"Privatsphäre ist etwas unheimlich Wertvolles"
Wie können Künstler auf die Gefahren des Big Data reagieren? Darum geht es in der Ausstellung "Watched!" von C/O Berlin. Mit dabei ist der Video- und Installationskünstler Florian Mehnert. Er kritisiert unseren freiwilligen Verzicht auf Privatheit: Sie sei nicht mehr zurückzugewinnen.
Liane von Billerbeck: Ich mache das selten, aber jetzt zitiere ich mal einen Pressetext. In dem steht nämlich: "Öffentlichkeit versus Privatheit, Freiheit versus Kontrolle. Durch die zunehmende Digitalisierung sind die Rolle der visuellen Medien und unterschiedliche Formen der Überwachung längst zu einem gesamtgesellschaftlichen Thema geworden. So steht es im Text zu einer Ausstellung, die das C/O Berlin, die Fotogalerie und das Museum für Fotografie veranstalten zum Thema Überwachung und Fotografie und visuelle Medien.
Und es geht um Positionen von Künstlern, aktuelle und historische, und ich habe jetzt einen Gast im Studio, der sich als Künstler schon lange mit dem Thema Überwachung beschäftigt: Florian Mehnert. Er malt, er fotografiert, er visualisiert mit Videos und Rauminstallationen, bedient sich auch der digitalen Technik und ist aktuell in der Ausstellung "Watched!" auch vertreten und hat das Gesamtprojekt auch in Diskussionsveranstaltungen begleitet. Schönen guten Morgen erst mal!
Florian Mehnert: Guten Morgen.
von Billerbeck: Was hat Sie dazu gebracht, sich ganz konkret, mit dem Thema Überwachung, digitale Welt und den Folgen zu beschäftigen?
Mehnert: Das Initial, denke ich, für mich war schon 2013 die Leaks von Snowden, die mich dahingehend schockiert haben und auch bestätigt hatten, weil ich die Befürchtung hatte und mein Umfeld mich da als paranoid schon bezeichnete, dass es so was geben kann, und dass eben das Internet speichert und dass Google die Möglichkeiten hat, all die Anfragen auch zu speichern und zu verknüpfen. Und als dann Snowden hochkam und offen und klar gesagt hat, wie die Dinge laufen, da war das für mich ein Schock und auch ein Initial, anzufangen, in dieser Richtung zu arbeiten.
Waldprotokolle: Das heimliche Abhören von Spaziergängern
von Billerbeck: Mit welchen Mitteln machen Sie das? Sie nutzen ja dann auch die Mittel, die die Überwachung bietet, um da künstlerisch was zu tun.
Mehnert: Ja, das habe ich getan. Ich habe in Wäldern abgehört zum Beispiel in 2013, das sind die Waldprotokolle, die man jetzt in Berlin ja auch sehen, hören kann. Da habe ich abgelauscht, abgehört, aber eigentlich an analogen, gar nicht so digital, wie das ja jetzt in der neuen schönen Big-Data-Welt gemacht wird. Ich habe das mit Mikrofonen gemacht, ganz klassisch, im Wald gesessen und vorbeigehende Spaziergänger abgehört und das Ganze digitalisiert und ins Internet gestellt. Und dieses Veröffentlichen war sicher ein wichtiger Schritt hin zu dieser digitalen – zu zeigen, wie das Analoge in das Digitale kommt, wie das Unsichtbare sichtbar wird.
von Billerbeck: Ich finde es ganz schön, dass jetzt ein Künstler wieder sehr deutsch den deutschen Wald abhört. War das Ihnen so wichtig, dass Sie genau dahin gegangen sind?
Mehnert: Ja. Der deutsche Wald ist so ein Ort der Romantik, auch des Schutzes, des Rückzugs für uns Deutsche, denke ich. Und es war, finde ich, genau dieses Konstrukt, genau das zu erschüttern und dieses vermeintliche Rückzugsgebiet und Gebiet der Ruhe und der Zurückgezogenheit aufzulösen und damit eben zu zeigen, Privatsphäre ist etwas unheimlich Wertvolles und sehr Wichtiges, und es ist eben gar nicht obsolet. Und genau dort, wo die Menschen nicht erwarten, dass man abgehört würde, das wäre sicherlich ein Ort im Wald, dachte ich mir damals. Und deswegen habe ich diesen Wald abgehört und das so damit aufgelöst, letzten Endes.
Kann man die Selbstbestimmung über die Daten zurück gewinnen?
von Billerbeck: Sie haben es ja schon erwähnt, dass die neuen Medien, dass auch die Möglichkeiten, die es dadurch gibt, durch Edward Snowden bekannt gemacht wurden, auch gezeigt haben, wie viel Privatheit wir aufgeben. Viele von uns tun das sehr freiwillig und in dem Drang, es bequem zu haben. Wie kann man denn die Selbstbestimmung über die Daten zurückgewinnen? Was sehen Sie denn als Künstler da für eine Möglichkeit?
Mehnert: Wahrscheinlich gar nicht. All die Daten, die wir jetzt seit Jahren schon abgeben, können wir überhaupt nicht mehr zurückgewinnen. Die Schwierigkeit liegt in dieser Freiwilligkeit, die wir alle haben, weil Kommunikation ein Grundbedürfnis unseres menschlichen Seins ist.
Und wenn all diese Angebote, die wir ja alle nutzen und kennen – WhatsApp und natürlich das Internet als solches und die ganzen anderen sozialen Medien, die man einzeln gar nicht aufzählen braucht, die unser Kommunikationsbedürfnis, unser Selbstdarstellungsbedürfnis bedienen und uns letzten Endes fast konditionieren, auch mit Belohnungen – wer sich viel darstellt, bekommt viele Follower. Das hat ja auch sehr tiefenpsychologische Hintergründe. Da ist die Bereitschaft offensichtlich, wie man sieht, ja riesig, sich da zu verausgaben.
Gefragt ist eine neue Wirtschaftsethik
von Billerbeck: Auch für Sie als Künstler?
Mehnert: Nein, für mich als Künstler nicht. Ich habe keinen Facebook-Account, zum Beispiel, und ich twittere weniger als rudimentär, würde ich sagen. Die Hoheit sozusagen über seine Daten zurückzugewinnen, das ist sehr schwierig. Es sind ja wirtschaftliche Kreisläufe, Milliardengeschäfte, die dahinterstecken, hinter diesem Big Data, hinter dieser Idee, ein Echtzeitmodell des öffentlichen Raums eigentlich zu schaffen. Dafür bräuchte es so was wir Wirtschaftsethik, die, wenn es um sehr viel Geld geht, glaube ich, ihre Schwierigkeiten hat.
Und es bräuchte eine Regulierung, die wiederum sehr schwierig ist, denn das Internet oder der digitale Raum ist ein privatwirtschaftlich organisierter öffentlicher Raum, keiner der staatlich reguliert ist. Wir haben ja alle sozusagen unser privates Einverständnis – wir klicken die AGBs ab, wir sagen okay, ich akzeptiere das alles. Und solange das der Fall ist, ist es sehr schwierig, nach einer Regulierung zu rufen. Und man sieht ja auch, wenn Jan Albrecht sich in Brüssel bemüht, wie schwierig das ist.
von Billerbeck: Das heißt, Sie können als Künstler eigentlich nur zeigen, was ist. Sie sind ja kein politischer Aktivist.
Mehnert: So ist das. Meine Aufgabe sehe ich darin, zu zeigen, was ist, da drauf zu zeigen, was ist. Ich kann nicht die Lösung anbieten. Ich kann eine Plattform des Diskurses schaffen, und ich kann natürlich auch mein eigenes Bedürfnis nach Lösung oder nach einer Suche darin ausdrücken, mich daran selbst abarbeiten sozusagen, um mit dieser Problematik klarzukommen.
von Billerbeck: Florian Mehnert war das, Künstler, Fotograf, Videokünstler, Diskutant, dessen Arbeiten jetzt in einer Ausstellung im C/O Berlin auch zu sehen sind. "Watched!" heißt sie, noch bis zum 23. April können Sie dort diese Ausstellung besuchen. Vielen Dank fürs Kommen!
Mehnert: Vielen Dank!
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