Kuba

Mangos aus Nachbars Garten

Blick auf Verkaufsstände des Obst- und Gemüsemarktes in Havanna, Kuba. Kuba ist mit einem Territorium von 110.860 Quadratkilometern die größte Insel in der Karibik.
Die Regierung fördert regionalen Obst- und Gemüseanbau. © picture alliance / dpa / Andreas Lander
Von Ellen Häring |
Kuba importiert rund 80 Prozent seiner Lebensmittel. Das ist eine erschreckend hohe Zahl angesichts des günstigen Klimas für Obst- und Gemüseanbau. Die Kubaner brauchen die wenigen Devisen dringend für die Modernisierung ihres Landes.
Ungefähr zwei Stunden entfernt von Havanna in der Provinz Artemisa liegt das Paradies. Die Finca von Geronimo Cabrera heißt zwar nur im Volksmund El Paraíso, aber ihren Namen trägt sie zu Recht. Abgeschieden in einem Tal schlängelt sich ein dunkelblauer Fluss durch die tiefgrüne Landschaft: Kokospalmen, Zitronen-Mango- und Guavenbäume gedeihen in satten Gelbtönen, mittendrin ein bescheidenes Holzhaus mit Wellblechdach und blauen Fenstern. Hier lebt Geronimo Cabrera mit seiner Familie.
Nicht weniger als 172 verschiedene Sorten Obst und Gemüse baut Geronimo auf acht Hektar Land an, alles ökologisch. Die Finca ist seit Jahrzehnten im Familienbesitz − so wie viele auf Kuba, die nie enteignet wurden, weil sie mit weniger als 50 Hektar zu klein und unrentabel für die staatliche Bewirtschaftung waren.
Geronimo musste früher überwiegend Kaffee anbauen und an staatliche Stellen verkaufen, heute ist er frei und darf seiner Leidenschaft nachgehen. Er liebt die Vielfalt der Natur und baut Früchte an, die man in Kuba kaum noch kennt.
Mamey, Pfirsiche, Maulbeeren, Sternenfrüchte – sogar Erdbeeren gedeihen in dem Klima unter Geronimos grünem Daumen.
Rita, Geronimos Frau, zeigt die Schweine und Ferkel, die Fleisch geben, aber auch gleichzeitig Resteverwerter sind. Dann schiebt sie eine Abdeckplane zurück. Ein riesiger Berg Tomaten kommt zum Vorschein:
"Wir haben das gerade geerntet, jetzt müssen wir es schnell zu Püree verarbeiten und in Flaschen füllen. Morgen, spätestens übermorgen muss das passieren, damit das nicht schlecht wird. Das macht die ganze Familie. Meine Schwiegertochter, meine Tochter, mein Sohn, mein Mann. Am Donnerstag zum Beispiel hat mein Sohn geerntet, mein Mann und meine Schwiegertochter haben das Püree gemacht."
Auf der kleinen Terrasse des Holzhauses steht das Tomatenpüree, abgefüllt in alte Bierflaschen, auf denen Heineken oder Corona steht. Auch die verbeulten Kronkorken haben schon bessere Zeiten gesehen. Pfirsich- und Guavenpüree lagern in alten Plastikflaschen. Bei 30 oder 35 Grad Tagestemperatur hält sich Obst und Gemüse nicht lange. Es müsste eigentlich sofort in einem Kühltransporter auf die Märkte gebracht werden. Aber Transportfahrzeuge gibt es kaum. Frisches Obst und Gemüse aus Geronimos Ernte bekommen nur die Krankenhäuser, Kindergärten und Altenheime, für die der Staat ein Kontingent einkauft. Der sogenannte "consumo social" wird mit einem klapprigen Fahrzeug abgeholt, der Rest muss ruckzuck in die Flaschen, damit Geronimo und Rita es zum Verkauf anbieten können. Zucker zum Haltbarmachen gibt es genug auf Kuba. Was fehlt, ist das Verpackungsmaterial. Also suchen die beiden alte Flaschen.
Rita: "Wir kaufen die Flaschen, manchmal kriegen wir auch welche geschenkt. Wir suchen ständig, mein Sohn sucht, ich auch, wir suchen Leute, die vielleicht Flaschen haben, aber nichts konservieren müssen. Denn wir haben zu wenige. Jetzt kommt die Mangozeit. Für die Mangos brauchen wir auch wieder Flaschen."
Ein Kühltransporter würde das Leben von Geronimo und den anderen Bauern in der Provinz Artemisa enorm verändern. Er würde auch die Versorgungslage der Bevölkerung hier deutlich verbessern. Aber woher soll er kommen? Noch besteht das Handelsembargo, das die USA 1961 über Kuba verhängt hat. Es wird zwar löchriger, aber vieles, was die Bauern hier brauchen, kommt nicht ins Land: Traktoren, Pflüge, Tränken, Bewässerungssysteme. All das müsste genauso wie ein Kühltransporter wegen des Embargos über Umwege, zum Beispiel über Dritt- oder Viertstaaten nach Kuba importiert werden. Das macht die sowieso schon teure Anschaffung unerschwinglich. Ein gewöhnlicher Mittelklassewagen kann mit allen Umwegen, die er macht, auf Kuba bis zu 100.000 Dollar kosten. Und ein Kühltransporter?
Ronaldo hebt eine Ziege hoch in die Luft, das Tier quietscht erbärmlich. Er zeigt auf ihr Bein. Es war gebrochen. Aber dank Ronalds Verband ist es jetzt wieder heil. Eigentlich ist er Viehzüchter, aber manchmal auch Orthopäde, lacht er, und setzt das aufgeschreckte Zicklein wieder ab.
Der Landwirt Rolando Moseguí
Der Landwirt Rolando Moseguí© Deutschlandradio Kultur / Ellen Häring
Hoch oben auf einem Berg, nicht weit von Geronimos Paradies, versucht Ronaldo Moseguí unter widrigen Umständen Rinder zu züchten. Die Ziegen sind ein Nebenprodukt, er braucht die Milch nicht nur für Ziegenkäse, sondern auch für seine Kälber. Denn die Milchproduktion der Kühe ist zurzeit extrem schlecht. Es ist viel zu heiß für die Jahreszeit und er muss froh sein, wenn seine Kühe und Rinder nicht auf der Wiede sterben. Er zeigt auf eine magere Kuh, die unter einem Schattendach döst. Ringsum ist alles trocken:
"So ein Tier wie dieses hier, das ist einfach zu schwach. Wenn ich das nicht zu mir hole und besonders auf es aufpasse, dann stirbt es mir. Die fallen einfach um in der Hitze und stehen nicht mehr auf. Hier kann ich es beobachten, ihm Wasser und Gras geben."
Viehzüchter Ronaldo Moseguí bräuchte in der Hitzeperiode viel mehr Wasser für seine Kühe. In der Nähe gibt es einen Stausee. Aber er hat keinen Transporter, geschweige denn eine Pumpe. Er bräuchte auch mehr Unterstände, die Schatten spenden, aber es fehlt das Material, um welche zu bauen. Ihm sind die Hände gebunden. Das Embargo... er schüttelt den Kopf. Aber wie so viele Kubaner macht er trotzdem das Beste daraus.
Stolz zeigt er seinen improvisierten Melkstand für die Ziegen: über eine selbst gebastelte Treppenkonstruktion schickt er sie auf eine zweite Ebene im Stall, wo sie vor einer Schranke halt machen müssen. Jetzt kommt Ronaldos Vater ins Spiel, er schiebt einen Metalleimer unter das Euter und melkt die Ziege im Stehen und von Hand.
Das Kälbchen daneben freut sich über die frische Milch. Die Rinder und deren Produkte verkauft Ronaldo an den Staat, er darf nichts behalten. Rindfleisch ist in Kuba wertvoll, die Verteilung wird kontrolliert. Kranke Kinder, Schwangere oder anderweitig Bedürftige bekommen gelegentlich Rindfleisch – und Touristen, wenn sie entsprechend bezahlen. Andere Produkte wie den Ziegenkäse verkauft er selbst.
Ronaldo ist Viehzüchter in der dritten Generation. Die Finca gehört der Familie, er kennt jeden Strohhalm. Lange hat sich niemand für Ronaldos Expertise interessiert. Aber das hat sich geändert. Wie Geronimo, so ist auch er im Projekt PIAL, das die regionale Landwirtschaft und die Dezentralisierung fördert. Ein wichtiger Teil des Programms ist der Austausch mit anderen Bauern im In- und Ausland.
Rolando: "Ich war in Äthiopien, in einer sehr ähnlichen Gegend wie hier, sehr trocken, mit glutheißen Tagen und eiskalten Nächten. Die Bauern arbeiten unheimlich viel dort, obwohl sie nur wenig Land zur Verfügung haben, es sind Kämpfernaturen und sie sind sehr verbunden mit ihrem Land und mit ihren Wurzeln. Wir haben in Kuba eine zentralistische Landwirtschaft und dort arbeiten die Bauern selbständig. Sie tauschen sich aus, geben oder verkaufen sich gegenseitig Saatgut, das ist super organisiert in Kooperativen. Eine großartige Arbeit, die die Bauern da machen!"
Irene Moreno, 51 Jahre alt, sitzt nach getaner Arbeit vor einer Tasse Kaffee. Sie koordiniert in der Provinz Artemisa die Fortbildungen, die Seminare und die Zusammenkünfte der Bauern. Sie ist Ansprechpartnerin beim Projekt PIAL und kennt jeden und jede. Keineswegs heißen alle im Landwirtschaftsministerium ihre Arbeit gut, gibt sie unumwunden zu. Aber, so glaubt sie, auch die Betonköpfe mussten einsehen, dass es mit den riesigen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in staatlicher Hand so nicht weitergehen konnte:
"Als das sozialistische Lager aufhörte zu existieren und damit auch die ausländische Hilfe für uns in Kuba einbrach, fehlten in Kuba plötzlich Dünger und Pestizide, die in der Landwirtschaft benutzt wurden. Wir in den Forschungsinstituten haben schon damals festgestellt, dass dort, wo viel Chemie eingesetzt wurde, gar nichts mehr gewachsen ist. Aber gleichzeitig haben die privaten Kleinbauern fast genauso weitergemacht wie vorher, sie hatten keinen Einbruch. Und wir haben uns gefragt, warum das so ist."
Zum einen lag es daran, dass die privaten Bauern ökologisch wirtschaften mussten, weil sie gar keinen Zugang zu importierten Pestiziden hatten. Zum anderen waren sie motiviert, ihr Land zu bestellen und ihre Produkte zu verkaufen – schließlich kam es ihnen direkt zugute. Und zum dritten haben sie nie Monokultur betrieben – in der Regel.
Der Landwirt Humberto mit Trockengewürzen
Der Landwirt Humberto mit Trockengewürzen© Deutschlandradio Kultur / Ellen Häring
Fünf Kinder umringen Humberto Hernandez, 51 Jahre alt, und erzählen ihm, wie der Knoblauch, die Frühlingszwiebeln und die Paprika zuhause gedeihen, die sie mit seiner Hilfe angepflanzt haben. Humberto betreibt eine sogenannte "städtische Landwirtschaft" und kooperiert mit der Schule, damit die Kinder Interesse für Natur und Umwelt entwickeln.
Die nächstgelegene Stadt heißt Matanzas. Havanna ist noch gut eineinhalb Stunden Fahrtzeit entfernt. Pferdekarren, Rikschas, alte amerikanische Straßenkreuzer, aber auch moderne Autos, meistens aus chinesischer Produktion, rauschen an den Feldern vorbei.
Humberto ist erst seit fünf Jahren Bauer, früher war er Förster. Seine Mission: Er will mit dem Projekt die Versorgung der Region verbessern, nicht nur quantitativ, auch qualitativ. Denn die Kubaner ernähren sich schlecht. Viel zu wenig Obst und Gemüse, viel zu viele Kohlehydrate, insbesondere Zucker und Fett. Er zeigt auf die Felder hinter sich, hier wächst gesundes Gemüse: Bohnen, Salat, Tomaten, Süßkartoffeln. Das sollen die Kubaner essen, findet Humberto. Und dafür tut er einiges:
"Die ersten fünf Zentner Blumenkohl, die wir geerntet haben, mussten wir an die Tiere verfüttern. Die Leute wollten das nicht essen. Aber wir haben weitergekämpft. Mit Hilfe des lokalen Radios und Fernsehens haben wir Werbung für gesundes Essen gemacht, die Vorteile erklärt und heute nach fünf Jahren schmeiße ich keinen einzigen Blumenkohl mehr weg!"
Humberto beschäftigt 16 Arbeiter, und was sie ernten, bleibt in der Region. Nur Gewürze, die getrocknet und abgepackt werden, halten sich länger und werden bis Havanna transportiert:
"Wir haben zwei Verkaufsstände, einen in der Stadt, den anderen gleich hier vorne an der Straße. Außerdem verkaufen wir an Krankenhäuser, an Einrichtungen für Schwangere, an Schulen, an Altenheime – da geht die Produktion hin. Und dieser 'consumo social' ist vertraglich absichert und wird zu einem guten Preis vom Staat angekauft."
Carlos zieht Furchen in die Erde und zeigt stolz auf die knallrote Paprika. Er ist froh über seinen neuen Job. Erst seit vier Monaten arbeitet er bei Humberto, früher war er Busfahrer:
"Hier verdiene ich mehr und es ist für angenehmer, ich wohne in der Nähe. Ich nehme mein Fahrrad und schon bin ich Zuhause!"
Den Wandel auf Kuba erleben Humberto und Carlos hautnah mit, so viel Freiheit wie heute gab es nie. Positiv finden es beide, dass sich Obama und Raúl Castro im April die Hand gegeben haben und damit das Kriegsbeil begraben haben, das die USA und Kuba seit über 50 Jahren zu Erzfeinden machte:
"Wahrscheinlich wird jetzt alles besser. Wahrscheinlich darf Kuba dann endlich mal Medikamente und andere Sachen kaufen. Bei uns fehlt es doch auch an allem: Wir brauchen mehr Bewässerungsschläuche zum Beispiel, wenn irgendwas kaputt geht an unserem Brunnen, dann müssen wir das reparieren, es gibt keine Ersatzteile oder irgendwas Neues."
Wenn das Handelsembargo fällt, dann kommt auch die Konkurrenz. Transnationale Lebensmittelkonzerne könnten Humbertos Bemühungen in kurzer Zeit zunichte machen. Angst davor hat er nicht:
"Auch wenn andere Produzenten kommen und neue Produkte anbieten. Die werden uns nicht ersetzen. Nein, das glaube ich nicht. Wir haben natürlich dann mehr Konkurrenz, das ist klar, das heißt wir müssen uns mehr anstrengen. Aber das kann auch motivierend sein. Wenn es keine Konkurrenz gibt, dann gerät man schnell in so eine Art Monotonie."
"Unser Salat wird immer frischer sein als der aus den USA", murmelt Carlos noch. Es klingt ein wenig trotzig. Dann schließt Humberto das Tor. Zeit für eine Siesta.
Suburbane Landwirtschaft auf Kuba
Suburbane Landwirtschaft auf Kuba© Deutschlandradio Kultur / Ellen Häring
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