Kritische Phänomenologie der neoliberalen Welt
Der österreichische Schriftsteller Karl-Markus Gauß hat sich nicht nur einen Namen als Zeitdiagnostiker gemacht, sondern kämpfte auch stets gegen die Eitelkeiten und Blasiertheiten des Kulturbetriebs. Sein neuer Essayband nimmt beide roten Fäden wieder auf. Darin beschäftigt er sich mit Barack Obama und Michael Jackson ebenso wie mit dem verstorbenen Christoph Schlingensief.
Natürlich, die Wirtschaftskrise. Auch Karl-Markus Gauß kommt in seinem zeitkritischen Journal nicht um das Thema herum. Dass er der rücksichtslosen Entfesselung der Finanzströme im postmodernen Kapitalismus wenig abgewinnen kann, daraus hat der bekennende Linksliberale nie ein Hehl gemacht.
Jetzt aber, so notiert der staunende Autor, müsse auch er entgeistert zur Kenntnis nehmen, dass der moderne Finanzkapitalismus nicht so sehr auf den Prinzipien knallharter Zahlen und Fakten zu beruhen scheint, sondern auf den Grundsätzen der Alchimie. Gauß schreibt:
"Kein Finanzwissenschaftler weiß dem ratlosen Publikum aus betrogenen Betrügern zu sagen, wo die ungeheuren Summen von Geld, die in den vergangenen Wochen und Monaten vernichtet wurden, vorher waren und wohin sie jetzt verschwunden sind."
Karl-Markus Gauß: "Früher hätte man gesagt, für Fantasien und Obsessionen sind Schriftsteller und Künstler zuständig. Heute kommt man drauf: Die wahren Fantasten sind jene Leute, die das Wirtschafts- und Finanzsystem dirigieren."
Das klingt lustiger, als es ist. Die Auswirkungen des Crashs sind höchst real, wie undurchsichtig die Machinationen der Finanz-Gambler dem Normalpublikum auch sein mögen. In Ländern wie Griechenland macht sich der Volkszorn über das flächendeckende Kaputtsparen einer ganzen Gesellschaft in gewaltsamen Ausschreitungen Luft.
Es gibt aber auch Staaten in Europa, so Karl-Markus Gauß, in denen jetzt schon, obwohl die Krise dort noch gar nicht richtig angekommen ist, rechtsradikale Bewegungen die politische Agenda bestimmen. Gauß nennt Ungarn, aber auch Österreich als Beispiele. Und er stellt fest …,
"... dass natürlich auch eine ziellose Wut existiert, die, je nachdem, wie ein Land mit seinen historischen Traditionen dasteht, auch ganz reaktionär und furchtbar ausgehen kann."
Karl-Markus Gauß formuliert es an keiner Stelle wörtlich, aber sein Journal ist auch eine kritische Phänomenologie der neoliberalen Welt, in der wir leben. Ob Gauß sich über die ordinären Zynismen des Privatfernsehens mokiert oder über das schlechte Service der "Österreichischen Bundesbahnen", ob er sich kritisch mit der Deregulierungswut geschmeidig gegelter - und oft auch geschmeidig geschmierter – Politiker auseinandersetzt oder mit den Ruchlosigkeiten einer entfesselten Esoterik-Medizin, die Krebspatienten für ihr Schicksal selbst verantwortlich macht: Immer ist es die neoliberale Welt von heute, die Gauß in seinen geschliffenen Texten zur Kenntlichkeit entstellt.
Wobei er kulturpessimistischen Anfechtungen, die ihn dann und wann heimsuchen könnten, mit Bedacht ausweicht.
Karl-Markus Gauß: "Vor dieser, für mich persönlich schon sehr großen Gefahr, dass ich mich wirklich in Kulturpessimismus verliere, schützt mich am ehesten einerseits ein gewisses historisches Bewusstsein, und zweitens auch eine gewisse Selbstironie. Denn das Abendland geht ja bekanntlich unter, seitdem es existiert."
Den Untergang des Abendlands hat für manche auch der Aktionskünstler Christoph Schlingensief verkörpert, zumindest in jüngeren Jahren. Erinnert sich noch jemand an die Performance "Tötet Kohl"? Karl-Markus Gauß hat den Schlingensief-Enthusiasmus der Spaßguerilla und namhafter Teile des deutschen Feuilletons nie teilen können.
Karl-Markus Gauß: "Er war mir wirklich, ich muss das so sagen, fast zuwider, als er in der Kraft seiner Jahre stand, weil ich seine Performances vor allem für Inszenierungen seiner selbst begriffen habe und nicht für substanziell kritische Aktionen."
"In einer Kultursendung tritt Christoph Schlingensief auf, abgemagert, gezeichnet von einer schweren Erkrankung, mit schmalem Gesicht, doch mit dem struppigen Haar des bezaubernden Jünglings und eloquent wie je. Sein Genie war immer ein mediales, sein Erfolg der eines Egomanen des sozialen Protests, der seine vorgeblich politischen Kunst-Interventionen nutzte, um seine privaten Obsessionen hemmungslos öffentlich ausleben zu können.
So sah ich es bisher. Nun aber kann ich nicht anders, als vom Anblick des Mannes berührt zu sein, vom Anblick eines Todkranken, der sich den Charme des aufsässigen Buben bewahrt hat. Er spricht von seiner Krankheit und vom Tod, mehr aber vom Leben vor dem Tod.
Hier sitzt einer, der den eigenen Tod zur öffentlichen Angelegenheit, das Sterben zur medialen Sache macht. Ich werde also von etwas gerührt, das ich aus tiefster Überzeugung ablehne."
In "Ruhm am Nachmittag" präsentiert sich Karl-Markus Gauß – einer der größten Stilisten der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur – auf der Höhe seiner Kunst. Wahrscheinlich gibt es gegenwärtig niemanden, der eine konzisere, klarere, angriffslustigere Prosa schreibt als er. Dieser Mann hat, um ein Wort von Karl Kraus zu variieren, nicht nur etwas zu sagen: Er kann es auch ausdrücken.
Karl-Markus Gauß: Ruhm am Nachmittag
Zsolnay-Verlag, Wien, 2012
Jetzt aber, so notiert der staunende Autor, müsse auch er entgeistert zur Kenntnis nehmen, dass der moderne Finanzkapitalismus nicht so sehr auf den Prinzipien knallharter Zahlen und Fakten zu beruhen scheint, sondern auf den Grundsätzen der Alchimie. Gauß schreibt:
"Kein Finanzwissenschaftler weiß dem ratlosen Publikum aus betrogenen Betrügern zu sagen, wo die ungeheuren Summen von Geld, die in den vergangenen Wochen und Monaten vernichtet wurden, vorher waren und wohin sie jetzt verschwunden sind."
Karl-Markus Gauß: "Früher hätte man gesagt, für Fantasien und Obsessionen sind Schriftsteller und Künstler zuständig. Heute kommt man drauf: Die wahren Fantasten sind jene Leute, die das Wirtschafts- und Finanzsystem dirigieren."
Das klingt lustiger, als es ist. Die Auswirkungen des Crashs sind höchst real, wie undurchsichtig die Machinationen der Finanz-Gambler dem Normalpublikum auch sein mögen. In Ländern wie Griechenland macht sich der Volkszorn über das flächendeckende Kaputtsparen einer ganzen Gesellschaft in gewaltsamen Ausschreitungen Luft.
Es gibt aber auch Staaten in Europa, so Karl-Markus Gauß, in denen jetzt schon, obwohl die Krise dort noch gar nicht richtig angekommen ist, rechtsradikale Bewegungen die politische Agenda bestimmen. Gauß nennt Ungarn, aber auch Österreich als Beispiele. Und er stellt fest …,
"... dass natürlich auch eine ziellose Wut existiert, die, je nachdem, wie ein Land mit seinen historischen Traditionen dasteht, auch ganz reaktionär und furchtbar ausgehen kann."
Karl-Markus Gauß formuliert es an keiner Stelle wörtlich, aber sein Journal ist auch eine kritische Phänomenologie der neoliberalen Welt, in der wir leben. Ob Gauß sich über die ordinären Zynismen des Privatfernsehens mokiert oder über das schlechte Service der "Österreichischen Bundesbahnen", ob er sich kritisch mit der Deregulierungswut geschmeidig gegelter - und oft auch geschmeidig geschmierter – Politiker auseinandersetzt oder mit den Ruchlosigkeiten einer entfesselten Esoterik-Medizin, die Krebspatienten für ihr Schicksal selbst verantwortlich macht: Immer ist es die neoliberale Welt von heute, die Gauß in seinen geschliffenen Texten zur Kenntlichkeit entstellt.
Wobei er kulturpessimistischen Anfechtungen, die ihn dann und wann heimsuchen könnten, mit Bedacht ausweicht.
Karl-Markus Gauß: "Vor dieser, für mich persönlich schon sehr großen Gefahr, dass ich mich wirklich in Kulturpessimismus verliere, schützt mich am ehesten einerseits ein gewisses historisches Bewusstsein, und zweitens auch eine gewisse Selbstironie. Denn das Abendland geht ja bekanntlich unter, seitdem es existiert."
Den Untergang des Abendlands hat für manche auch der Aktionskünstler Christoph Schlingensief verkörpert, zumindest in jüngeren Jahren. Erinnert sich noch jemand an die Performance "Tötet Kohl"? Karl-Markus Gauß hat den Schlingensief-Enthusiasmus der Spaßguerilla und namhafter Teile des deutschen Feuilletons nie teilen können.
Karl-Markus Gauß: "Er war mir wirklich, ich muss das so sagen, fast zuwider, als er in der Kraft seiner Jahre stand, weil ich seine Performances vor allem für Inszenierungen seiner selbst begriffen habe und nicht für substanziell kritische Aktionen."
"In einer Kultursendung tritt Christoph Schlingensief auf, abgemagert, gezeichnet von einer schweren Erkrankung, mit schmalem Gesicht, doch mit dem struppigen Haar des bezaubernden Jünglings und eloquent wie je. Sein Genie war immer ein mediales, sein Erfolg der eines Egomanen des sozialen Protests, der seine vorgeblich politischen Kunst-Interventionen nutzte, um seine privaten Obsessionen hemmungslos öffentlich ausleben zu können.
So sah ich es bisher. Nun aber kann ich nicht anders, als vom Anblick des Mannes berührt zu sein, vom Anblick eines Todkranken, der sich den Charme des aufsässigen Buben bewahrt hat. Er spricht von seiner Krankheit und vom Tod, mehr aber vom Leben vor dem Tod.
Hier sitzt einer, der den eigenen Tod zur öffentlichen Angelegenheit, das Sterben zur medialen Sache macht. Ich werde also von etwas gerührt, das ich aus tiefster Überzeugung ablehne."
In "Ruhm am Nachmittag" präsentiert sich Karl-Markus Gauß – einer der größten Stilisten der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur – auf der Höhe seiner Kunst. Wahrscheinlich gibt es gegenwärtig niemanden, der eine konzisere, klarere, angriffslustigere Prosa schreibt als er. Dieser Mann hat, um ein Wort von Karl Kraus zu variieren, nicht nur etwas zu sagen: Er kann es auch ausdrücken.
Karl-Markus Gauß: Ruhm am Nachmittag
Zsolnay-Verlag, Wien, 2012