"Es geht im Moment nur noch ums Überleben"
Künstler und Schriftsteller in Venezuela haben derzeit das gleiche Problem wie die normale Bevölkerung: Es ist schwer, satt zu werden. Die Revolution war ein monumentales Fiasko, das Bedürfnis nach Veränderung sei riesig, sagt der Autor Leonardo Padron.
Leonardo Padron sagt, er fühle sich überwältigt von der Wirtschaftskrise in Venezuela. Apokalyptisch sei sie inzwischen. Er gehört zu denen, die sich den Restaurantbesuch noch leisten können. In Caracas erzählt der Schriftsteller und Autor vom Leben in Mangel, Unsicherheit und Unterdrückung:
"Die Angst war schon immer eines der wichtigsten Machtinstrumente totalitärer Regime. Sie brauchen eine gezähmte, eingeschüchterte Gesellschaft, die ihren Tag in Warteschlangen verbringt, um etwas Essbares aufzutreiben, und keine Zeit für politische Proteste hat. Eine Gesellschaft, die nicht auf die Straße geht, sondern sich in ihren Häusern versteckt."
Der tägliche Kampf um Grundnahrungsmittel paralysiert die Venezolaner. Wegen der Gewalt auf den Straßen verlassen sie ihre Häuser nach Einbruch der Dunkelheit kaum noch. Theater, Konzertsäle und Kinos bleiben leer, es sei denn, sie befinden sich in Einkaufszentren oder die Vorstellungen finden nachmittags statt.
Atemübungen gegen den Hunger
Wie Künstler ums Überleben kämpfen, erzählt Schauspielerin Mariel Maza in Puerto Ordaz am Orinoco. In der einst blühenden Industriemetropole gebe es keine Arbeit mehr und keine Grundnahrungsmittel in den Läden, sagt die Frau mit grauem Kurzhaarschnitt und schwarzem Hosenanzug:
"Für uns Künstler ist das wie ein Test, ob wir dieses Leben wirklich wollen. Es geht im Moment nicht darum, wie wir uns mit Kunst über Wasser halten, sondern nur noch ums Überleben. Ich habe schon einige Male hungern müssen, weil es einfach keine erschwinglichen Lebensmittel gibt. Dann habe ich gelesen oder mich durch Schreiben inspiriert. Ich dachte an die indischen Fakire, die sich von Sauerstoff ernähren und habe spezielle Atemübungen angewandt."
Einige Kilometer weiter westlich, in Ciudad Bolívar, sind die Straßen auch am Tage wie ausgestorben. Erst vor kurzem entluden sich Wut und Verzweiflung wegen des Lebensmittelmangels in gewaltsamen Straßenprotesten und Plünderungen. Dem Museum für Moderne Kunst Jesus Soto sieht man den Mangel an: Ein neuer Anstrich ist überfällig. Drinnen schwitzt die Funktionärin Fanny Astudillo, Chefin des Volks-Kulturministeriums, weil die Klimaanlage nicht funktioniert:
"Es gibt Prioritäten, und das wichtigste im Moment ist nicht die Infrastruktur. Vorrang haben die Menschen. In unserer Revolution haben wir Künstler nicht nach ihren verkauften Werken beachtet, sondern danach, wie sie sich in die Gesellschaft einbringen. Sie können zum Beispiel Kurse geben. Es geht ja nicht nur darum, eine Ware zu verkaufen."
Die Kreativen müssen sich neu erfinden
Die Inflation, die im letzten Jahre mehr als 700 Prozent betrug, macht das ohnehin so gut wie unmöglich. Auch von der Zensur der seit 17 Jahren regierenden Sozialisten bleiben Künstler nicht verschont. Vor sechs Jahren sei zuletzt eine Fernsehserie aus seiner Feder gezeigt worden, erzählt Autor Leonardo Padron:
"In Zeiten ärgster Zensur und Selbstzensur bleibt den Kreativen nichts anderes übrig, als sich neu zu erfinden und mit Verschlüsselungen zu arbeiten. Das Regime weiß genau, dass die Venezolaner die Hoffnung aufgegeben haben. Die Revolution war nichts als Schwindel, ein monumentales Fiasko. Das Bedürfnis nach Veränderung ist riesig."
Veränderung ist jedoch nicht in Sicht. Stattdessen lähmt politischer Stillstand das Land. Der Kampf um das tägliche Brot hat längst alle Sphären der Gesellschaft erfasst. Künstler müssen doppelt kreativ sein: in ihrer Arbeit und beim Beschaffen von Lebensmitteln.