwätzigen Aufgeregtheit konventioneller deutscher Familienkomödien oder dem spektakulären Gefühlskino gängiger Familiendramen. Zwar war das Thema Familie im deutschen Film nie so präsent wie im Hollywoodkino, aber viele glatte Handlungsschemata ähneln sich: Kommen der Richtige und die Richtige kurz vor Abspann auch wirklich zusammen? Finden die stigmatisierten Kinder aus stigmatisierten Familien ihren Platz im Leben? Eine ähnlich stilisierte Darstellung hat eben auch Regisseur Philip Gröning für seinen Film "Die Frau des Polizisten" gewählt.
Ungewöhnliche Struktur
Filmszene aus "Die Frau des Polizisten":
Die Familie singt: "Dornröschen war ein schönes Kind, schönes Kind..."
Der Polizist, seine Frau und das vierjährige Mädchen. Eine heile Familie? Ganz und gar nicht. Das kleine Mädchen verfolgt die Gewalt gegen die Mutter mit stummen Blick oder hört von seinem Kinderbettchen aus zu. Die Bilder von Nähe und Gewalt bleiben lange in Erinnerung.
"Kreuzweg" und "Die Frau des Polizisten" erzählen Familiendramen mit einer ganz ungewöhnlichen Struktur und verzichten auf den platten psychologischen Realismus des deutschen Fernsehspiels, bei dem jede Handlung und Gefühlsregung der Protagonisten schon im Vorfeld vom Zuschauer wahrgenommen werden. Es geht beiden Filmen um das Grauen im fremden und doch so unheimlich vertrauten Familienalltag.
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