Die Meisterin der geometrischen Abstraktion
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Es hat lange gedauert, ehe ihr der Ruhm zuteil wurde, der ihr gebührt: Carmen Herrera. Mit 89 verkaufte die Malerin der Konkreten Kunst ihr erstes Bild, fünf Jahre später wurde sie international bekannt. Nun ist sie im Alter von 106 Jahren gestorben.
Minimalistisch, geradlinig, mathematisch genau, mit klaren Farben: So lässt sich das Werk der Künstlerin Carmen Herrera beschreiben. „Es ist eine ganz klare Sprache“, sagt die Autorin und langjährige New-York-Korrespondentin der „FAZ“ Verena Lueken. Für viele seien die Bilder erst einmal „unpersönlich“ und „auf den ersten Blick flach“. Letztlich würden die Werke aber eine „unglaubliche Offenheit in den Raum hinein“ erzeugen und so zu etwas werden, „das voller Emotion ist, weil es so offen ist, so kraftvoll, so eigenwillig“.
Eine Frau, aus Lateinamerika
Herrera wurde 1915 in Havanna geboren und lebte seit 1937 in New York, wo sie nun gestorben ist. Obwohl sie bereits in den 50er-Jahren bei einigen Gruppenausstellungen in New York dabei war, wurde sie von Galerien und Museen weitgehend ignoriert. "Wenn jemand gewollt hätte, hätte er schon damals diese Frau in den Kunstbetrieb integrieren können", sagt Lueken. "Aber es wollte keiner."
Dass dies nicht geschah, hat aus Luekens Sicht drei Gründe: Sie war eine Frau, sie war aus Lateinamerika und „sie war ihrer Zeit voraus. Sie hat etwas anderes gemacht. Diese geometrischen Figuren, das kam eigentlich später“, in den 70er-Jahren. „Da hatte sie das längst schon seit Jahrzehnten gemacht. Aber auch in den 70ern wollte das niemand von ihr sehen.“
Jeden Tag malen, auch mit 101
Verena Lueken besuchte Carmen Herrera in ihrem New Yorker Loft, in dem die Künstlerin schon seit langer Zeit lebte und arbeitete. „Eine uralte Frau. Das heißt, sie konnte eigentlich nicht mehr richtig laufen und war sehr helle im Kopf, trank sehr gerne Whiskey und aß viele Steaks. Das war das Geheimnis des Alters, nach dem sie immer wieder gefragt wurde.“ Damals sei Herrera 101 Jahre alt gewesen „und die große Retrospektive, die sie wirklich weitflächig bekannt gemacht hat, war noch nicht gelaufen. Das passierte einige Wochen später.“
Doch ob nun mit Erfolg oder ohne: Die Künstlerin malte täglich in ihrem Loft, bis ins hohe Alter. „Diese Ausdauer dieser Frau, diese Energie, diese Disziplin auch, das hat mich schon extrem beeindruckt. Jeden Tag setzt sie sich hin und malt, ob es jemanden interessiert oder nicht.“
Nur einmal habe es wohl einen Punkt gegeben, an dem Herrera ans Aufhören gedacht habe, um stattdessen – wie ihr Mann – an einer Schule zu unterrichten. Doch ihr Mann bestärkte sie in ihrem Tun als Künstlerin. „Das kommt überhaupt nicht infrage. Du bist Künstlerin und eine Künstlerin macht ihre Kunst und unterrichtet nicht“, soll er laut Lueken gesagt haben. „Das fand ich eine so tolle Geschichte, weil auch Carmen eben wusste, sie hatte Unterstützung in einem Mann, der sie liebte und für sie gesorgt hat.“
Ihren späten internationalen Erfolg als Künstlerin habe Herrera „mit ganz großer Genugtuung“ aufgenommen. „Sie war überhaupt nicht verbittert.“ Sie habe mittlerweile eher darüber gelacht, dass sie so lange auf Anerkennung habe warten müssen, räumte aber ein: „Gefallen hat es mir nicht.“ Auf die Frage, was sie mit dem vielen Geld machen würde, das sie als erfolgreiche Künstlerin nun verdiene, soll sie geantwortet haben: „Na ja, ausgeben, ist doch klar.“
(lkn)