"China wird demokratischer werden"
In der Kunst des Chinesen Lv Shang dreht sich alles um Demokratie, Freiheit und Menschenrechte. Auch außerhalb der Kunst engagiert er sich politisch. Der Staat reagiert mit Verboten seiner Kunst - und Gefängnis. Momentan wird Shang wieder stärker überwacht.
Schon sein T-Shirt ist in China eine Provokation. Darauf sind Menschen, die einen gelben Regenschirm aufrichten. Auf dem steht: Democracy. Ein Zeichen der Solidarität mit den Regenschirmprotesten für mehr Demokratie in Hongkong. Einen Monat musste Künstler Lv Shang 2014 ins Gefängnis, weil er mit den Protesten offen solidarisiert hatte.
"In allen Bereichen in China müssten die Menschen für ihre Freiheit kämpfen. Besonders als Künstler, in unserem künstlerischen Schaffen, sollten wir frei sein. Ich habe Angst, dass China daran scheitert. Wenn wir die letzten Jahre angucken, geht die Entwicklung genau in die andere Richtung."
Nämlich hin zu mehr Repression und weniger Freiheit. Auch für Künstler, wie Lv Shang. Der 41-Jährige lebt mit seiner Frau und seinem siebenjährigen Sohn in der Künstlerkolonie Songzhuang, vor den Toren Pekings. Mehr als 2.000 Künstler leben hier. An staubigen Straßen, in einfachen Häusern. Es wirkt ruhig, fast schon idyllisch. Aber der chinesische Staat beobachtet gerade hier sehr genau.
"Seit 2008 engagiere ich mich für gesellschaftlichen Wandel. Und seitdem werde ich überwacht. Beobachtet im Alltag, bei manchen Terminen begleitet von Sicherheitsleuten. Verfolgt und auch schon aus Mietshäusern geworfen."
Porträts politischer Gefangener
Lv Shang hat 2008 mit rund 300 Intellektuellen und Künstlern die so genannte Charta 08 unterzeichnet. Ein Aufruf für mehr Demokratie und das Ende der Ein-Parteien-Herrschaft in China. Ein ungewöhnlich deutlicher Appell nach politischen Reformen und freier Meinungsäußerung. Und auch seine künstlerische Arbeit dreht sich seitdem vor allem um das Konzept der Freiheit.
"Meine Werke haben immer wieder die politischen Gefangenen und Petitionäre in China zum Thema. Nach der Charta 08 habe ich angefangen, die politischen Gefangenen zu portraitieren."
Aus dem Abstellraum seines Ateliers holt Lv Shang Portraits, alle in Schwarz, Weiß und Grau gehalten. Mit Menschen, die im Gefängnis waren oder noch sind. Weil sie sich in China für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben und deshalb als Staatsfeinde gelten. Mehr als 100 Portraits aus dieser Reihe hat Lv Shang bereits gemalt.
"Das hier sind alles Anwälte. Hier der Bürgerrechtsanwalt Sui Muqing, ein Freund von mir. Dort, das ist der Anwalt Pu Zhiqiang. Das hier ist Wang Yu."
Foto mit Merkel
Lv Shang darf die Portraits weder aufhängen noch verkaufen. Er musste den Behörden sogar eine Erklärung unterschreiben, dass er die Serie stoppt. Er nennt sie "Portraits für Menschenrechte in China".
"Ich weiß nicht, wie lange die Verhältnisse noch so bleiben. Aber China wird irgendwann demokratischer und zivilisierter werden. Ich bin sicher, dass keiner diesen Trend langfristig aufhalten kann. Ich glaube nicht, dass mein Wirken China besser machen kann. Meine Macht ist begrenzt. Aber ich werde weiter mein Bestes versuchen."
Lv Shang postet seine kritischen Ansichten auch in den sozialen Netzwerken wie WeChat. Oft wird das gelöscht. Jetzt, kurz vor dem 4. Juni, werden Leute wie er noch enger überwacht - wie immer vor dem Jahrestag des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989. Lv Shang zeigt auf ein kleines Foto, das neben einem seiner bunten, großflächigen Bilder an der Wand seines Studios pinnt. Darauf ist er neben Bundeskanzlerin Angela Merkel zu sehen. Als einer von sieben Künstlern und Menschenrechtlern hat er Merkel bei ihrem Besuch in Peking 2016 getroffen. Und hat ihr damals ein gezeichnetes Portrait von ihr überreicht.