Kroatien

Das Gesicht eines anderen Osteuropa

Die Flagge von Kroatien.
In Kroatien herrscht mehr Empathie für Flüchtlinge als in anderen ehemaligen Teilstaaten Jugoslawiens. © Deutschlandradio / Ellen Wilke
Von Dunja Melcic |
Die Kroaten zeigten sich solidarischer mit Flüchtlingen als ihre osteuropäischen Nachbarn, hat die Publizistin Dunja Melcic festgestellt. Sie würden sich noch gut an Krieg und Vertreibung im eigenen Land erinnern.
Als Ungarn im letzten Sommer seine Grenzen für Flüchtlinge schloss, war Kroatien vorgewarnt – und wenig später doch überrascht. Es rechnete nicht damit, dass so viele Menschen, die am ungarischen Stacheldraht abgewiesen worden waren, den Weg über Serbien nehmen würden, um zur kroatischen Grenze zu gelangen.
Die Medien berichteten auch bald von chaotischen Zuständen. Und die Öffentlichkeit begann, der eigenen Regierung zu misstrauen, die anders als sie beteuerte, nicht vorbereitet war, Flüchtlinge menschenwürdig aufzunehmen. Stattdessen attackierte Zagreb die Regierung in Belgrad und sperrte unsinnigerweise den Transit für LKWs aus Serbien.
Das empörte die Kroaten, die erst erleichtert waren, als der politische Streit begraben war und die Flüchtlinge angemessen versorgt werden konnten, bis sie schließlich weiterreisten.

Empathie der Kroaten für Flüchtlinge

Einfühlsame Reportagen hatten Hochkonjunktur. Sie berichteten ausführlich über die Strapazen der Flucht aus dem syrischen Bürgerkrieg, über bewegende Familienschicksale sowie über die Hilfsbereitschaft unzähliger Freiwilliger, unter ihnen dort lebender Araber, Iraner oder Syrer, die sich bereitwillig zum Dolmetschen meldeten. Empathie und Respekt bestimmten das gesellschaftliche Klima.
Kaum Kritik war zu hören, als sich die eigene Regierung von den ungarischen Abwehrmaßnahmen distanzierte, eine europäische Lösung unterstützte und bereit war, 1600 Migranten aufzunehmen – anteilig, wie es Brüssel von allen EU-Staaten fordert.
Meinungsumfragen bestätigten, dass es Konsens der Gesellschaft ist, gegenüber Bürgerkriegsflüchtlingen gastfreundlich zu sein. Und es fällt auf, wie sehr sich Kroatiens Haltung von der anderer postkommunistischer Länder unterscheidet. Wahrscheinlich wirkt die Erfahrung der eigenen jüngeren Geschichte im zerfallenen Jugoslawien nach.

Erfahrungen im zerfallenen Jugoslawien

Als es sich vom totalitären Vielvölkerstaat auf dem Balkan trennte, berief es sich auf europäische Werte. Und anders als die Ungarn erlebten die Kroaten Krieg und seine Folgen vor gar nicht so langer Zeit noch auf eigenem Territorium. Sie haben Flucht und Vertreibung daher nicht vergessen.
Deutschland, das sich für ein Willkommen entschied, ist ihnen da näher als Ungarn, dessen Präsident über "Rotten unverbesserlicher Kämpfer für die Menschenrechte" herzog.
Seit Anfang März ist die sogenannte Balkan-Route geschlossen und der Grenzverkehr nach Ungarn – besonders mit der Eisenbahn – wieder offen. Schon im Januar war in Zagreb die sozialdemokratische Regierung von einer Mitte-Rechts-Koalition abgelöst worden.

Neue Mitte-Rechts-Regierung im Dilemma

Man sieht den neuen kroatischen Regierungschef Tihomir Oreskovic, der eine Rede im Parlament hält.
Der neue kroatische Ministerpräsident Tihomir Oreskovic spricht im Parlament in Zagreb.© picture-alliance / dpa / EPA
Noch in der Opposition hatten die Konservativen deutlich gemacht, dass sie doch eher Verständnis für die Flüchtlingspolitik Viktor Orbáns haben. Wenn sich nun die Europäische Union anschickt, ihre Asyl- und Einwanderungspraxis zu harmonisieren, könnte das neue Regierungsbündnis allerdings in ein wirkliches Dilemma geraten. Es müsste zwischen Gastfreundlichkeit kroatischer Art und fremdenfeindlicher Abschottung osteuropäischer Manier entscheiden.
Was es nicht einfacher macht, ist der angeschlagene Zustand des Landes. Weswegen Ministerpräsident Tihomir Oreskovic sich vorgenommen hat, die Wirtschaft anzukurbeln, die Arbeitslosigkeit wie die Staatsschulden zu senken und den Lebensstandard anzuheben. Das würde Reformen voraussetzen, die seit 1991 gescheut wurden.
Ob die Agenda des parteilosen Politikneulings, der lange in Kanada lebte, dann noch ein Mitgefühl für Flüchtlinge aus dem Nahen Osten zulässt, das wird sich erst wohl noch zeigen.
Dunja Melcic, geboren 1950 in Kroatien, ist Philosophin und freie Autorin. Sie lebt seit 1974 in Frankfurt, wo sie 1981 über Martin Heidegger promovierte. Die Publizistin setzt sich besonders mit Themen aus Philosophie und internationaler Politik auseinander - mit dem Akzent auf Südosteuropa.
Veröffentlichungen: "Jugoslawien-Krieg. Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen" (Hg., 1999, 2007); "Das Denken der Freiheit zwischen gestern und heute. Auf den Spuren Hannah Arendts" (2007); "Jugoslawismus ohne Jugoslawien" (2011); "Europe and the Balkans: The History of (national) Discourses" (2015).
Die Publizistin Dunja Melcic
Die Publizistin Dunja Melcic© privat
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