Schmuck aus Kuhfladen im Dorflabor
Das nordhessische Gottsbüren hadert mit den typischen Problemen des ländlichen Raums: Strukturwandel, Landflucht, Abwanderung. Ein Kunstprojekt der Uni Linz soll das Dorf jetzt wiederbeleben. Die Künstler sollen Botschafter einer "Prä-Gentrifizierung" werden.
Ein Badezimmer ohne Wände auf einem Rasenstück mitten im Dorf. Von hölzernen Balken baumeln Gießkannen über Wasserbecken und Dusche, der rote Duschvorhang flattert im Freien. Unter dem nächsten Baum steht eine Badewanne. Das Wasser fürs erfrischende Bad unter freiem Himmel kann mit den Gießkannen aus dem nahe gelegenen Dorfbrunnen geschöpft werden. Eines der vielen Kunstobjekte, die rund 30 Studierende der österreichischen Kunst-Uni Linz in den letzten Wochen in Gottsbüren installiert haben:
"Alle Sachen, die irgendwie skurril wirken im Dorf, sind alles Kunstprojekte von Studierenden. Teilweise sind sie jetzt schon wieder abmontiert worden, weil eben der Sturm nicht so gnädig war. Und es gibt auch zwei, drei Häuser, die einfach als Leerstände übernommen worden sind von uns. Teilweise zu Galerien umgestaltet worden sind, zu Installationsräumen, zu einem Gasthaus, wo wir jetzt gerade sitzen."
Veronika Platz ist Master-Studentin der Raum- und Designstrategien an der Kunst-Uni Linz. Seit zweieinhalb Wochen arbeitet sie jetzt schon in Gottsbüren als politisch-korrekte "Prä-Gentrifiziererin". Denn was in Großstädten nicht gewollt ist - dass Künstler auf der Suche nach billigen Atelierräumen in heruntergekommene Stadtviertel einziehen und damit einer Gentrifizierung den Weg ebnen, das nennt man "Prä-Gentrifizierung" - genau dies ist in Gottsbüren gewollt.
"Dass Leute eben auch kommen durch unsere Projekte und sich das anschauen und sagen: Aha! Dieses Haus kostet wirklich nur 40.000 Euro und nicht 440.000 Euro und vielleicht auch ihren Traum vom Leben auf dem Land verwirklichen können."
Leerstehende Häuser werden künstlerisch umgestaltet
Veronika Platz startet zu einem Rundgang durch das Dorf, um mir zu zeigen, wie die Österreicher in den vergangenen drei Wochen einige der rund 15 leerstehenden Häuser umgestaltet haben.
Reporter: "Jetzt sind wir hier vor einem alten Supermarkt, der auch leer steht. Genauso, wie die Kneipe daneben. Aber hier ist eine Galerie entstanden…"
Veronika Platz: "Ja, die Bachelor-Studenten unserer Studienrichtung haben hier eine Galerie aufgemacht und haben sich dieses Jahr mit dem Thema 'Kuh' auseinandergesetzt."
Reporter: "Sie haben Marionetten gebaut, sie haben gezeichnet, sie haben eine Kuh mit einer Kamera ausgestattet, und aus der Kuhperspektive gefilmt."
Veronika Platz: "Das ist Milchhaut."
Reporter: "Milchhaut?"
Platz: "Genau. Milch aufgekocht und dann die Haut, die sich drüber bildet, abgeseiht und daraus versucht, Kleidungsstücke herzustellen. Nur zum Anschauen."
Reporter: Dann haben wir Kühe auf Monitoren, eine Installation mit fünf Monitoren.
Platz: Das ist auch noch ganz lustig: Das ist Kuhscheiße, als Schmuck umgewandelt, quasi. Dann hat eine Austauschstudentin aus China im Stil einer chinesischen Zeichnung Gottsbüren gezeichnet. Das ist das Original. Wo sich immer wieder die Perspektive ändert, dass man immer von der Straße aus den Blick hat. Also es ist jetzt keine Axonometrie, sondern er ist, wenn man spazieren geht, immer von der Straße aus der Blick auf die Fassaden dargestellt."
Es gibt viele schöne Fachwerk-Fassaden in Gottsbüren, einige sind 300 Jahre alt. Es gibt sorgfältig renovierte Fachwerkhäuser im Ort, aber eben auch rund 15 Häuser, die leer stehen und ab 25.000 Euro zu bekommen wären.
Platz: "Jetzt sind wir im Dorflabor, das ist auch ein leerstehendes Fachwerkhaus, was wir uns eben angeeignet haben, um hier mit Kindern Projekte zu machen."
Reporter: "Also, es geht jetzt hier am alten Fachwerkhaus durch den etwas verwilderten Garten entlang (Schritte) und jetzt kommen wir in das Gebäude selbst hinein und hier ist jetzt so eine Art Werkstatt erst einmal. Haben Sie das hier vorgefunden"?
Platz: "Das haben wir teilweise hier vorgefunden. Das war ein alter Schweinestall. Und haben das umgebaut als Werkstatt. All die Kästen, die wir hier sehen, haben wir aus anderen Häusern herangetragen."
Reporter: "All das haben sie in zweieinhalb Wochen umgestaltet?"
Platz: "Ja, diesen Raum haben wir in der ersten Woche gemacht. Es geht auch noch weiter da. Da kann man noch weiterlaufen…"
Kunstspielplatz und Dorflabor
Es geht weiter in das Hausinnere, das Kindergruppen unterdessen zu einem Kunstspielplatz umgestaltet haben. Eine Aktion, die auch die Nachbarn am Gartenzaun überzeugt hat:
"Hier ist so ein Dorflabor, es sind schon Schulklassen gewesen, also es war ein bisschen was los hier."
"Es ist schon eine andere Bewegung hier im Dorf, durch die Studenten."
"Im Moment haben sie es schon ein bisschen aufgemischt."
Reporter: "Haben Sie denn wirklich die Hoffnung, dass dann junge Leute dann auch wirklich hier bleiben und dann ein Atelier eröffnen?"
Nachbarin: "Von den Studenten hat mir vorhin jemand erzählt, er möchte gerne hier her und ein Haus kaufen."
Reporter: "Das ist ja toll!"
Nachbarin: "Der hat ein Atelier, der ist da unten, der zeichnet und malt und der findet es hier ganz toll."
Die Rede ist vom Linzer Kunststudenten Paul Kitzmüller. Der fragt tatsächlich wenig später den Gottsbürener Bürgermeister, ob der ihm bei einem Hauskauf behilflich sein kann:
"Ich habe auch schon überlegt, ob ich mir da ein kleines Häuschen kaufe und vielleicht auch länger bleibe."
Bürgermeister: "Ja, wir haben da ein breites Spektrum im Angebot."
Kitzmüller: "Da kann man vielleicht mal was machen."
Bürgermeister: "Da kann man sicher mal drüber reden. Schon wenn man einen Arbeitsplatz für einen Künstler schafft, dann kriegen wir auch Fördermittel."