Kritische Hommage an die Heimat
"Mein erfundenes Land" ist eine Mischung aus persönlichen Erinnerungen und einer Mentalitätsbeschreibung der Chilenen. Auf der landeskundlichen Ebene verquickt Bestsellerautorin Allende mit viel Geschick gut dosierte geographische, historische, politische, wirtschaftliche und selbst anthropologische Daten über das Land ihrer Herkunft mit Meinungen oder Klischees über seine Bewohner.
"Das Heimweh ist mein Laster."
Das bekennt die chilenische Erzählerin Isabel Allende am Beginn ihres letzten Buches und erklärt kurzum ihr gesamtes Schreiben zu einer "Übung der Sehnsucht". Um gleich darauf zu beteuern, dass sie sich, nach rund dreißig Jahren des freiwilligen Exils, am ehesten als "Amerikanerin" fühlt, wobei die in Kalifornien lebende Schriftstellerin beide Teile des Kontinents in diese Bezeichnung einschließt. Die so zum Ausdruck gebrachte Ambivalenz gibt dem Text die Richtung vor: Er ist eine Mischung aus durchaus sentimental gefärbten persönlichen Erinnerungen und dem Versuch, eine Art kritische Mentalitätsbeschreibung der Chilenen zu verfertigen.
Auf beiden Ebenen taucht die Autorin nicht allzu tief. Das Persönliche beschränkt sich auf einige Menschen aus ihrem Umfeld, insbesondere aus der Familie ihrer Mutter. Da ist etwa die Großmutter, die sich für paranormale Erscheinungen, spiritistische Sitzungen und allerlei Übernatürliches begeistern konnte, die aber zugleich ihren klaren Blick nicht verlor: Als in den 30er Jahren die chilenischen Nazis durch Santiago paradierten, sei sie eine der Wenigen gewesen, die solche Umzüge mit Tomaten bewarf, berichtet ihre Enkelin.
Der strenge, dabei liebevolle Großvater, ein Onkel, der seine Hose auf der Straße auszog, um sie einem Armen zu schenken, ein anderer Verwandter, der sich stehend begraben lassen wollte, um Gott in die Augen sehen zu können im Moment der Auferstehung, es sind kauzige, skurrile Figuren, auf die die Autorin in ihren Geschichten und Romanen, vor allem in ihrem Erfolgsroman "Das Geisterhaus", immer wieder zurückgegriffen hat.
Isabel Allende berichtet auch die Eckdaten ihrer Biographie, aber kaum mehr als die Eckdaten: episodenhafte Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend, die Karriere als Journalistin, die Emigration nach Venezuela 1975. Wohl um nicht eitel zu erscheinen, wählt sie sich selbst gegenüber meist einen betont ironischen Ton, der manchmal fast ans Verächtliche grenzt. Dieser Ton hilft ihr dann, die problematischen oder gar traumatischen Momente ihres Lebens allenfalls zu streifen. Über ihr Verhältnis zu ihrem Vater, der die Familie, Mutter mit drei Kindern, ungefähr so verließ wie jener legendäre Mann, der Zigaretten kaufen ging und nicht zurückkehrte, erfährt man beispielsweise überhaupt nichts.
Auf der landeskundlichen Ebene verquickt Isabel Allende mit viel Geschick gut dosierte geographische, historische, politische, wirtschaftliche und selbst anthropologische Daten über das Land ihrer Herkunft mit Meinungen oder Klischees über seine Bewohner. Diese Gemeinplätze greift sie auf, um sie zum einen zu demontieren, zum anderen aber ihrem Gehalt nachzuspüren.
Wenn sie also etwa das Eigenlob der Chilenen zitiert, ihre Frauen seien die Schönsten der Welt, dann fertigt sie dies umstandslos ab. Um zugleich aber ein Loblied auf die fleißige, aufopferungsvolle und dabei dennoch auf ihr Äußeres achtende charmante Chilenin zu singen, die dennoch Kritik vertragen muss: als Mitträgerin und Reproduzentin des berüchtigten Machotums zum Beispiel.
Historische Hintergründe, selbsterlebte Episoden, ihre eigene Laufbahn als gemäßigte linke Feministin webt sie überaus unterhaltsam in ihr jeweiliges Thema und behandelt auf diese Weise Fragen wie die Religiosität, die strenge soziale Gliederung der Gesellschaft, bestimmte Züge des "Volkscharakters". So entsteht eine kritische Hommage, die kurzweilig geschrieben ist und ihren Mangel an Tiefgründigkeit durch ein schwingendes Perlen ersetzt.
Isabel Allende: Mein erfundenes Land
Aus dem Spanischen von Svenja Becker.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
205 Seiten, 16,80 Euro.
Das bekennt die chilenische Erzählerin Isabel Allende am Beginn ihres letzten Buches und erklärt kurzum ihr gesamtes Schreiben zu einer "Übung der Sehnsucht". Um gleich darauf zu beteuern, dass sie sich, nach rund dreißig Jahren des freiwilligen Exils, am ehesten als "Amerikanerin" fühlt, wobei die in Kalifornien lebende Schriftstellerin beide Teile des Kontinents in diese Bezeichnung einschließt. Die so zum Ausdruck gebrachte Ambivalenz gibt dem Text die Richtung vor: Er ist eine Mischung aus durchaus sentimental gefärbten persönlichen Erinnerungen und dem Versuch, eine Art kritische Mentalitätsbeschreibung der Chilenen zu verfertigen.
Auf beiden Ebenen taucht die Autorin nicht allzu tief. Das Persönliche beschränkt sich auf einige Menschen aus ihrem Umfeld, insbesondere aus der Familie ihrer Mutter. Da ist etwa die Großmutter, die sich für paranormale Erscheinungen, spiritistische Sitzungen und allerlei Übernatürliches begeistern konnte, die aber zugleich ihren klaren Blick nicht verlor: Als in den 30er Jahren die chilenischen Nazis durch Santiago paradierten, sei sie eine der Wenigen gewesen, die solche Umzüge mit Tomaten bewarf, berichtet ihre Enkelin.
Der strenge, dabei liebevolle Großvater, ein Onkel, der seine Hose auf der Straße auszog, um sie einem Armen zu schenken, ein anderer Verwandter, der sich stehend begraben lassen wollte, um Gott in die Augen sehen zu können im Moment der Auferstehung, es sind kauzige, skurrile Figuren, auf die die Autorin in ihren Geschichten und Romanen, vor allem in ihrem Erfolgsroman "Das Geisterhaus", immer wieder zurückgegriffen hat.
Isabel Allende berichtet auch die Eckdaten ihrer Biographie, aber kaum mehr als die Eckdaten: episodenhafte Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend, die Karriere als Journalistin, die Emigration nach Venezuela 1975. Wohl um nicht eitel zu erscheinen, wählt sie sich selbst gegenüber meist einen betont ironischen Ton, der manchmal fast ans Verächtliche grenzt. Dieser Ton hilft ihr dann, die problematischen oder gar traumatischen Momente ihres Lebens allenfalls zu streifen. Über ihr Verhältnis zu ihrem Vater, der die Familie, Mutter mit drei Kindern, ungefähr so verließ wie jener legendäre Mann, der Zigaretten kaufen ging und nicht zurückkehrte, erfährt man beispielsweise überhaupt nichts.
Auf der landeskundlichen Ebene verquickt Isabel Allende mit viel Geschick gut dosierte geographische, historische, politische, wirtschaftliche und selbst anthropologische Daten über das Land ihrer Herkunft mit Meinungen oder Klischees über seine Bewohner. Diese Gemeinplätze greift sie auf, um sie zum einen zu demontieren, zum anderen aber ihrem Gehalt nachzuspüren.
Wenn sie also etwa das Eigenlob der Chilenen zitiert, ihre Frauen seien die Schönsten der Welt, dann fertigt sie dies umstandslos ab. Um zugleich aber ein Loblied auf die fleißige, aufopferungsvolle und dabei dennoch auf ihr Äußeres achtende charmante Chilenin zu singen, die dennoch Kritik vertragen muss: als Mitträgerin und Reproduzentin des berüchtigten Machotums zum Beispiel.
Historische Hintergründe, selbsterlebte Episoden, ihre eigene Laufbahn als gemäßigte linke Feministin webt sie überaus unterhaltsam in ihr jeweiliges Thema und behandelt auf diese Weise Fragen wie die Religiosität, die strenge soziale Gliederung der Gesellschaft, bestimmte Züge des "Volkscharakters". So entsteht eine kritische Hommage, die kurzweilig geschrieben ist und ihren Mangel an Tiefgründigkeit durch ein schwingendes Perlen ersetzt.
Isabel Allende: Mein erfundenes Land
Aus dem Spanischen von Svenja Becker.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006
205 Seiten, 16,80 Euro.