Kroatien-Beitritt: Hoffnung auf Sogwirkung für Bosnien
Ein positiver Effekt der neuen Grenze zur EU könnte sein, dass die Lage im politisch gelähmten Bosnien-Herzegowina sich insgesamt verbessert, sagt Bodo Weber. Akut haben allerdings die Bauern des Landes das Nachsehen, weil ihnen nun der kroatische Absatzmarkt fehle, so der Soziologe.
Stephan Karkowsky: Freude bei den Kroaten, Verdruss in Bosnien-Herzegowina – der Beitritt Kroatiens zur EU hat die lange Grenze zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina zur neuen EU-Außengrenze gemacht. Bis zu einem eigenen EU-Beitritt kann das für viele Menschen schwerwiegende Folgen haben. Und noch ist dieser Beitritt in weiter Ferne, denn Bosnien-Herzegowina, das ist ein sehr kompliziertes Staatengebilde und es steckt dazu auch noch in einer schweren politischen Krise. Aus Wien Stephan Ozsváth.
Karkowsky: Und nun sind die Nachbarn also in der EU. Und von den Folgen der neuen Grenze kann uns Bodo Weber berichten vom Democratization Policy Council - Zungenbrecher! Der promovierte Soziologe ist langjähriger Experte für Bosnien. Guten Morgen, Herr Weber!
Bodo Weber: Guten Morgen!
Karkowsky: Für die Bürger Bosnien-Herzegowinas gilt doch seit Dezember 2010, wie für den Rest-Balkan, keine Visumpflicht für Reisen bis zu 90 Tagen in den Schengenraum. Also eigentlich dürfte sich durch die neue Grenze doch gar nichts ändern?
Weber: Ja, was die Reisefreiheit oder die Reisemöglichkeit nach Kroatien betrifft, hat sich ein bisschen was verändert. Bisher konnte man nach Kroatien mit Personalausweis reisen. Die bosnischen Behörden haben versucht, das bei der EU mit Kroatien auch durchzusetzen, dass das beibehalten werden kann. Das ist leider nicht gelungen. Das heißt, seit gestern eigentlich müssen die bosnischen Bürger jetzt auch – Sommerzeit, an die Küste, wenn sie reisen wollen, müssen sie den biometrischen Pass haben, den sie bisher auch in die EU brauchten. Aber es ist richtig, sie brauchen sonst kein Visum.
Karkowsky: Wie lebendig muss ich mir diesen Grenzverkehr überhaupt vorstellen? Ist das so wie zwischen Deutschland und Polen, wo die einen zu den Märkten fahren und zum Tanken und die anderen zum Arbeiten. Oder warum fahren überhaupt Bosnier durch Kroatien bislang?
Weber: Ja, es gibt praktisch – da gibt es zwei Aspekte. Das eine ist quasi im Süden, in der Herzegowina, Grenze zu Dalmatien, wo ja mehrheitlich auf beiden Seiten kroatische Bevölkerung lebt. Da gibt es den kleinen Grenzverkehr, also was Arbeiten betrifft, Einkaufen. Viele Dalmatiner aus Kroatien kaufen in der Herzegowina ein, weil dort die Lebensmittelpreise niedriger sind. Das ist der eine Bereich, und das andere ist einfach, für die Bosnier ist klassisch die dalmatinische Küste, das ist der Sommerurlaubsort. Viele Bosnier haben Häuser am Meer. Also das sind so die beiden Bereiche praktisch, wo man in der Regel gereist ist nach Kroatien.
Karkowsky: Also statt Personalausweis brauchen die jetzt den biometrischen Reisepass. Wo ist das Problem? Eigentlich ist doch alles wie vorher.
Weber: Nein. Da haben Sie recht, praktisch, was das Reisen anbetrifft, da hat sich nichts verändert. Ein bisschen schwieriger wird es dann in den wirtschaftlichen Beziehungen.
Karkowsky: Warum?
Weber: Weil Bosnien gehalten ist, natürlich, da Kroatien jetzt in der EU ist, ist der Export nach Kroatien, unterliegt jetzt natürlich den Regeln der EU. Das betrifft vor allem den Bereich der landwirtschaftlichen Produktion, wo Bosnien sehr stark auf den kroatischen Markt exportiert hat. Da ist Bosnien angehalten gewesen in den letzten zehn Jahren, vor allen Dingen die hygienischen Standards, Zertifizierung einzuhalten. Da ist praktisch bis vor einem Jahr gar nichts passiert, weil einfach, das ist ja in Ihrer Eingangsdarstellung schon beschrieben worden, der bosnische Staat funktioniert relativ schlecht. Er ist zunehmend paralysiert in den letzten zwei, zweieinhalb Jahren. Seit den letzten Wahlen funktioniert die Regierung praktisch überhaupt nicht. Und da ist einfach die Regierung nicht nachgekommen, die Behörden.
Und das bedeutet jetzt zum Beispiel für Zehntausende Bauern, die schon Proteste angekündigt haben, dass sie Produkte wie Eier und Milch, die sie in großem Umfang vor allem für den kroatischen Markt produziert haben, nicht mehr werden exportieren können, und dass im Grunde hier die Produktion über Nacht praktisch zusammenbricht.
Karkowsky: Wie muss ich mir das vorstellen? Sind das Bauern, die ihre Waren auf Großmärkten verkaufen, die dann wiederum mit großen Lastern nach Kroatien transportiert worden sind, oder fahren die selber rüber, ist das eher so ein Kleinhandel?
Weber: Nein, das ist schon praktisch richtig kommerzielle Aktivität. Also die großen und mittelständischen Unternehmen, Lebensmittel produzierende Unternehmen, hier Milchproduzenten, die können quasi jetzt ihre Milch in den Ausguss kippen oder an die Grenze, wie sie es zum Teil jetzt auch angekündigt haben, Protestaktionen, und auch schon gemacht haben in den letzten ein, zwei Jahren.
Karkowsky: Sind die wirtschaftlich gefährdet in dem Maße, dass man sagen muss, es kann sein, dass jetzt Zehntausende Bauern eventuell ihr Einkommen nicht mehr erwirtschaften können?
Weber: Klar. Also diese Unternehmen zum Großteil, da gibt es keinen Ersatzmarkt dafür, die werden zum Teil pleitegehen.
Karkowsky: Gilt das denn für alle eigentlich gleich? Weil, es ist ja nicht einmal jeder zweite bosnische Bürger ein Bosniake, 37 Prozent der Bevölkerung sind Serben, 14 Prozent sind Kroaten. Dürfen die denn eigentlich ohne Probleme Dinge ausführen?
Weber: Nein. Also ein Großteil der Kroaten hat ja auch eine doppelte Staatsbürgerschaft als Resultat des Krieges. Das heißt, die können reisen, die haben praktisch jetzt auch die Annehmlichkeiten, die Kroatien hat mit der EU. Also es können selbst kroatische Bürger eines Staates, der – also kroatische Bürger Bosnien-Herzegowinas, eines Staates, der völlig blockiert ist im Integrationsprozess, zum Beispiel, können sich jetzt für Arbeit bei der EU-Kommission bewerben. Das ist die absurde Situation, die wir haben. Aber was die Handelsbeziehungen betrifft, das sind ja zwischenstaatliche Beziehungen beziehungsweise Beziehungen zwischen dem Staat Bosnien-Herzegowina und der EU jetzt, das hat praktisch – das ist unabhängig von der Bevölkerung.
Karkowsky: Sie hören im Radiofeuilleton den Bosnien-Experten Bodo Weber, der uns etwas erzählt über die Folgen der Tatsache, dass Kroatien jetzt natürlich die EU-Außengrenze verlegt hat an Bosnien-Herzegowina, mit dem es einen großen Teil seiner Grenze teilt. Herr Weber, diese Stimmung im Land – würden Sie sagen, dass alle jetzt gleich sauer sind, darüber, dass es diese Handelserschwernisse gibt dadurch, dass man die Produkte nicht mehr so einfach ausführen kann? Oder gilt das nur für bestimmte Gruppen in der Bevölkerung?
Weber: Nein. Also das können Sie sehen, praktisch – Sie hatten früher Situationen, wo die Bauernverbände doch auch sehr stark ethnisch geteilt sind. Aber Sie konnten im letzten Jahr Proteste sehen von den Bauern in der Republika Srpska, den Bauernverbänden, die jetzt angekündigt haben, Proteste zu machen. Kroatische Bauernverbände, das trifft alle gleichermaßen.
Karkowsky: Und die Bevölkerung, steht die hinter diesen Protesten?
Weber: Ja gut, wir müssen sehen im Moment, dass also, während gestern alle Zeitungen in Bosnien voll waren und begrüßt haben den Beitritt Kroatiens und die Bevölkerung im Grunde auch im Großen und Ganzen Kroatien gratuliert hat, froh war, dass der Nachbar praktisch jetzt in die EU gekommen ist, hatten wir gestern in Sarajewo eine Fortsetzung von Protesten, die jetzt einen Monat schon dauern gegen eigentlich nicht nur die Regierung, gegen die gesamte politische Klasse, weil wir einfach eine Situation haben, wo nicht nur der Integrationsprozess blockiert ist, sondern einfach insgesamt die Situation so ist, dass die Institutionen weitgehend politisch blockiert sind und auch wirtschaftlich eine sehr schwierige Lage ist.
Das heißt, wir haben eine Gesamtsituation, wo eigentlich Wut und Hoffnungslosigkeit bestimmen. Und die Stimmung der Bevölkerung jetzt, ist wie gesagt, ein Stück weit ein bisschen in Bürgerproteste anfangs endlich mal umgeschlagen. Da gibt es natürlich auf der einen Seite so ein bisschen Hoffnung, dass der Kroatien-Beitritt eine Sogwirkung hat. Auf der anderen Seite ist aber im Moment eine ganz klare Stimmung gegen die eigenen politischen Eliten, die man verantwortlich macht für die völlige Blockade des eigenen Landes.
Karkowsky: Aus unserer Sicht, aus EU-Perspektive, gab es ja schon bei Kroatien eine Menge Stirnrunzeln unter den EU-Bürgern nach dem Motto: Warum muss die an sich selbst krankende EU jetzt noch ein Sorgenkind durchschleppen? Was glauben Sie denn, wie lange Bosnien-Herzegowina noch braucht, um aufgenommen zu werden? Glauben Sie überhaupt daran?
Weber: Ja, das – ich denke, wir haben gerade ein schönes Beispiel gesehen gegen diese Skepsis in den Verhandlungen zwischen Serbien und Kosovo. Dass ein lange gedachter Statuskonflikt, der unlösbar ist, praktisch innerhalb von einem Jahr Fortschritte erzielt werden konnten, die man sich vor einem Jahr nicht vorstellen konnte, fast schon historisch zu nennen. Eben aufgrund der Zuckerbrot-und-Peitsche-Perspektive der EU-Integration.
In Bosnien haben wir eine schwierigere Situation, weil die EU im Grunde hier auch die falsche Politik der lokalen Eliten ein Stück weit mit befördert hat, indem sie Bedingungen heruntergeschraubt hat in der Hoffnung, die würden dann über die Hürde, die niedriger ist, springen. Im Moment ist das schwer absehbar.
Wir haben jetzt – im April diesen ist Jahres eine Forderung der EU nicht erfüllt worden. Das hat im Grunde bedeutet, dass wir in den nächsten zwei Jahren keine Fortschritte im EU-Integrationsprozess haben werden. Und im Moment ist so ein bisschen Ratlosigkeit innerhalb der EU, was für eine Politik wirksam ist. Das ist schon ein Stück weit Fortschritt, weil bisher hat man eine falsche Politik gemacht und wollte über Jahre nicht eingestehen, was sichtbar war: dass sie nicht funktioniert. Ich denke, mit der richtigen Politik wird es auch möglich sein, Bosnien zu stabilisieren und auch auf einen Reformkurs zu führen. Aber ich denke, das lässt sich im Moment noch nicht absehen, ob die EU die Kraft finden wird, nachdem Kroatien und Serbien und Kosovo Bewegung gekriegt haben, auch hier eine andere Politik einzuleiten.
Karkowsky: Warum die Bauern in Bosnien-Herzegowina darunter leiden, dass Kroatien nun EU-Mitglied ist. Einsichten vom Bosnien-Experten Bodo Weber. Ihnen besten Dank!
Weber: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Karkowsky: Und nun sind die Nachbarn also in der EU. Und von den Folgen der neuen Grenze kann uns Bodo Weber berichten vom Democratization Policy Council - Zungenbrecher! Der promovierte Soziologe ist langjähriger Experte für Bosnien. Guten Morgen, Herr Weber!
Bodo Weber: Guten Morgen!
Karkowsky: Für die Bürger Bosnien-Herzegowinas gilt doch seit Dezember 2010, wie für den Rest-Balkan, keine Visumpflicht für Reisen bis zu 90 Tagen in den Schengenraum. Also eigentlich dürfte sich durch die neue Grenze doch gar nichts ändern?
Weber: Ja, was die Reisefreiheit oder die Reisemöglichkeit nach Kroatien betrifft, hat sich ein bisschen was verändert. Bisher konnte man nach Kroatien mit Personalausweis reisen. Die bosnischen Behörden haben versucht, das bei der EU mit Kroatien auch durchzusetzen, dass das beibehalten werden kann. Das ist leider nicht gelungen. Das heißt, seit gestern eigentlich müssen die bosnischen Bürger jetzt auch – Sommerzeit, an die Küste, wenn sie reisen wollen, müssen sie den biometrischen Pass haben, den sie bisher auch in die EU brauchten. Aber es ist richtig, sie brauchen sonst kein Visum.
Karkowsky: Wie lebendig muss ich mir diesen Grenzverkehr überhaupt vorstellen? Ist das so wie zwischen Deutschland und Polen, wo die einen zu den Märkten fahren und zum Tanken und die anderen zum Arbeiten. Oder warum fahren überhaupt Bosnier durch Kroatien bislang?
Weber: Ja, es gibt praktisch – da gibt es zwei Aspekte. Das eine ist quasi im Süden, in der Herzegowina, Grenze zu Dalmatien, wo ja mehrheitlich auf beiden Seiten kroatische Bevölkerung lebt. Da gibt es den kleinen Grenzverkehr, also was Arbeiten betrifft, Einkaufen. Viele Dalmatiner aus Kroatien kaufen in der Herzegowina ein, weil dort die Lebensmittelpreise niedriger sind. Das ist der eine Bereich, und das andere ist einfach, für die Bosnier ist klassisch die dalmatinische Küste, das ist der Sommerurlaubsort. Viele Bosnier haben Häuser am Meer. Also das sind so die beiden Bereiche praktisch, wo man in der Regel gereist ist nach Kroatien.
Karkowsky: Also statt Personalausweis brauchen die jetzt den biometrischen Reisepass. Wo ist das Problem? Eigentlich ist doch alles wie vorher.
Weber: Nein. Da haben Sie recht, praktisch, was das Reisen anbetrifft, da hat sich nichts verändert. Ein bisschen schwieriger wird es dann in den wirtschaftlichen Beziehungen.
Karkowsky: Warum?
Weber: Weil Bosnien gehalten ist, natürlich, da Kroatien jetzt in der EU ist, ist der Export nach Kroatien, unterliegt jetzt natürlich den Regeln der EU. Das betrifft vor allem den Bereich der landwirtschaftlichen Produktion, wo Bosnien sehr stark auf den kroatischen Markt exportiert hat. Da ist Bosnien angehalten gewesen in den letzten zehn Jahren, vor allen Dingen die hygienischen Standards, Zertifizierung einzuhalten. Da ist praktisch bis vor einem Jahr gar nichts passiert, weil einfach, das ist ja in Ihrer Eingangsdarstellung schon beschrieben worden, der bosnische Staat funktioniert relativ schlecht. Er ist zunehmend paralysiert in den letzten zwei, zweieinhalb Jahren. Seit den letzten Wahlen funktioniert die Regierung praktisch überhaupt nicht. Und da ist einfach die Regierung nicht nachgekommen, die Behörden.
Und das bedeutet jetzt zum Beispiel für Zehntausende Bauern, die schon Proteste angekündigt haben, dass sie Produkte wie Eier und Milch, die sie in großem Umfang vor allem für den kroatischen Markt produziert haben, nicht mehr werden exportieren können, und dass im Grunde hier die Produktion über Nacht praktisch zusammenbricht.
Karkowsky: Wie muss ich mir das vorstellen? Sind das Bauern, die ihre Waren auf Großmärkten verkaufen, die dann wiederum mit großen Lastern nach Kroatien transportiert worden sind, oder fahren die selber rüber, ist das eher so ein Kleinhandel?
Weber: Nein, das ist schon praktisch richtig kommerzielle Aktivität. Also die großen und mittelständischen Unternehmen, Lebensmittel produzierende Unternehmen, hier Milchproduzenten, die können quasi jetzt ihre Milch in den Ausguss kippen oder an die Grenze, wie sie es zum Teil jetzt auch angekündigt haben, Protestaktionen, und auch schon gemacht haben in den letzten ein, zwei Jahren.
Karkowsky: Sind die wirtschaftlich gefährdet in dem Maße, dass man sagen muss, es kann sein, dass jetzt Zehntausende Bauern eventuell ihr Einkommen nicht mehr erwirtschaften können?
Weber: Klar. Also diese Unternehmen zum Großteil, da gibt es keinen Ersatzmarkt dafür, die werden zum Teil pleitegehen.
Karkowsky: Gilt das denn für alle eigentlich gleich? Weil, es ist ja nicht einmal jeder zweite bosnische Bürger ein Bosniake, 37 Prozent der Bevölkerung sind Serben, 14 Prozent sind Kroaten. Dürfen die denn eigentlich ohne Probleme Dinge ausführen?
Weber: Nein. Also ein Großteil der Kroaten hat ja auch eine doppelte Staatsbürgerschaft als Resultat des Krieges. Das heißt, die können reisen, die haben praktisch jetzt auch die Annehmlichkeiten, die Kroatien hat mit der EU. Also es können selbst kroatische Bürger eines Staates, der – also kroatische Bürger Bosnien-Herzegowinas, eines Staates, der völlig blockiert ist im Integrationsprozess, zum Beispiel, können sich jetzt für Arbeit bei der EU-Kommission bewerben. Das ist die absurde Situation, die wir haben. Aber was die Handelsbeziehungen betrifft, das sind ja zwischenstaatliche Beziehungen beziehungsweise Beziehungen zwischen dem Staat Bosnien-Herzegowina und der EU jetzt, das hat praktisch – das ist unabhängig von der Bevölkerung.
Karkowsky: Sie hören im Radiofeuilleton den Bosnien-Experten Bodo Weber, der uns etwas erzählt über die Folgen der Tatsache, dass Kroatien jetzt natürlich die EU-Außengrenze verlegt hat an Bosnien-Herzegowina, mit dem es einen großen Teil seiner Grenze teilt. Herr Weber, diese Stimmung im Land – würden Sie sagen, dass alle jetzt gleich sauer sind, darüber, dass es diese Handelserschwernisse gibt dadurch, dass man die Produkte nicht mehr so einfach ausführen kann? Oder gilt das nur für bestimmte Gruppen in der Bevölkerung?
Weber: Nein. Also das können Sie sehen, praktisch – Sie hatten früher Situationen, wo die Bauernverbände doch auch sehr stark ethnisch geteilt sind. Aber Sie konnten im letzten Jahr Proteste sehen von den Bauern in der Republika Srpska, den Bauernverbänden, die jetzt angekündigt haben, Proteste zu machen. Kroatische Bauernverbände, das trifft alle gleichermaßen.
Karkowsky: Und die Bevölkerung, steht die hinter diesen Protesten?
Weber: Ja gut, wir müssen sehen im Moment, dass also, während gestern alle Zeitungen in Bosnien voll waren und begrüßt haben den Beitritt Kroatiens und die Bevölkerung im Grunde auch im Großen und Ganzen Kroatien gratuliert hat, froh war, dass der Nachbar praktisch jetzt in die EU gekommen ist, hatten wir gestern in Sarajewo eine Fortsetzung von Protesten, die jetzt einen Monat schon dauern gegen eigentlich nicht nur die Regierung, gegen die gesamte politische Klasse, weil wir einfach eine Situation haben, wo nicht nur der Integrationsprozess blockiert ist, sondern einfach insgesamt die Situation so ist, dass die Institutionen weitgehend politisch blockiert sind und auch wirtschaftlich eine sehr schwierige Lage ist.
Das heißt, wir haben eine Gesamtsituation, wo eigentlich Wut und Hoffnungslosigkeit bestimmen. Und die Stimmung der Bevölkerung jetzt, ist wie gesagt, ein Stück weit ein bisschen in Bürgerproteste anfangs endlich mal umgeschlagen. Da gibt es natürlich auf der einen Seite so ein bisschen Hoffnung, dass der Kroatien-Beitritt eine Sogwirkung hat. Auf der anderen Seite ist aber im Moment eine ganz klare Stimmung gegen die eigenen politischen Eliten, die man verantwortlich macht für die völlige Blockade des eigenen Landes.
Karkowsky: Aus unserer Sicht, aus EU-Perspektive, gab es ja schon bei Kroatien eine Menge Stirnrunzeln unter den EU-Bürgern nach dem Motto: Warum muss die an sich selbst krankende EU jetzt noch ein Sorgenkind durchschleppen? Was glauben Sie denn, wie lange Bosnien-Herzegowina noch braucht, um aufgenommen zu werden? Glauben Sie überhaupt daran?
Weber: Ja, das – ich denke, wir haben gerade ein schönes Beispiel gesehen gegen diese Skepsis in den Verhandlungen zwischen Serbien und Kosovo. Dass ein lange gedachter Statuskonflikt, der unlösbar ist, praktisch innerhalb von einem Jahr Fortschritte erzielt werden konnten, die man sich vor einem Jahr nicht vorstellen konnte, fast schon historisch zu nennen. Eben aufgrund der Zuckerbrot-und-Peitsche-Perspektive der EU-Integration.
In Bosnien haben wir eine schwierigere Situation, weil die EU im Grunde hier auch die falsche Politik der lokalen Eliten ein Stück weit mit befördert hat, indem sie Bedingungen heruntergeschraubt hat in der Hoffnung, die würden dann über die Hürde, die niedriger ist, springen. Im Moment ist das schwer absehbar.
Wir haben jetzt – im April diesen ist Jahres eine Forderung der EU nicht erfüllt worden. Das hat im Grunde bedeutet, dass wir in den nächsten zwei Jahren keine Fortschritte im EU-Integrationsprozess haben werden. Und im Moment ist so ein bisschen Ratlosigkeit innerhalb der EU, was für eine Politik wirksam ist. Das ist schon ein Stück weit Fortschritt, weil bisher hat man eine falsche Politik gemacht und wollte über Jahre nicht eingestehen, was sichtbar war: dass sie nicht funktioniert. Ich denke, mit der richtigen Politik wird es auch möglich sein, Bosnien zu stabilisieren und auch auf einen Reformkurs zu führen. Aber ich denke, das lässt sich im Moment noch nicht absehen, ob die EU die Kraft finden wird, nachdem Kroatien und Serbien und Kosovo Bewegung gekriegt haben, auch hier eine andere Politik einzuleiten.
Karkowsky: Warum die Bauern in Bosnien-Herzegowina darunter leiden, dass Kroatien nun EU-Mitglied ist. Einsichten vom Bosnien-Experten Bodo Weber. Ihnen besten Dank!
Weber: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.