Kubanischer Kritiker und Selbstkritiker

Von Peter B. Schumann |
Mit seinem Buch "Rapport gegen mich selbst", in dem er eine kritische Bilanz der Diktatur Fidel Castros zieht, wurde Eliseo Alberto in Kuba zur Persona non grata. Der Bericht, in dem er sich auch selbst hinterfragt, wurde auf der Insel sofort verboten. Er starb im Alter von 59 Jahren im Exil in Mexiko.
"Rapport gegen mich selbst" hat er diesen fiktiven Rechenschaftsbericht genannt. Sein Ich-Erzähler hat ihn angefertigt, weil er verhindern will, dass sich irgendein Spitzel über sein Leben hermacht. Er lehnt die Revolution nicht ab, wirft aber ihren Führern und vor allem Fidel Castro vor, eine Diktatur durch eine andere ersetzt zu haben. Am Beispiel einzelner Schicksale beschreibt er die Folgen dogmatischer Politik, die Vernichtung künstlerischer Existenzen, die Marginalisierung von Oppositionellen und den Opportunismus bekannter Intellektueller.

Eliseo Alberto: "Was ich mit diesem Buch verteidigen wollte, ist ein Recht, das einem selten gewährt wird: das Recht sich zu irren und dies auch zu bekennen. Und das habe ich für mich in Anspruch genommen, das Recht zu sagen, was ich denke."

Er war sich damals, Mitte der 90er-Jahre, bewusst, dass dieses Buch wütende Reaktionen des Regimes hervorrufen könnte. Er hoffte jedoch, dass die Wirtschaftskatastrophe, die Kuba nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion durchmachte, die Führung etwas dialogfähiger stimmen würde.

Eliseo Alberto: "Aber ich wurde von den kubanischen Autoritäten und von Fidel Castro persönlich als 'Verräter' gebrandmarkt. Ich musste meine Aufenthaltsgenehmigung in Mexiko in einen Exilantrag ändern lassen. Denn in der kubanischen Botschaft hatte man mich informiert, dass ich alle meine Bürgerrechte auf der Insel verloren hätte, auch das Recht nach Kuba zu reisen. Das galt auch für meine Tochter. Ausgenommen waren nur dramatische Ereignisse wie Krankheits- oder Todesfälle in meiner Familie."

Eliseo Alberto wurde zur Persona non grata, zum Dissidenten, eine Rolle, die er nicht spielen wollte. Denn der Titel seines Buches darf wörtlich genommen werden: "Rapport gegen mich selbst". Er beschreibt darin sein eigenes "Schweigen gegenüber so vielen Untaten". Gerade diese Haltung der Selbstkritik und Selbstvergewisserung hebt dieses Werk aus der Fülle der Anti-Castro-Literatur heraus. Der Bericht wurde auf der Insel sofort verboten. Das hat jedoch die Kubaner nicht davon abgehalten, ihn zu lesen.

Eliseo Alberto: "Ich habe alle möglichen Ausgaben kennen gelernt: Fotokopien, mit der Hand geschriebene Auszüge, sogar ein Raubdruck in Taschenbuchformat. Als ich dann in den letzten Jahren wieder einreisen durfte, haben die Leser mich auf der Straße umarmt und mir gedankt, und einer hat mir gesagt: 'Ich musste dein Buch in einer Nacht lesen, denn am anderen Tag wartete schon der Nächste darauf.'"

Totschweigen wollte ihn das Regime. Aber das ist ihm selbst in diesem Fall nicht gelungen. Auch die Betonfraktion des kubanischen Exils in Miami lehnte diesen "Rapport gegen mich selbst" vehement ab.

Eliseo Alberto: "Ich bin dort auf die gleiche Ablehnung gestoßen wie in Kuba. Sie konnten zwar keine Sanktionen gegen mich verhängen. Sie zeigten sich jedoch genauso intolerant wie das andere Extrem auf der Insel. Die alte politische Klasse in Miami hat das Buch nicht verstanden: Sie fand es zu nachsichtig mit der Kubanischen Revolution."
Denn Eliseo Alberto verdammt die Revolution nicht. Er erkennt auch ihre lichten Seiten an. Der lange Aufenthalt in Mexiko hatte seinen Blick nur geschärft, nicht getrübt. Und seine Bereitschaft gefestigt, mit seinen Werken zu versöhnen, eine Brücke zu schlagen – allerdings nach einer kritischen Bestandsaufnahme. In seinen folgenden Büchern wollte er eigentlich keine weitere politische Literatur verfassen.

Eliseo Alberto: "Nachdem ich den 'Rapport' beim Verlag abgeliefert hatte, nahm ich mir vor, irgendeinen Roman zu schreiben. Ich musste mich beschäftigen, denn ich wollte nicht über den politischen Selbstmord nachdenken, den ich gerade angestellt hatte. Also habe ich 'Caracol Beach' geschrieben, in sechs Monaten, und damit den Alfaguara-Preis gewonnen."

Der Roman handelt von einem Kubaner, der als Soldat nach Angola geschickt worden war, um an einem Krieg teilzunehmen, den er nie begriffen hat. Er fühlt sich am Tod seiner Kameraden schuldig und will sich deshalb das Leben nehmen. Weil er dazu unfähig ist, sucht er nach einem Mörder. Es kommt zu albtraumhaften Verwicklungen. Eliseo Alberto erweist sich als ein Meister literarischer Konstruktion. Jahre später entsteht "Dos Kuba Libres".

Eliseo Alberto: "Viele halten das Buch für eine Fortsetzung des 'Rapport', aber das ist es nicht. Es ist ein langes Gespräch mit mir als Herausgeber des Buchs und einer Gruppe von Journalisten. Darin eingebettet sind Porträts von Freunden, harte politische Stellungnahmen, ein vielfältiges Material, das das Gespräch ergänzt. Insgesamt geht es um die Zubereitung des berühmten Getränks, aber auch um die Zukunft Kubas, eben um 'zwei Cuba Libre'. Und deshalb findet die Konversation auch in einer Kneipe statt mit dem Namen 'Zukunft'."

Die Zukunft seiner geliebten Insel hat Eliseo Alberto bis zuletzt beschäftigt. In seinem gesamten Werk umkreist er sie. Auch wenn seine Geschichten nicht immer dort spielen, so handeln sie doch von den Werten, die die Kubanische Revolution einmal vertreten hat.