"Kuchentratsch" in München

Omas, die beim Start-up backen

09:53 Minuten
Oma Rosemarie trägt ein Haarnetz in der Küche. Vor sich hat sie eine Schüssel, in der sie etwas anrührt. Auf dem Tisch stehen weitere Schüsseln und eine Waage.
Oma Rosemarie steht bei Kuchentratsch in der Küche und rührt die Zutaten für ihren nächsten Kuchen zusammen. © Deutschlandradio / Simon Berninger
Von Simon Berninger · 17.11.2021
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Omas backen den besten Kuchen – auf dieser Idee basiert Katharina Mayers Start-up „Kuchentratsch“: Seniorinnen bessern in der Backstube ihre Rente auf und treffen dort andere Frauen. Der soziale Aspekt ist für die Bäckerinnen besonders wichtig.
Rosemarie backt an diesem Morgen eben nicht für sich oder ihre Enkel in der heimischen Küche.
„Das wird ein Schokokuchen. Da steht’s im Rezept. Wir müssen genau nach dem Rezept gehen. Daheim gehe ich nicht so genau nach dem Rezept, da mach ich es frei Schnauze. Aber hier ist es wichtig, weil man das für die Kunden genau nachweisen muss.“
Eier, Mehl, Kakao und Co. rührt die 81-jährige Seniorin vielmehr auf Bestellung zusammen, in der Backstube des Münchner Start-ups „Kuchentratsch“. Das „Tratschen“ ist durchaus beim Wort zu nehmen.

Redselige Rentnerinnen

„Die Gemeinschaft ist es“, sagt eine von ihnen und eine andere fügt hinzu: „Ja, es ist eben nicht nur ein Backen ist, sondern wir ratschen und ratschen miteinander. Das ist schon wichtig.“
Redselige Rentnerinnen an der Rührschüssel. Aber jede mit eigener Mission.
Dass es keinen Ausschuss beim Backen gibt, darauf wird genau geachtet. Ausschuss wäre schlecht fürs Geschäft. „Kuchentratsch“ lebt schließlich nicht nur vom Tratschen, sondern von angestammten Backerfahrungen von Omas wie Vera, Rosemarie und Brigitte B. – und da geht man hier auch auf Nummer sicher.
So erzählt auch Rosemarie davon, dass sie vor vier Jahren erstmal einen Kuchen vorbacken musste. Der wurde dann begutachtet. "Und dann hat’s geheißen, ich darf kommen.“

Start mit der eigenen Großmutter

Die Idee, mit Omas Kuchen Geld zu verdienen, ist allerdings noch älter. Im Juni 2014 stand die erste Oma in den Räumlichkeiten im Hinterhof der Landsberger Straße 59, Erdgeschoss, ebenerdig, Tramstation vor der Tür, direkte Anbindung zum Münchner Hauptbahnhof.
Damals ging es mit nur einer Oma los – gewissermaßen im Familienbetrieb –, aber schon damals mit größerer Vision.

„Ich hab eine sehr enge Beziehung zu meiner Oma. Ich war viel bei meiner Oma. Ich habe bei meiner Oma viel Kuchen gegessen und festgestellt: Je älter sie wird, umso schwieriger ist es für sie, Kontakte aufzubauen. Daraus ist die Idee von „Kuchentratsch“ entstanden, dass Omas Kuchen backen, der verkauft wird. Und ja, wir haben eben mit meiner eigenen Oma gestartet. Marmorkuchen, Eierlikörkuchen und Apfelkuchen sind ihre besten Kuchen.“

Katharina Mayer, „Kuchentratsch“-Gründerin

Backen mit sozialem Mehrwert

Generation Oma backt, Generation Enkel verkauft. Mit dem Konzept wagte Katharina Mayer nach dem BWL-Studium den Sprung ins Unternehmertum – allerdings mit sozialer Verantwortung. So will die 32-Jährige jedenfalls ihr Start-Up verstanden wissen.
Es erwirtschaftet Erträge und habe zugleich einen sozialen Mehrwert, in dem Fall für die Seniorinnen. „Impact“ nennt Katharina Mayer das.

Sozialunternehmertum hat sich ja in den letzten fünf Jahren erst entwickelt, also die Idee, dass Wirtschaft und Impact Hand in Hand gehen können. Wir versuchen, den Omas eine Möglichkeit zu geben, Kontakte zu knüpfen, und auf der anderen Seite, dass sie ihre Rente aufbessern. Das heißt, sie verdienen einen Stundenlohn und können sich individuell in die Schichten eintragen. Dadurch können sie auch entscheiden, wieviel Geld sie am Ende des Monats verdienen.

Ich glaube, es ist essentiell als Sozialunternehmer, den Impact so verankert zu haben, dass das Unternehmen gar nicht funktioniert, wenn der Impact rausfallen würde. Bei uns ist es so: Je mehr wirtschaftlichen Erfolg wir haben, umso mehr Omas können wir einstellen.“

Katharina Mayer

Back-Omas und Liefer-Opas

Zahlen nennt Katharina Mayer nicht. So viel lässt sich aber sagen: Am Anfang begann alles mit nur einem Ofen und einer Oma, heute sind es zehn Öfen und 35 Omas auf 450-Euro-Basis, die auf Bestellung von Privat- oder Firmenkunden backen.
Außerdem sind inzwischen sogenannte Liefer-Opas mit im Boot, die den Kuchen im Großraum München an den Mann und die Frau bringen. Rührkuchen-Bestellungen von weiter weg werden per Post verschickt.
Eineinhalb Jahre wurde an einer Technik getüftelt, damit der Kuchen auch ja heile beim Kunden ankommt – gebacken und verschickt im Holzring und passgenauem Karton drum herum. Ein wachsendes Geschäft also, entgegen aller Unkenrufe zu Beginn.

„Die ersten ein, zwei Jahre wurden wir in der Start-up-Welt wirklich nicht ernst genommen worden. Alle waren so: ‚Omas, Kuchen, backen?‘ Aber dann bekamen wir relativ schnell Presseaufmerksamkeit. Seitdem melden sich immer wieder Omas und Opas, manchmal auch deren Kinder oder Enkelkinder – ältere Menschen brauchen manchmal einen kleinen Schubs.

Dementsprechend kann ich, wenn ich aus der Vogelperspektive drauf schaue, mich doch immer wieder freuen, wie weit ich mit dieser Idee gekommen bin. Solange ich die Möglichkeit sehe, zu wachsen, werde ich auch immer wieder Geld investieren und schauen, wie wir mit ‚Kuchentratsch‘ noch mehr Omas erreichen können, noch mehr Produkte verkaufen können.“

Katharina Mayer

Die letzte Großinvestition: ein neuer Standort an der Münchner Theresienhöhe, wo Gäste ab Frühjahr auch vor Ort Kuchen essen können. Vor kurzem wurde dorthin schon die noch anstehende Weihnachtsbäckerei verlagert.

Weihnachtsbäckerei beginnt frühzeitig

In der Landsberger Straße 59 haben zwei Seniorinnen aber auch schon Plätzchenteig zusammengerührt, ausgerollt und in allerlei Formen ausgestochen. Die zwei erzählen in der Backstube vom Plätzchenbacken in der Vorweihnachtszeit.
Auf einem Tisch in der Küche stehen zwei Torten und auf Papier liegen Plätzchen in Sternform zum Abkühlen.
Zum Abkühlen liegen Plätzchen auf dem Tisch. Die Torten sind schon fertig zur Auslieferung.© Deutschlandradio / Simon Berninger
Eine Ahnung davon gibt ein Blech voller Plätzchen in Sternform, die im hinteren Teil der Backstube gerade abkühlen. Ein Probelauf für eine neue Sorte, die dann vielleicht auch in den Tütchen landet, die man online bestellen kann. 100 Gramm für 5,50 Euro, ein Preis wie beim Edelkonditor.
Für die Omas, die hier wohlgemerkt auch backen, um ihre Rente aufzubessern, ideal zum Verschenken.
Brigitte etwa ging letztes Jahr in Rente und backt mit viel Freude mit. Ihr gefällt es, dass hier Spaß und Geldverdienen zusammenkommen.
Auch Rosemarie freut sich über den finanziellen Benefit ihres Backengagements. Wichtiger sei ihr aber, dadurch einen Grund mehr zu haben, nochmal regelmäßig in die bayerische Landeshauptstadt kommen zu können.
Sie ist nämlich gebürtige Münchnerin, lebt inzwischen aber näher bei Sohn und Enkeln in der Nähe von Augsburg. Deshalb bleibt die 81-Jährige auch heute länger als alle anderen Back-Omas. Wenn sie schon extra nach München reinfährt, soll sich’s auch lohnen.

"Ich bin die Einzige, die sieben Stunden da bleibt, die anderen sind vier Stunden hier. Mein Fahrtweg ist schon ein bisschen weit – eineinhalb Stunden. Aber es macht mir halt so viel Spaß, dass ich es wirklich in Kauf nehme!"

Rosemarie

Das beste Rezept für Bärentatzen

Gut nur, dass sie jetzt, in der geschäftigen Weihnachtsbäckerei, auch ihre private Pflicht schon erfüllt hat: Zehn Sorten Weihnachtsplätzchen hat sie für ihren Sohn und ihre Enkelkinder schon gebacken.
Oma Rosemarie steht mit einem Haarnetz in der Küche und lacht in die Kamera. Auf dem Handy zeigt sie ein Foto ihrer Lieblingskekse. Zu sehen sind viele braune, runde Kekse.
Oma Rosemarie zeigt die Plätzchen, die sie zu Hause gebacken hat. Die "Bärentatzen" brauchen Zeit, aber es seien die besten Plätzchen zur Weihnachtszeit.© Deutschlandradio / Simon Berninger
Ihr Rezeptbuch stammt aus dem Jahr 1940. Drei bis vier Wochen müssen ihre Plätzchen liegen, erzählt sie weiter. Dann sind sie "richtig weich". Deshalb fängt sie auch so früh zu backen an. Ihre Plätzchen, da ist sie sich sicher, "sind das Beste, was es gibt!"
Und zwar nur für ihre Liebsten. Ihre Plätzchensorte Nummer eins backt Oma Rosemarie nämlich nicht für „Kuchentratsch“.
Denn bei aller Liebe zum Backen: Berufliches und Privates muss eben auch im Alter noch getrennt werden.

Rosemaries Bärentatzen:

Zutaten:

  • 3 Eier
  • 500g Zucker
  • 250 g  Schokolade
  • 1 TL  Zimt
  • 1/2 TL Natron (oder Backpulver)
  • Saft und Schale einer Zitrone

Zubereitung:
  1. Teig vermengen.
  2. Über Nacht an einem warmen Ort ruhen lassen.
  3. Kugeln formen und mit nasser Gabel Tatzen eindrücken.
  4. Bei etwa 140 Grad mehr trocknen als backen. Aus dem Ofen nehmen, bevor sie dunkel werden.
  5. Einige Wochen Geduld bewahren, bis sie weich werden.

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