Künstler als Ahner und Mahner

Von Jochen Stöckmann |
Die antike Seherin Kassandra sagte den Untergang Trojas voraus, wurde aber nicht erhört. Ähnlich prophetische Gaben mit wenig Auswirkungen besaßen die Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts und zwischen den Weltkriegen, wie jetzt eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum Berlin zeigt. Rund 350 Exponate zeigen Visionen von Unheil, Krieg und Zerstörung in oft allegorischen Anspielungen.
Nicht nur der Verrat ist eine Frage des Datums, sondern auch die Vorahnung. Zum Beispiel bei Karl Hofers Gemälde "Mann in Ruinen". Als Buchcover und Plakatmotiv hat man dieses Bild oft gesehen, meint es gut zu kennen. Doch jetzt fragt das Deutsche Historische Museum nach dem Entstehungsdatum, und berührt damit mehr als einen chronologisch-buchhalterischen Aspekt. Direktor Hans Ottomeyer:

"Dieses Bild eines Mannes, der verstört, niedergeschlagen in einer vom Luftkrieg zerfetzten Ruinenlandschaft sitzt, dieses Bild ist von 1937, also vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges - das glaubt man erst einmal nicht, dass Hofer imstande war, das - und das ist für mich das Schlüsselwort - das abzusehen, was sich da anbahnte."

"Kassandra" ist denn auch der Titel einer Schau, die mit mehr als 300 Arbeiten zu den Themen Krieg und gewalttätige Diktatur die prophetische Kraft der Kunst zwischen 1914 und 1945 unter Beweis stellen will. Kassandra allerdings, die antike Seherin, wurde sprichwörtlich, weil niemand ihren Weissagungen Gehör schenken mochte. Und so fragt sich, wie weit die von Expressionisten wie Ludwig Meidner , dem Dadaisten und Gesellschaftskritiker George Grosz oder einem Surrealisten wie Max Ernst gewählten Bildformeln politisch trugen, wie überzeugend ihre oft mit prophetischem Pathos illustrierten Mahnungen auf den Betrachter, gar auf die Massen wirkten.

Stefanie Heckmann: "Es gibt nach 1945 nicht diese kritische, drastische Aufarbeitung von Krieg, wie wir die nach dem Ersten Weltkrieg haben mit Otto Dix oder Käthe Kollwitz. Sondern die Künstler versanken eher in der Stimmung der Resignation, wo der eigene Opferstatus eigentlich eine größere Rolle spielte als der Versuch, diese Schrecken des Krieges zu analysieren und die eigene Schuld anzuerkennen."

Stefanie Heckmann, die Kuratorin, beginnt ihren Parcours mit "apokalytischen Visionen" des Ersten Weltkriegs, stuft die Jahre von 1918 bis 1929 als "Zeit zwischen Revolution und Resignation" ein, sieht nach 1930 Warnungen vor dem "Weg in die Barbarei", differenziert also zwischen verschiedenen Arten von künstlerischen Seismographen.

"Künstler vor dem Ersten Weltkrieg, das waren Künder einen neuen Zeit, das war positiv. Die haben sich nicht als Unheilspropheten verstanden und wurden von ihren Zeitgenossen auch nicht so gedeutet. Zwischen den Kriegen haben die Künstler sich eher als Ahner und Mahner verstanden, die die Erfahrungen des Kriegs ja jetzt auch im Rücken hatten."

Bis zu den Grabenschlachten des Ersten Weltkriegs wird der Krieg als quasi naturgegebene Katastrophe dargestellt. Alfred Kubin zeigt ihn 1930 in Gestalt eines antiken Kriegers, der unter seinem Helm blindlings voranstürmt - das Motiv geht allerdings auf eine ältere Fassung von 1901 zurück. Es sind feststehende Formeln, Stereotype, auf die auch noch Künstler der Weimarer Republik sich beziehen. Zum Beispiel Rudolf Schlichter mit seiner "Blinden Macht", einem halbnackten Muskelprotz, der mit blutigen Schwertern am Abgrund steht, hinter sich eine Landschaft in Flammen zurücklässt - und selbst angefressen wird von monströsen Wesen, die sich in seine Brust krallen:

Stefanie Heckmann: "Weil Rudolf Schlichter es zunächst als ein antidemokratisches Programmbild gegen die Weimarer Republik gemalt hat 1932. Also das waren die Kräfte der Demokratie, die die Nation, den Staat zerfressen. Erst als er selbst für entartet erklärt war, im Gefängnis gewesen war, hat er dieses Bild umgewidmet, umgemalt und es eben zu einem programmatischen Bild gegen den Nationalsozialismus umgedeutet."

Es galt also, für die Ausstellung die Geschichten hinter den Bildern freizulegen, nicht nur einfach die längst bekannten Inkunabeln zu präsentieren, sondern Forschung zu betreiben, auch vergessene Künstler wieder ins Rampenlicht zu rücken. Und auch darauf hinzuweisen, dass etwa Richard Oelze mit seinen bedrohlich wirkenden, unter dichten Nebelbänken wie unter Leichentüchern verschwindenden Landschaften und den ängstlich zusammengerückten Menschengruppen 1937 keineswegs vor einem kommenden Krieg warnen, sondern nur ein allgemeines Gefühl der Bedrohung ins Bild setzen wollte. Dafür hat Stefanie Heckmann auch zahlreiche Selbstzeugnisse zu Rate gezogen:

"Wobei man da natürlich auch sehr vorsichtig sein muss, weil viele Künstler sich erst nach dem Krieg dazu geäußert haben. Und da lag natürlich auch sehr nahe, auch Ereignisse oder Katastrophen in die Bilder hereinzusehen, die eigentlich in der Zeit selbst dort noch gar nicht so spürbar waren."

Da ist sie wieder: die Frage des Datums. Neben Karl Hofers "Mann in Ruinen" stehen zum Beispiel die vom Motiv her ganz ähnlichen "Gespenster in Ruinen" von Magnus Zeller, die der Potsdamer Künstler allerdings erst 1946 ausgeführt hat.

Stefanie Heckmann: "Magnus Zeller hat die Hakenkreuze später reingemalt, aber trotzdem ist es eher eine Präzisierung als eine Umdeutung des Bildes. Der Inhalt, die Botschaft war schon deutlich zu erkennen im Vergleich zu Radziwil und Schlichter, die komplett ihre Bilder dann umgemalt haben."

Allerdings lässt sich im direkten Vergleich auch feststellen, dass Karl Hofers Vorahnung vor allem aufgrund der eindrücklichen künstlerischen Qualität überzeugt, nicht wegen irgendwelcher prophetischer Gaben. Andererseits sind Bilder wie der "Fastnachtszug" von Otto Dix kaum auf den ersten Blick zu entschlüsseln, waren das wohl auch für die Zeitgenossen nicht:

"Der Zug zieht von rechts nach links - was in der Kunstgeschichte immer ein Zeichen ist: da stimmt was nicht. Und in der Mitte die Trägheit des Herzens, im Gemälde hat die hier eine Kröte als Herz - und wenn sie genau hingucken, dann sehen sie, dass er da in diese Figur auch ein Hakenkreuz eingeschrieben hat."

Ob derart verschlüsselte Allegorien als Warnungen verstanden wurden, bleibt fraglich. Zumal auch diese nur indirekt regimekritische Kunst nach 1933 kaum in öffentlichen Museen gezeigt wurde. Aber auch im Ausland, in demokratischen Ländern, blieb direkt politische Kunst selten:

"Ganz spannend bei der Vorbereitung war zu sehen, dass auch die Künstler, die ins Exil gegangen sind, an dieser allegorisch verschlüsselten Bildsprache, an dieser Ikonographie des Untergangs festgehalten haben."

Service:
Die Ausstellung "Kassandra. Visionen des Unheils 1914 - 1945" ist vom 19. November 2008 bis 22. Februar 2009 im Deutschen Historischen Museum Berlin zu sehen.