"Ich habe Angst, dass mir der Himmel auf den Kopf fällt"
35:16 Minuten
Bettina Munk fühlt sich in Provisorien zu Hause. Im Westberlin der 80er besetzte die Künstlerin und Autorin Häuser. Es zog sie in die Welt und wieder nach Kreuzberg. Mit früheren Weggefährten hat sie ihre Erinnerungen in einem Roman festgehalten.
Ein Gespräch mit Bettina Munk kann in einer halben Weltreise enden. Man beginnt in Berlin-Kreuzberg, macht einen kurzen Abstecher nach Peking, blickt in London und New York vorbei, streift kurz Heidelberg und kehrt nach Kreuzberg zurück.
Alles Orte, in denen die Künstlerin lebte, arbeitete, die bis heute Spuren hinterlassen haben.
Außenklo, Ofenheizung und Smog
Nach Westberlin kam Bettina Munk in der 80er-Jahren. Mit anderen besetzte sie Häuser, suchte nach alternativen Lebensformen. "Kreuzberg 36 sollte ja abgerissen werden. Da sollte eine Autobahn hin. Wir wollten ein Leben verwirklichen, mit ganz heterogenen Gruppen. Wir hatten die Idee, weg von dem Klein-Klein des bürgerlichen Lebens", erzählt sie.
Und doch will Bettina Munk diese Zeit nicht verklären. Denn neben Außenklo und Ofenheizung erinnert sie sich vor allem an den Smog, der durch die Straßen an der Mauer zu Ostberlin zog. "Da war es so, dass wir fast bis zur nächsten Straßenecke nicht mehr gucken konnten. Weil die ganzen Kachelöfen hier und die Gerüche von den Kohlekraftwerken im Osten, herübergeweht kamen. Das ist ein Geruch, den man auch nicht mehr vergisst."
Über diese Zeit hat Bettina Munk, gemeinsam mit zwei Freunden, der Historikerin Karin Wieland und dem Soziologen Heinz Bude, einen Roman geschrieben, "Aufprall".
"Warum ist sie tot und nicht ich?"
Stilecht ziert das Cover ein Pflasterstein. Aber das Buch erzählt nicht nur von den Auseinandersetzungen in Westberlin kurz vor dem Mauerfall. Der Tod einer Hausbesetzerin, einer gemeinsamen Freundin, spielt eine zentrale Rolle im Roman. Der tödliche Unfall der Freundin ist keine Fiktion, das Ereignis beschäftigte Bettina Munk viele Jahre.
"Man hat ja immer diese Art von Überlebensschuld", sagt sie. "Warum ist sie tot und nicht ich? Diese Frage habe ich mir sehr lange gestellt. Ich habe das dann überwunden, indem ich das in Kunst transformiert habe."
Erst mit sehr viel Abstand wollten und konnten sich die drei ehemaligen Hausbesetzer für ihr gemeinsames Buch an diese Zeit erinnern. Bettina Munk halfen dabei auch ihre Zeichnungen aus diesen Jahren, einige wurden im Roman abgedruckt.
Mitte der 80er-Jahre studierte Bettina Munk an der Hochschule der Künste, besuchte mit der Uni bereits 1986 die Kunsthochschulen in Peking und Schanghai. Ist es bei Westberlin der Smog, kommt Bettina Munk ein surrendes Geräusch sofort in den Sinn, wenn sie an die chinesische Hauptstadt denkt. Es waren die unzähligen Fahrräder, die man damals noch benutzte, bevor Autos die Straßen verstopften.
Digitale Plattform für Kunst
In den 90er-Jahren zog Bettina Munk für einige Jahre nach New York. Hier bewohnte sie mit anderen Künstlern ein Loft in einem ehemaligen Lagerhaus. "300 Quadratmeter für 1200 Dollar im Monat, heute ist das nicht mehr bezahlbar." Sie trifft auf Künstler und Galeristen die an ihre ersten Westberliner Jahre erinnern. "Die hatten so eine Haltung wie die Kunsträume in Kreuzberg, gegen den Markt, für die Künstler."
In New York traf Bettina Munk auch auf Programmierer und lernte, wie man eigene Webseiten baut. Ein Wissen, das sie bis heute nutzt. Denn für ihre Kunst und die von anderen, hat sie 2011 eine Plattform entwickelt. Darauf werden Arbeiten archiviert, ausgestellt und auch animiert.
Die Animation kann man sich wie in Bewegung gebrachte Punkte und Linien vorstellen. Oder man nimmt den Satz von Paul Klee: "Die Linie ist ein Punkt, der spazieren geht". Der würde es treffend beschreiben, findet Bettina Munk.
Statt zur Tanzschule ins Atelier
Obwohl sie als Studentin auch Filme drehte, in London zum Beispiel darüber, wie Menschen gehen, blieb Bettina Munk als wichtigste Ausdrucksform die Zeichnung. Schon als junges Mädchen war sie davon fasziniert. Aufgewachsen in Heidelberg, besuchte sie regelmäßig das Atelier eines Malers, "statt der Tanzschule", erzählt sie.
"Die Zeichnung hat ein riesiges Repertoire. Man kann mit der Zeichnung Skizzen machen. Aber man kann auch sehr lange an einer Zeichnung zeichnen und ein großes Werk herstellen. Also etwas, was wie ein Gemälde, eine lange Auseinandersetzung mit dem Stoff bedeutet. Und das schafft eigentlich kein anderes der klassischen Medien."
Und noch etwas hat sich bei Bettina Munk seit Jahrzehnten nicht verändert. Ohne Hut oder Mütze geht sie seit den 80er-Jahren nicht mehr aus dem Haus.
"Das ist eher so eine innere Haltung. Vielleicht habe ich Angst, dass mir der Himmel auf den Kopf fällt. Das klingt vielleicht ein bisschen komisch, aber so ist mein Gefühl."
(ful)