Künstlerin in einer Zeitenwende
Sie war eine zierliche Person mit schwarzen Haaren, die ihr Leben wie ein Kunstwerk inszenierte. Sie nannte sich Prinz Jussuf oder Tino von Bagdad, trug orientalische Gewänder, residierte im Romanischen Café, schrieb Unmengen von Briefen und Gedichten, die sie mit Zeichnungen versah, und zählte zu den Protagonisten der frühexpressionistischen Szene in Berlin: Else Lasker-Schüler.
Karl Kraus sprach von ihr als der "stärksten und unwegsamsten lyrischen Erscheinung des modernen Deutschlands", Gottfried Benn hielt sie für die bedeutendste Dichterin in deutscher Sprache, und der Schriftsteller Peter Hille beschrieb die Freundin als "schwarzen Schwan Israels, eine Sappho, der die Welt entzwei gegangen ist". 1869 in Wuppertal geboren, lebte Else Lasker-Schüler seit 1939 in Palästina, denn die Rückkehr in die Schweiz, wohin sie 1933 geflohen war, wurde der jüdischen Lyrikerin verweigert. Von der letzten Phase ihres Lebens, das 1945 in Jerusalem zu Ende ging, legt jetzt der letzte Briefband der Kritischen Ausgabe eindrucksvoll Zeugnis ab.
Die Umstände waren alles andere als einfach. Else Lasker-Schüler litt unter Heimweh, war ständig in Geldnot und häufig krank. "Alles so schal und kalt geworden", heißt es am 2. August 1941, und weiter "warum geizt hier alles mit Seele?". Sie bezog eine Ehrenrente der Jewish Agency, die allerdings knapp bemessen war, sodass sie fortwährend auf der Suche nach günstigeren Unterkünften war. Eine Stütze sind ihr die Freunde.
Trotz der Widrigkeiten blitzt ein trotziger Überlebenswille auf. Es ist die Zeit, in der sie ihren Gedichtband "Mein blaues Klavier" zusammenstellt, der im August 1943 in 330 Exemplaren erscheinen sollte – knapp die Hälfte wurden verkauft, aber es gab begeisterte Besprechungen in mehreren Zeitungen. In der Auseinandersetzung mit dem politischen Zeitgeschehen entsteht ihre "theatralische Tragödie" "Ichundich", in der sie mit dem Nationalsozialismus abrechnet. Außerdem ist Else Lasker-Schüler mit der Organisation eines Kulturklubs beschäftigt, genannt "Der Kraal", wo regelmäßig Vorträge gehalten werden. Ein großer Teil der Schreiben dreht sich um diese Treffen.
Am schönsten sind ihre verhaltenen Liebesbriefe an den Kulturphilosophen und Pädagogen Ernst Simon. Sie habe keine weiteren Absichten, schreibt die 73-Jährige ihm im Juli 1942, denn: "Ich bin doch nur Dichterin und wirkliche Liebe darf nur im Traum wohnen. Sie sind im Traum meine Wiesenschaumkrautwiese und mir nicht zu nehmen aus meinem Herzen. Sie wären mir zu "schade" (in Wirklichkeit Sie je zu küssen) ich meine, eine der lila Blumen, die ich so liebte, zu pflücken."
Ihre Sprache ist bildhaft, plastisch, voller syntaktischer Kehrtwendungen und Wortneubildungen. "Auch über dem Herzen gerade blutunterlaufen, da ich aufs Herz fiel", heißt es am 30. Dezember 1942 an Ernst Simon. "Gestern der Vortrag war interessant – eben gut gepflegt vom Adon Dr. Gertner. Ich war nur so verarbeitet und schwer am Wachbleiben" schreibt sie am 9. Juli 1943.
Der Band versammelt nicht nur die Briefe der letzten Jerusalemer Jahre, sondern liefert ein Konvolut bisher unveröffentlichter Korrespondenz und ermöglicht damit Einblicke in das Dasein einer Künstlerin in einer Zeitenwende. Ob neue Gedichte, Liebesgeschichten, die Sorge um den Schulbesuch ihres Sohnes oder die viel zu matte Glühbirne in ihrem Jerusalemer Zimmer – Else Lasker-Schülers Alltagsleben wird unmittelbar gegenwärtig.
Die Kritische Ausgabe, die mit dem hier vorliegenden Band abgeschlossen wird, ist eine editorische Großtat: Mit aufschlussreichen Kommentaren, Personenverzeichnissen und Anmerkungen ausgestattet, liegt jetzt das Gesamtwerk von Else Lasker-Schüler vor.
Besprochen von Maike Albath
Else Lasker-Schüler, Werke und Briefe. Kritische Ausgabe. Briefe 1941 – 1945, Nachträge. Band 11.
Bearbeitet von Karl Jürgen Skrodski und Andreas B. Kilcher,
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag Berlin 2010, 912 Seiten, 124,00 Euro
Die Umstände waren alles andere als einfach. Else Lasker-Schüler litt unter Heimweh, war ständig in Geldnot und häufig krank. "Alles so schal und kalt geworden", heißt es am 2. August 1941, und weiter "warum geizt hier alles mit Seele?". Sie bezog eine Ehrenrente der Jewish Agency, die allerdings knapp bemessen war, sodass sie fortwährend auf der Suche nach günstigeren Unterkünften war. Eine Stütze sind ihr die Freunde.
Trotz der Widrigkeiten blitzt ein trotziger Überlebenswille auf. Es ist die Zeit, in der sie ihren Gedichtband "Mein blaues Klavier" zusammenstellt, der im August 1943 in 330 Exemplaren erscheinen sollte – knapp die Hälfte wurden verkauft, aber es gab begeisterte Besprechungen in mehreren Zeitungen. In der Auseinandersetzung mit dem politischen Zeitgeschehen entsteht ihre "theatralische Tragödie" "Ichundich", in der sie mit dem Nationalsozialismus abrechnet. Außerdem ist Else Lasker-Schüler mit der Organisation eines Kulturklubs beschäftigt, genannt "Der Kraal", wo regelmäßig Vorträge gehalten werden. Ein großer Teil der Schreiben dreht sich um diese Treffen.
Am schönsten sind ihre verhaltenen Liebesbriefe an den Kulturphilosophen und Pädagogen Ernst Simon. Sie habe keine weiteren Absichten, schreibt die 73-Jährige ihm im Juli 1942, denn: "Ich bin doch nur Dichterin und wirkliche Liebe darf nur im Traum wohnen. Sie sind im Traum meine Wiesenschaumkrautwiese und mir nicht zu nehmen aus meinem Herzen. Sie wären mir zu "schade" (in Wirklichkeit Sie je zu küssen) ich meine, eine der lila Blumen, die ich so liebte, zu pflücken."
Ihre Sprache ist bildhaft, plastisch, voller syntaktischer Kehrtwendungen und Wortneubildungen. "Auch über dem Herzen gerade blutunterlaufen, da ich aufs Herz fiel", heißt es am 30. Dezember 1942 an Ernst Simon. "Gestern der Vortrag war interessant – eben gut gepflegt vom Adon Dr. Gertner. Ich war nur so verarbeitet und schwer am Wachbleiben" schreibt sie am 9. Juli 1943.
Der Band versammelt nicht nur die Briefe der letzten Jerusalemer Jahre, sondern liefert ein Konvolut bisher unveröffentlichter Korrespondenz und ermöglicht damit Einblicke in das Dasein einer Künstlerin in einer Zeitenwende. Ob neue Gedichte, Liebesgeschichten, die Sorge um den Schulbesuch ihres Sohnes oder die viel zu matte Glühbirne in ihrem Jerusalemer Zimmer – Else Lasker-Schülers Alltagsleben wird unmittelbar gegenwärtig.
Die Kritische Ausgabe, die mit dem hier vorliegenden Band abgeschlossen wird, ist eine editorische Großtat: Mit aufschlussreichen Kommentaren, Personenverzeichnissen und Anmerkungen ausgestattet, liegt jetzt das Gesamtwerk von Else Lasker-Schüler vor.
Besprochen von Maike Albath
Else Lasker-Schüler, Werke und Briefe. Kritische Ausgabe. Briefe 1941 – 1945, Nachträge. Band 11.
Bearbeitet von Karl Jürgen Skrodski und Andreas B. Kilcher,
Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag Berlin 2010, 912 Seiten, 124,00 Euro