"Für mich ist im Knast der Sozialismus gestorben"
30:32 Minuten
Die Erfurter Künstlerin Gabriele Stötzer ist ein Freigeist. In der DDR schrieb, fotografierte und filmte sie gegen die Uniformität an – und landete im Gefängnis. Während viele Kollegen in den Westen gingen, hielt sie an ihrem Widerstand fest.
Schon als Studentin legte sich Gabriele Stötzer, geboren 1953 im Dorf Emleben in Thüringen, mit der DDR-Führung an. Ein systemkritischer Mitstudent an der Hochschule in Erfurt wurde vom Studium ausgeschlossen. Und Gabriele Stötzer schrieb einen Protestbrief an niemand Geringeren als an Margot Honecker, die Ministerin für Volksbildung und Frau des Staatsratsvorsitzenden.
"Ich dachte: Die Margot ist die Einzige im Politbüro, die hilft uns natürlich. Ich dachte: Die macht das."
Margot Honecker machte etwas anderes: Sie ließ den 83 Unterzeichnenden der Erfurter Hochschule ausrichten: Entweder ihr distanziert euch von diesem Brief – oder ihr werdet vom Studium ausgeschlossen. 80 Mitunterzeichner bekamen kalte Füße, Gabriele Stötzer und zwei weitere Studenten hielten an dem Brief fest. Sie flog von der Hochschule und wurde für ein Jahr "in die Produktion" geschickt.
Ein Jahr im Frauengefängnis Hoheneck
Die Disziplinarmaßnahme machte sie nicht gefügig. 1976 beteiligte sie sich an der Unterschriftensammlung gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann aus der DDR. Sie wurde festgenommen und zu einem Jahr Haft im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck verurteilt: 30 Frauen in einem "Verwahrraum":
"Nachts kriegst du alles mit: Wenn die eine schreit, weil ein Mann sie aus dem Fenster gehalten hat im 10. Stock. Eine andere knirscht mit den Zähnen, die nächste redet, die nächsten lieben sich. Es waren schon existenzielle Momente, diese Nächte, wenn man nicht schlafen konnte."
Und sie bekam mit, dass ihre Mitgenfangenen von der Bundesrepublik freigekauft wurden:
"Also für mich ist im Knast der Sozialismus gestorben, der Menschen verkauft - von Zehn- bis Hunderttausend - und extra hohe Strafen macht für politische Gefangene, damit sie auch teuer verkauft werden können."
"Nachts kriegst du alles mit: Wenn die eine schreit, weil ein Mann sie aus dem Fenster gehalten hat im 10. Stock. Eine andere knirscht mit den Zähnen, die nächste redet, die nächsten lieben sich. Es waren schon existenzielle Momente, diese Nächte, wenn man nicht schlafen konnte."
Und sie bekam mit, dass ihre Mitgenfangenen von der Bundesrepublik freigekauft wurden:
"Also für mich ist im Knast der Sozialismus gestorben, der Menschen verkauft - von Zehn- bis Hunderttausend - und extra hohe Strafen macht für politische Gefangene, damit sie auch teuer verkauft werden können."
"Stasi-Dada" als Befreiungsschlag
Die Gefangenschaft hat Gabriele Stötzer auch als Künstlerin reifen lassen; in einer ihrer Ausstellungen setzt sie sich mit ihrer Stasiakte auseinander: In "Stasi-Dada" lässt sie Zitate von einer japanischen Opernsängerin vortragen.
"Das ist, wenn man genug Abstand hat und das liest – diese ständigen adjektivistischen, negativistischen Zusammenstellungen –, dann muss man irgendwann lachen. Weil man denkt: Das ist konstruiert, aber die haben so getickt."
"Das ist, wenn man genug Abstand hat und das liest – diese ständigen adjektivistischen, negativistischen Zusammenstellungen –, dann muss man irgendwann lachen. Weil man denkt: Das ist konstruiert, aber die haben so getickt."
Gerade hat Stötzer einen weiteren Befreiungsschlag unternommen: Sie hat ihren damaligen Stasi-Vernehmer getroffen. Die Adresse hatte sie schon lange, es fehlte die Gelegenheit:
"Es war ein Morgen, wo ich dachte: Heute verändere ich mein Leben und ich habe nichts zu tun. Heute gehe ich zu meinem Vernehmer."
"Es war ein Morgen, wo ich dachte: Heute verändere ich mein Leben und ich habe nichts zu tun. Heute gehe ich zu meinem Vernehmer."
Treffen mit dem Stasi-Vernehmer
Das Treffen findet letztlich in einem Restaurant statt. Ihr Vernehmer will die Vergangenheit ruhen lassen, aber sie bleibt hartnäckig. "Vergeben kann man erst, wenn einer ein Schuldbekenntnis macht. Ich wollte, dass er irgendwas sagt", sagt die Künstlerin. Doch der Vernehmer verweigert sich einem Gespräch.
Dennoch blickt Gabriele Stötzer positiv auf dieses Treffen:
"Es war gut, weil ich denke: Es muss die Einzelnen geben. Für ihn war es gut und für mich, dass ich jetzt darüber reden kann. Und ich denke, es hat sich was bei ihm verändert und bei mir auch. Und es ist auch für die Gesellschaft wichtig, dass sich Leute gegenübersitzen und versuchen, sich anzunähern. Das ist für mich auch wirklich ein gesellschaftlicher Prozess."
"Es war gut, weil ich denke: Es muss die Einzelnen geben. Für ihn war es gut und für mich, dass ich jetzt darüber reden kann. Und ich denke, es hat sich was bei ihm verändert und bei mir auch. Und es ist auch für die Gesellschaft wichtig, dass sich Leute gegenübersitzen und versuchen, sich anzunähern. Das ist für mich auch wirklich ein gesellschaftlicher Prozess."
(ssc/huc)