Kroatiens Rückkehr nach Europa
Mit seinen Adria-Inseln ist Kroatien vielen Menschen als Urlaubsland bekannt, aber über seine wechselvolle Geschichte seit Ende der Habsburgischen Monarchie – also seit fast 100 Jahren – weiß man hierzulande wenig. Die kroatische Philosophin Dunja Melcic ruft die Geschichte ihrer Heimat in Erinnerung.
Täglich zeigen uns die Fernsehnachrichten die Landkarte der Europäischen Union. Jetzt ist sie im Süden etwas fülliger geworden. Ein Großteil der adriatischen Ostküste wird sichtbar, jener der zu Kroatien gehört. Das Land wird nun als eigenständiger Staat Mitglied einer großen Völkerfamilie. So vollendet sich für Kroatien ein geschichtliches Ringen um gleichberechtigte Eingliederung in die europäische Großfamilie.
Den ersten Weltkrieg nannte der bekannte US-amerikanische Historiker und Diplomat George Kennan eine "Urkatastrophe des Jahrhunderts" und münzte diesen Spruch auf die Großmächte. Doch katastrophal waren seine Folgen auch für die kleinen Länder im Süden der Habsburger Monarchie.
Schon lange hatte sich Kroatiens Landbevölkerung eine Republik gewünscht. Doch obschon sie gegenüber den Stadtbewohnern in der Mehrheit war, erhielt ihre Bauernpartei nach den Wahlen zum kroatischen Landtag nur wenige Sitze. Es war lediglich eine Minidemokratisierung, die das Wahlgesetz kurz vor dem Kriegsausbruch erlaubte.
Die nur halbherzigen Reformen und der Mangel an demokratischen Rechten trugen zum Zerfall der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie bei. In der komplexen kroatischen Grundsituation aber machten sie auf lange Zeit die Chancen für eine echte Selbstbestimmung zunichte.
Denn als die Bevölkerung nach dem Kriege erstmals bei allgemeinen und geheimen Wahlen frei entscheiden durfte, befand sie sich bereits in einem neugegründeten südslawischen Staat. Das gemeinsame Königreich der Serben, Slowenen und Kroaten hatte viele Befürworter, vor allem unter den Alliierten und der kroatischen Elite.
Die überwältigende Mehrheit der Bürger aber lehnte Monarchie und einen oktroyierten Staat ab, verhalf deswegen der Bauernpartei nunmehr mehrfach zum Sieg. Gegründet wurde sie von Stjepan Radic. An der Sorbonne promoviert, verband der politische Denker die nationalen Bestrebungen mit demokratischen und liberalen republikanischen Idealen im humanistischen Geist.
Das Ziel einer kroatischen Republik war für ihn nicht erreichbar. Erst Generationen später konnte die Bevölkerung wieder frei wählen. Nach dem Kollaps des kommunistischen Systems stimmte sie im April 1990 für jene Partei, von der zu erwarten war, dass sie das Land aus dem jugoslawischen Verbund herausführen würde: die von Franjo Tudjman angeführte HDZ.
Wenn Kroatien nun gleichberechtigtes Mitglied der EU geworden ist, dann bedeutet dies eine Rückkehr des Landes in jenen geopolitischen Raum, aus dem es nach dem Ersten Weltkrieg unfreiwillig schied.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte es sich im föderativen Vielvölkerstaat materiell besser als je zuvor in seiner Geschichte; manches davon geschah dank des sozialistischen Systems, das meiste trotz desselben.
Aber es war jahrzehntelang isoliert von der politischen Kultur des Westens; Generation für Generation wurde der ideologischen Indoktrinierung unterworfen. Bis heute hat sich die politische Kultur davon nicht befreit.
So bleibt nur die Hoffnung, dass der Beitritt zur EU zu einer Wende im politischen Denken auf der Grundlage der westlichen Werte führt, wie sie schon einmal für das Politikverständnis des kroatischen Ausnahmepolitikers Stjepan Radic leitend waren.
Dunja Melcic, geb. 1950 in Kroatien, Philosophin und freie Autorin; lebt seit 1974 in Frankfurt am Main, wo sie 1981 über Martin Heidegger promovierte; setzt sich besonders mit Themen aus Philosophie und internationaler Politik auseinander - mit dem Akzent auf Südosteuropa. Veröffentlichungen: "Jugoslawien-Krieg. Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen" (Hg., 1999, 2007); "Das Denken der Freiheit zwischen gestern und heute. Auf den Spuren Hannah Arendts" (2007); "Jugoslawismus ohne Jugoslawien" (2011).
Den ersten Weltkrieg nannte der bekannte US-amerikanische Historiker und Diplomat George Kennan eine "Urkatastrophe des Jahrhunderts" und münzte diesen Spruch auf die Großmächte. Doch katastrophal waren seine Folgen auch für die kleinen Länder im Süden der Habsburger Monarchie.
Schon lange hatte sich Kroatiens Landbevölkerung eine Republik gewünscht. Doch obschon sie gegenüber den Stadtbewohnern in der Mehrheit war, erhielt ihre Bauernpartei nach den Wahlen zum kroatischen Landtag nur wenige Sitze. Es war lediglich eine Minidemokratisierung, die das Wahlgesetz kurz vor dem Kriegsausbruch erlaubte.
Die nur halbherzigen Reformen und der Mangel an demokratischen Rechten trugen zum Zerfall der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie bei. In der komplexen kroatischen Grundsituation aber machten sie auf lange Zeit die Chancen für eine echte Selbstbestimmung zunichte.
Denn als die Bevölkerung nach dem Kriege erstmals bei allgemeinen und geheimen Wahlen frei entscheiden durfte, befand sie sich bereits in einem neugegründeten südslawischen Staat. Das gemeinsame Königreich der Serben, Slowenen und Kroaten hatte viele Befürworter, vor allem unter den Alliierten und der kroatischen Elite.
Die überwältigende Mehrheit der Bürger aber lehnte Monarchie und einen oktroyierten Staat ab, verhalf deswegen der Bauernpartei nunmehr mehrfach zum Sieg. Gegründet wurde sie von Stjepan Radic. An der Sorbonne promoviert, verband der politische Denker die nationalen Bestrebungen mit demokratischen und liberalen republikanischen Idealen im humanistischen Geist.
Das Ziel einer kroatischen Republik war für ihn nicht erreichbar. Erst Generationen später konnte die Bevölkerung wieder frei wählen. Nach dem Kollaps des kommunistischen Systems stimmte sie im April 1990 für jene Partei, von der zu erwarten war, dass sie das Land aus dem jugoslawischen Verbund herausführen würde: die von Franjo Tudjman angeführte HDZ.
Wenn Kroatien nun gleichberechtigtes Mitglied der EU geworden ist, dann bedeutet dies eine Rückkehr des Landes in jenen geopolitischen Raum, aus dem es nach dem Ersten Weltkrieg unfreiwillig schied.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte es sich im föderativen Vielvölkerstaat materiell besser als je zuvor in seiner Geschichte; manches davon geschah dank des sozialistischen Systems, das meiste trotz desselben.
Aber es war jahrzehntelang isoliert von der politischen Kultur des Westens; Generation für Generation wurde der ideologischen Indoktrinierung unterworfen. Bis heute hat sich die politische Kultur davon nicht befreit.
So bleibt nur die Hoffnung, dass der Beitritt zur EU zu einer Wende im politischen Denken auf der Grundlage der westlichen Werte führt, wie sie schon einmal für das Politikverständnis des kroatischen Ausnahmepolitikers Stjepan Radic leitend waren.
Dunja Melcic, geb. 1950 in Kroatien, Philosophin und freie Autorin; lebt seit 1974 in Frankfurt am Main, wo sie 1981 über Martin Heidegger promovierte; setzt sich besonders mit Themen aus Philosophie und internationaler Politik auseinander - mit dem Akzent auf Südosteuropa. Veröffentlichungen: "Jugoslawien-Krieg. Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen" (Hg., 1999, 2007); "Das Denken der Freiheit zwischen gestern und heute. Auf den Spuren Hannah Arendts" (2007); "Jugoslawismus ohne Jugoslawien" (2011).