Künste in einer unmöglichen Stadt
Mit Werken großer Künstler wie der Popikone David Hockney porträtiert die Schau "Pacific Standard Time" im Martin-Gropius-Bau zeitgenössische Kunst aus Los Angeles aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Große Bilder, große Namen - das ist der erste Eindruck in dieser einzigartigen Sammelschau zur Geschichte der zeitgenössischen Kunst in Los Angeles. Mit "A Bigger Splash", der 1967 in Leuchtfarben gemalten Pop-Ikone von David Hockney beginnt der Rundgang im Berliner Martin-Gropius-Bau: Unter dem ewigen Blau des kalifornischen Himmels liegt still der Swimming-Pool, ein Regiestuhl am Rande des Bassins ist leer, ebenso der angrenzende Flachdach-Bungalow. Nur eine Wasserfontäne, die wie in Zeitlupe über diesem aus abstrakten Farbflächen komponierten Idyll schwebt, deutet auf Leben hin, auf die Anwesenheit des gerade eingetauchten Schwimmers - allem Anschein nach ein Hollywood-Regisseur.
Mit Mythen und Klischees spielt auch Ed Ruscha: Sein extremes Breitformat lässt an großes Kino denken, die stilisierte Darstellung einer menschenleeren Tankstelle bei Nacht führt dann aber mit unterkühlter Ironie direkt in die dem Auto geradezu zwangsläufig verfallene, von öden Highways geprägte Alltagskultur einer ins Endlose ausgedehnten Metropole.
Gleich neben Hockney und Ruscha prangt dann ein ornamentales Sonnenmuster, angesiedelt zwischen Stammeskunst und den Spiralnebeln des New Age, großformatig gemalt von Lee Mullican. Das ist der Vater von Matt Mullican, viel mehr wußte man bislang nicht über diesen Künstler. Auch er kommt jetzt zu seinem Auftritt, ebenso wie John Altoon, Ed Moses, Wallace Berman und viele andere.
Die Schau gerät damit zur ungewohnten Mischung von Blockbuster-Schau und kunsthistorischer Recherche, als Ergebnis eines Projekts, mit dem die Verästelungen der Kunstszene zwischen 1950 und 1980 erforscht, Galeristen, Sammler und Museumskuratoren wie zu besten Zeiten der oral history befragt wurden. Thomas Gaehtgens, Direktor des Getty Research Institute:
"Stellen Sie sich vor, ganz Berlin, alle Institutionen würden an einem Thema arbeiten. Ziemlich schwierig, sich das vorzustellen. Aber das ist tatsächlich in Kalifornien dann doch gelungen. Es hatte eine Eigendynamik, natürlich auch mit den Mexikanern und denjenigen, die Kontakte nach Asien haben, im Grunde sind ja alle Kulturen in Los Angeles gegenwärtig, alle Sprachen werden dort gesprochen. Und jeder wollte dort teilnehmen, sodaß es am Schluss über 60 Ausstellungen wurden."
In Berlin nun ist das alles konzentriert auf eine einzige Ausstellung in zwei Abteilungen, zu den Kunstwerken des abstrakten Expressionismus, der "hard edge"-Malerei sowie Keramikskulpturen und Assemblagen kommen die sogenannten "Ephemera", Dokumente wie Ausstellungsplakate und Zeitungsausschnitte, Fotos oder Karteikarten, die auf Wandtableaus angeordnet sind wie bei Polizeiermittlern, bei Fahndern und Profilern:
"Diese Materialien, die wir im Getty Research Institute bewahren und ordnen und der Forschung zur Verfügung stellen, die geben einen Einblick in das Leben, das politische, das soziale Leben, die soziale Wirklichkeit dieser Künstler. Hinter dieser ganzen Initiative steht natürlich auch, die Geschichte der kalifornischen Kunst neu zu erzählen."
Zutage kommt eine Chronik diverser Künstlergemeinschaften, eher zaghafter Galeriegründungen und kleiner Sammlerzirkel, von den Anfeindungen im Kalten Krieg und Zensurmaßversuchen konservativer Politiker nach Rassenunruhen der sechziger Jahre und Protesten gegen den Vietnamkrieg. Vor allem aber eine erstaunliche Vielfalt, stilistisch wie in der sozialen oder gar politischen Ausrichtung. Exemplarisch ist das Plakat zur Galerieausstellung "War babies" von 1961. Vier junge Männer haben sich zum Essen um einen mit dem Sternenbanner drapierten Tisch versammelt, der Afroamerikaner Ed Bereal kaut eine Melone, Ron Miyashiro nimmt Stäbchen zur Hand, der irischstämmige Joe Goode rückt einer Fischkonserve zuleibe und Jerry Bell, ein Jude, hält sich an sein Bagel.
Da wird sehr viel angedeutet, was sich dann aber en detail nur mit Hilfe des umfangreichen Katalogbuchs verfolgen läßt. Und so dominieren dann doch wieder die großen Namen, die großen Formate: Allen voran "Berlin Red" von Sam Francis, eine abstrakte Arbeit von acht mal zwölf Metern, 1969 im Auftrag der Berliner Nationalgalerie gemalt - und dort bis auf Intermezzo im Jahre 2003 im Depot verschwunden. Aber nicht nur mit dieser Ausgrabung hat die Schau "Pacific Standard Time" für Bewegung in der Kulturlandschaft gesorgt, folgt man Peter-Klaus Schuster, der sich als ehemaliger Generaldirektor der Berliner Museen begeistert zeigt von dem Los Angeles-Projekt:
"Die temporäre Nationalgalerie der südkalifornischen Kunst, die temporäre Nationalgalerie - das ist unglaublich! Und zugleich sehen sie als zweite Ausstellung daneben diese Dossiers des GRI. Das GRI is something like Marbach am Pazifik. Alle Archive, alles, was sie da haben, wird dort ausgebreitet. Es ist eine Recherche, wie Künste sich in dieser unmöglichen Stadt überhaupt sichtbar gemacht haben, wie sie die Kunst organisiert haben. Es gab ja keine Kunsthalle, es gab gar nichts - und sie haben es selbst in die Hand genommen."
Mehr zum Thema auf dradio.de:
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Gleich neben Hockney und Ruscha prangt dann ein ornamentales Sonnenmuster, angesiedelt zwischen Stammeskunst und den Spiralnebeln des New Age, großformatig gemalt von Lee Mullican. Das ist der Vater von Matt Mullican, viel mehr wußte man bislang nicht über diesen Künstler. Auch er kommt jetzt zu seinem Auftritt, ebenso wie John Altoon, Ed Moses, Wallace Berman und viele andere.
Die Schau gerät damit zur ungewohnten Mischung von Blockbuster-Schau und kunsthistorischer Recherche, als Ergebnis eines Projekts, mit dem die Verästelungen der Kunstszene zwischen 1950 und 1980 erforscht, Galeristen, Sammler und Museumskuratoren wie zu besten Zeiten der oral history befragt wurden. Thomas Gaehtgens, Direktor des Getty Research Institute:
"Stellen Sie sich vor, ganz Berlin, alle Institutionen würden an einem Thema arbeiten. Ziemlich schwierig, sich das vorzustellen. Aber das ist tatsächlich in Kalifornien dann doch gelungen. Es hatte eine Eigendynamik, natürlich auch mit den Mexikanern und denjenigen, die Kontakte nach Asien haben, im Grunde sind ja alle Kulturen in Los Angeles gegenwärtig, alle Sprachen werden dort gesprochen. Und jeder wollte dort teilnehmen, sodaß es am Schluss über 60 Ausstellungen wurden."
In Berlin nun ist das alles konzentriert auf eine einzige Ausstellung in zwei Abteilungen, zu den Kunstwerken des abstrakten Expressionismus, der "hard edge"-Malerei sowie Keramikskulpturen und Assemblagen kommen die sogenannten "Ephemera", Dokumente wie Ausstellungsplakate und Zeitungsausschnitte, Fotos oder Karteikarten, die auf Wandtableaus angeordnet sind wie bei Polizeiermittlern, bei Fahndern und Profilern:
"Diese Materialien, die wir im Getty Research Institute bewahren und ordnen und der Forschung zur Verfügung stellen, die geben einen Einblick in das Leben, das politische, das soziale Leben, die soziale Wirklichkeit dieser Künstler. Hinter dieser ganzen Initiative steht natürlich auch, die Geschichte der kalifornischen Kunst neu zu erzählen."
Zutage kommt eine Chronik diverser Künstlergemeinschaften, eher zaghafter Galeriegründungen und kleiner Sammlerzirkel, von den Anfeindungen im Kalten Krieg und Zensurmaßversuchen konservativer Politiker nach Rassenunruhen der sechziger Jahre und Protesten gegen den Vietnamkrieg. Vor allem aber eine erstaunliche Vielfalt, stilistisch wie in der sozialen oder gar politischen Ausrichtung. Exemplarisch ist das Plakat zur Galerieausstellung "War babies" von 1961. Vier junge Männer haben sich zum Essen um einen mit dem Sternenbanner drapierten Tisch versammelt, der Afroamerikaner Ed Bereal kaut eine Melone, Ron Miyashiro nimmt Stäbchen zur Hand, der irischstämmige Joe Goode rückt einer Fischkonserve zuleibe und Jerry Bell, ein Jude, hält sich an sein Bagel.
Da wird sehr viel angedeutet, was sich dann aber en detail nur mit Hilfe des umfangreichen Katalogbuchs verfolgen läßt. Und so dominieren dann doch wieder die großen Namen, die großen Formate: Allen voran "Berlin Red" von Sam Francis, eine abstrakte Arbeit von acht mal zwölf Metern, 1969 im Auftrag der Berliner Nationalgalerie gemalt - und dort bis auf Intermezzo im Jahre 2003 im Depot verschwunden. Aber nicht nur mit dieser Ausgrabung hat die Schau "Pacific Standard Time" für Bewegung in der Kulturlandschaft gesorgt, folgt man Peter-Klaus Schuster, der sich als ehemaliger Generaldirektor der Berliner Museen begeistert zeigt von dem Los Angeles-Projekt:
"Die temporäre Nationalgalerie der südkalifornischen Kunst, die temporäre Nationalgalerie - das ist unglaublich! Und zugleich sehen sie als zweite Ausstellung daneben diese Dossiers des GRI. Das GRI is something like Marbach am Pazifik. Alle Archive, alles, was sie da haben, wird dort ausgebreitet. Es ist eine Recherche, wie Künste sich in dieser unmöglichen Stadt überhaupt sichtbar gemacht haben, wie sie die Kunst organisiert haben. Es gab ja keine Kunsthalle, es gab gar nichts - und sie haben es selbst in die Hand genommen."
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