Kritische Stimme in Syrien

Kurdischer Journalist im Visier des IS

Mutmaßliche Kämpfer des Islamischen Staates hissen die Flagge der Miliz auf einem Hügel bei Kobane in Syrien.
Die Flagge des Islamischen Staates gehisst auf einem Hügel in Syrien. © AFP / Aris Messinis
Von Michael Enger |
Taha Khalil arbeitet als TV-Moderator in Qamischli, einer Stadt im Norden Syriens. Obwohl er täglich von Kämpfern des Islamischen Staats bedroht wird, will er im Land bleiben und sich für ein friedliches Miteinander einsetzen.
Aus Angst vor Anschlägen ist die Straße gesichert durch Sperranlagen aus dicken Betonröhren, schwer bewaffnete Polizisten patrouillieren vor dem Gebäude. Der kurdische Fernsehsender Ronahi liegt im Zentrum von Qamischli, der größten Stadt in Rojava, wie die Kurden ihr Siedlungsgebiet im Norden von Syrien nennen. Rojava befindet sich im Krieg – gegen das Assad-Regime, vor allem aber gegen die Terrormilizen des Islamischen Staates. Denn seit zwei Jahren sind die kurdischen Gebiete von den Dschihadisten eingeschlossen.
"Ich weiß, dass ich auf der Liste bin"
Ronahi ist für die Kurden zu einer wichtigen Stimme geworden, islamistischen Fanatikern hingegen als Fernsehsender der "Ungläubigen" schon lange ein Dorn im Auge. Ihre Mitarbeiter wurden schon häufiger Opfer von Anschlägen – auch Taha Khalil, Moderator und "Anchorman" von Ronahi, Ende vierzig, ein wenig ergraute Haare, eine charismatische Persönlichkeit.
"Ich weiß, dass ich auf einer Liste bin. Diese Islamisten, sie suchen mich. Sie sind in unser Dorf gegangen: Sie haben unser Haus angebrannt. Sie haben dort gefragt, wo ist das Haus von dem Journalisten."
Taha Khalil leitet gerade im größten Fernsehstudio von Ronahi eine Gesprächsrunde. Vor dem Aufstand der Kurden gegen Assad arbeitete er in Syrien als Journalist, verfasste vor allem Literaturkritiken. Aber auch ein Dutzend Bücher hat er geschrieben, meist Gedichtbände und Romane, zwei wurden auch ins Deutsche übersetzt.
Lebensbedrohlicher Job, symbolisches Gehalt
Als die Kurden vor über zweieinhalb Jahren ihren eigenen Sender gründeten, wollte er helfen. Zuvor hatte er eine Zeitlang in der Schweiz gelebt. Wie alle Kollegen von Ronahi ist auch Taha immer bewaffnet, denn sie leben ständig im Fadenkreuz der Dschihadisten. Für ihre Arbeit bekommen sie nur ein symbolisches Gehalt, das kaum zum Leben reicht, obwohl der Job lebensbedrohlich ist.
"Einmal, etwa um ein Uhr in der Nacht, wurde geklingelt. Ich habe die Tür geöffnet, sehe zwei Jungen auf einem Motorrad. Einer hat mit mir gesprochen. Bist du der Herr Taha Khalil? Ich habe gesagt: ja. Plötzlich hatte der zweite, der hinten saß, eine Pistole in der Hand. In der Zeit habe ich sofort die Tür geschlossen, und er hat in die Tür getroffen. Das ist schlimm, wenn man so lebt. Ich versuche mich zu schützen, nicht so viel ausgehen. Aber wir haben alle einen Willen, zu arbeiten, weil wir gemerkt haben, dass die Kurden von der ganzen Welt im Stich gelassen wurden hier in Rojava."
Khalils 25-jährige Tochter wurde ermordet
In Tahas Haus hängt im Wohnzimmer ein großes Plakat an der Wand. Darauf ist eine junge Frau zu sehen. Es ist Halabja, seine Tochter. Im März 2014 wurde sie zusammen mit vier Freundinnen Opfer eines Selbstmordanschlages. Halabja war Architektin, baute mit großer Leidenschaft Kinderspielplätze und Parkanlagen, um die Stadt grüner zu machen. Sie war erst 25. Der Mord an seiner Tochter sei ihm Verpflichtung, im Land zu bleiben, sagt Taha. Er will mit seinen Mitteln als Journalist gegen den Terror der Islamisten kämpfen. Viele Freunde und Journalistenkollegen hingegen haben das Land verlassen.
"Das verstehe ich nicht und ich respektiere das auch nicht. Ich glaube, wir brauchen Intellektuelle. Sie sollen oder müssen hier sein, mit ihren Leuten; nicht, dass sie in Deutschland oder irgendwo in Europa bleiben."
Kurden haben autonome Selbstverwaltung errichtet
Die Kurden konnten sich lange aus der militärischen Konfrontation zwischen dem Assad-Regime und der syrischen Opposition heraushalten, dadurch viele Opfer und große Zerstörungen verhindern, die der Krieg im übrigen Syrien forderte. Sie wollen einen eigenen, einen dritten Weg gehen. Sie haben dem syrischen Regime die kurdischen Gebiete entrissen und dort eine autonome Selbstverwaltung aufgebaut, in der Araber und Kurden, Muslime und Christen gleichberechtigt zusammenarbeiten wollen.
"Ich kann sehen, wie ein Kurde und ein Araber stundenlang zusammensitzen, diskutieren und lachen. Das heißt, die Sache hat Zukunft, das ist eine Lösung für ganz Syrien. Jeder muss seine Sprache haben, seine Kultur haben, jeder ein Recht, seine Sprache zu lernen, seine Kleider, seine eigenen Sachen machen."
Deshalb wird Taha Khalil trotz der tagtäglichen Bedrohung durch die Terrormilizen des Islamischen Staates auch weiterhin über den Überlebenskampf der Kurden in Rojava berichten.
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