Künstler als gesellschaftliche Wesen

Von Anette Schneider |
Künstler aus aller Welt, die zur 7. Berlin-Biennale einer online-Präsentation zustimmten, bilden den Grundstock von "Art Wiki". Besonders politisch will diese Biennale sein. Daher sollten die Künstler und Künstlerinnen auch beschreiben, ob und wie sie sich "selbst als politisch ansehen".
"Humanistisch"
"Unpolitisch"
"Liberal"
"Feministisch"
"Pluralistisch"
"Links"

In monatelanger Kleinarbeit werteten einige Volontäre die eingegangenen Unterlagen aus und fassten sie für die Online-Plattform "Art Wiki" in Fragebogenform zusammen. Klickt man sich durch die alphabetisch aufgelisteten Künstler und Künstlerinnen aus aller Welt, findet man auf ihrer Seite nun ihre Angaben zu Geschlecht, Geburts- und Wohnort, zu künstlerischen Arbeitsbereichen und Ausstellungsbeteiligungen, der eigenen Website, sowie ein Stichwort zur politischen Selbsteinschätzung.

"Unpolitisch"
"Sozialdemokratisch"
"Grün"
"Freundlicher Anarchist"
"Atheistisch"
"Neutral"
"Unpolitisch"
"Unpolitisch"
"Unpolitisch"
"Unpolitisch"

"Die größte Partei ist die der Nichtwähler, der politisch sich nicht äußernden Künstler. Was natürlich auch eine Aussage ist. (... )Wir haben über 2000, die mitmachen, und 5000 haben was geschickt. Also gibt es dann doch eine Mehrheit, die sagt: 'Wir bleiben bei den alten Methoden und wollen uns hier nicht weiter präsentieren.'"

Erklärt der Medienaktivist Pit Schulz, der Art Wiki für die Berlin Biennale entwickelte.

Einige aber schreiben munter drauf los. Achim Riethmann aus Berlin etwa bezeichnet sich als "links" und erläutert:

"Am liebsten wär ich Antichrist, ... ähh ...Anarchist. Allerdings bin ich kein besonders politischer Mensch. Ich versuche, Kunst zu machen. Das kann natürlich politisch sein, denke ich, je nach Betrachtungsweise mehr oder weniger. Meine Arbeit wird des Öfteren als politisch bezeichnet. Das trifft es aber nicht. Ich denke, sie ist eher pseudopolitisch."

Adar Yosef aus Chicago schreibt:

"Ich wünschte, die Welt wäre politikfreie Zone. Ich identifiziere mich mit keiner Politik. Unter den gegenwärtigen Bedingungen bin ich Sozialdemokrat."

Andrea Yoki aus Cleveland, Ohio klagt:

"Als Künstlerin bin ich oft frustriert, das meine Arbeiten völlig unpolitisch diskutiert werden. ... Ich bin linke Feministin."

Und der Rumäne Adrian Lis meint:

"Warum politisch sein? ..."

Der Erkenntniswert solcher Aussagen tendiert gegen Null: Da erst wenige Künstler auf Art-Wiki auch eigene Arbeiten zeigen, lassen sie sich nicht aneinander messen. Vor allem aber sind Begriffe wie "links", "liberal" oder "humanistisch" derartig schwammig, dass sie inhaltlich kaum etwas aussagen.

Auch muss, wer sich als "links" bezeichnet, nicht automatisch "kritische" Kunst produzieren. Umgekehrt führt die Behauptung, unpolitisch zu sein, nicht zu unpolitischer Kunst, denn die gibt es nicht: Wer schweigt, stimmt zu.

All dies wissen natürlich auch die Kuratoren. Und so beabsichtigt ihre Frage auch etwas ganz anderes: Sie will die alte, heute fast verloren gegangene Erkenntnis wieder bewusst machen, dass Künstler gesellschaftliche Wesen sind - und damit jede Kunst politisch ist. Pit Schulz:

"Die Haltung vom Kurator ist eben zu sagen: Es gibt keine Kunst, die sich nicht-politisch nennen kann. Kunst ist immer auch eine Aussage zur gesellschaftlichen Situation im Endeffekt. Das war bisher immer so. .Sie repräsentiert immer auch Machtkonstellationen und gesellschaftliche Systeme. Deswegen kann der Künstler nicht einfach behaupten, er ist autonom und hat dazu nichts zu sagen. Er sagt immer etwas dazu, automatisch."

Auch jenseits dieser Erkenntnis entpuppt sich "Art Wiki" als ausgesprochen engagiertes Projekt für Künstler und Künstlerinnen. Die Berlinale führt dies exemplarisch vor: Während sie nur einige wenige Bewerber ausstellen kann, präsentiert "Art Wiki" - auch vor Ort in einem Arbeitsraum - alle. Damit umgeht das Projekt die hierarchischen Strukturen des Kunstbetriebs und die undurchsichtigen Auswahlkriterien seiner Kuratoren. Pit Schulz:

"Bei Art Wiki geht es eben darum, das pragmatisch zu nutzen und zu sagen: "Wir müssen nicht diese Auswahl treffen durch die Knappheit des Raums. Wir können erst mal alle, die Vorschläge eingereicht haben, im Prinzip den Raum zur Verfügung stellen. Digital. Damit entsteht eine Enthierarchisierung. Eine Möglichkeit, sich um bestimmte Suchbegriffe herum zu organisieren. Sich selbst zu organisieren."

So lassen sich unter Stichworten wie "anarchistisch" oder "feministisch" möglicherweise Gleichgesinnte finden. Künstler und Künstlerinnen, so der Medienaktivist Schulz, die angesichts des Widerspruchs zwischen einer vornehmlich am Kunstmarkt orientierten Produktion und den sozialen Protesten in Europa nach ganz neuen Möglichkeiten suchen.

"Die Formen, die in den letzten Jahrzehnten entwickelt wurden, sind marktorientierte Formen gewesen, die auf einer Kunstmesse sich gut machen, aber nicht unbedingt dazu geeignet sind, damit auf die Straße zu gehen. Und Art Wiki versucht erst einmal demokratische Mittel zur Verfügung zu stellen, damit Künstler sich darin ausdrücken können. Ansonsten ist es kein Diskussionsforum. Es ist eher so eine Art Verzeichnis für Künstler. Erst einmal. Daraus kann sich dann eben mehr entwickeln."
Mehr zum Thema