Kühles Liebes-Intermezzo
In "Privatstunden" erzählt Alain Claude Sulzer die Geschichte eines Osteuropäers, der während des Kalten Krieges Zwischenstation in der Schweiz macht. Er reist weiter nach Amerika und erfährt nicht, dass seine Deutschlehrerin von ihm ein Kind bekommt. Doch seine Vergangenheit holt dort ihn ein.
Der 1953 geborene schweizerische Schriftsteller Alain Claude Sulzer ist - jenseits des Kitsches - ein Spezialist für die melancholischen Geschichten enttäuschter Passionen und gebrochener Herzen, für Geschichten des Liebesverrats. In seinem bekanntesten Roman, "Ein perfekter Kellner" erzählte er von einem männlichen Liebespaar, zwei Kellnern eines alten Grand-Hotels, die ein Jahr lang das Leben in einem Dienstbotenzimmer teilen, aber nicht die gleiche Intention. Während die Liaison für den einen absolute Bedeutung besitzt, ist sie für den anderen nur eine Etappe, eine Zwischenstation auf dem Weg nach oben und nach Amerika.
Von einer ähnlichen Liebesdramaturgie, geformt als modernes Melodram, handelt auch Sulzers neuer Roman "Privatstunden". Auch diesmal spielen Auswanderungs- und Exilgeschichten eine wesentliche Rolle. Die Handlung der "Privatstunden" vollzieht sich vor der historischen Kulisse des Kalten Krieges. Ein junger Osteuropäer flüchtet Ende der 60er Jahre - vermutlich nach dem Prager Frühling - in die Schweiz, wo er Asyl erhält. Er befindet sich in einer Situation radikalen Alleinseins. In seinem Heimatland hat er sich von niemandem verabschiedet, nicht einmal von seiner Freundin, er hat alle Brücken hinter sich abgebrochen.
In seiner neuen Heimat kennt er niemand, und versteht er nicht mehr als ein paar deutsche Alltagsfloskeln. Eine Hausfrau, die nach der Geburt ihres ersten Kindes den Lehrerinnenberuf aufgegeben hat, erteilt ihm bei sich zu Hause Sprachunterricht. Als sie bemerkt, dass ihr Mann sie betrügt, fällt sie in einen Zustand innerer Isolation, der dem ihres zehn Jahre jüngeren Schülers nicht unähnlich ist.
Langsam bewegen sich die beiden aufeinander zu, verlieben sich und beginnen ein heimliches, unstatthaftes Verhältnis, von dem nur der pubertierende Sohn der Deutschlehrerin durch Zufall weiß. Das Wissen behält er aber für sich. Nach einem halben Jahr verschwindet der junge Liebhaber nach Amerika, ohne je zu erfahren, dass seine Geliebte von ihm ein Kind bekommt.
Wie im "Perfekten Kellner" bettet Sulzer die Messaliance der "Privatstunden" in eine Rahmenhandlung. Nach Jahrzehnten treibt der Sohn der Lehrerin den exilierten Osteuropäer in Amerika auf. Er trifft auf einen erfolgreichen Mann, der sich an die Vergangenheit, an seine schweizerische Lebensetappe kaum mehr erinnern kann und will. Die Umstände seines Lebens und die Zeitgeschichte ließen ihm keine andere Wahl als die Abkühlung seines Gefühlshaushaltes auf die Temperatur kühlen Pragmatismus.
Sulzer entwirft den Roman als Kammerspiel mit begrenztem Personal, wenigen Schauplätzen, nur angedeuteten Hintergründen. Gerade diese Reduktion aber und Sulzers ruhige, undramatische Erzählweise vermitteln das Klima emotionaler Gefangenschaft und biografischer Unfreiheit. Der Liebesverräter ist ein Opfer dieser Unfreiheit wie die Verratene.
Rezensiert von Ursula März
Alain Claude Sulzer: Privatstunden
Roman
Edition Epoca, Zürich 2007
237 Seiten, 19,80 Euro
Von einer ähnlichen Liebesdramaturgie, geformt als modernes Melodram, handelt auch Sulzers neuer Roman "Privatstunden". Auch diesmal spielen Auswanderungs- und Exilgeschichten eine wesentliche Rolle. Die Handlung der "Privatstunden" vollzieht sich vor der historischen Kulisse des Kalten Krieges. Ein junger Osteuropäer flüchtet Ende der 60er Jahre - vermutlich nach dem Prager Frühling - in die Schweiz, wo er Asyl erhält. Er befindet sich in einer Situation radikalen Alleinseins. In seinem Heimatland hat er sich von niemandem verabschiedet, nicht einmal von seiner Freundin, er hat alle Brücken hinter sich abgebrochen.
In seiner neuen Heimat kennt er niemand, und versteht er nicht mehr als ein paar deutsche Alltagsfloskeln. Eine Hausfrau, die nach der Geburt ihres ersten Kindes den Lehrerinnenberuf aufgegeben hat, erteilt ihm bei sich zu Hause Sprachunterricht. Als sie bemerkt, dass ihr Mann sie betrügt, fällt sie in einen Zustand innerer Isolation, der dem ihres zehn Jahre jüngeren Schülers nicht unähnlich ist.
Langsam bewegen sich die beiden aufeinander zu, verlieben sich und beginnen ein heimliches, unstatthaftes Verhältnis, von dem nur der pubertierende Sohn der Deutschlehrerin durch Zufall weiß. Das Wissen behält er aber für sich. Nach einem halben Jahr verschwindet der junge Liebhaber nach Amerika, ohne je zu erfahren, dass seine Geliebte von ihm ein Kind bekommt.
Wie im "Perfekten Kellner" bettet Sulzer die Messaliance der "Privatstunden" in eine Rahmenhandlung. Nach Jahrzehnten treibt der Sohn der Lehrerin den exilierten Osteuropäer in Amerika auf. Er trifft auf einen erfolgreichen Mann, der sich an die Vergangenheit, an seine schweizerische Lebensetappe kaum mehr erinnern kann und will. Die Umstände seines Lebens und die Zeitgeschichte ließen ihm keine andere Wahl als die Abkühlung seines Gefühlshaushaltes auf die Temperatur kühlen Pragmatismus.
Sulzer entwirft den Roman als Kammerspiel mit begrenztem Personal, wenigen Schauplätzen, nur angedeuteten Hintergründen. Gerade diese Reduktion aber und Sulzers ruhige, undramatische Erzählweise vermitteln das Klima emotionaler Gefangenschaft und biografischer Unfreiheit. Der Liebesverräter ist ein Opfer dieser Unfreiheit wie die Verratene.
Rezensiert von Ursula März
Alain Claude Sulzer: Privatstunden
Roman
Edition Epoca, Zürich 2007
237 Seiten, 19,80 Euro