Literaturtipp:
Mary Bauermeister: "Ich hänge im Triolengitter: Mein Leben mit Karlheinz Stockhausen"
Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann, 2011
336 Seiten
Die Pionierin der Fluxus-Bewegung
28:42 Minuten
Die Malerin Mary Bauermeister begann 1960 in ihrem Kölner Atelier, intermediale Konzerte zu veranstalten. Es war der Anfang einer künstlerischen Bewegung, die man später Fluxus nennen sollte.
Anlässlich des 85. Geburtstags der Künstlerin Mary Bauermeister am 7.9.2019 wiederholen wir ein O-Ton-Feature, das Sabine Fringes im Jahr 2014 für das "Musikfeuilleton" realisiert hat.
"Großmutter des Fluxus"
Mary Bauermeister: "Ich werde immer als Großmutter des Fluxus bezeichnet wegen der Aktivitäten im Atelier Lintgasse. Da habe ich die Künstler zusammengebracht von verschiedenen Sparten: Ich habe die Künstler, die Filmer, die Fotografen, die Architekten, die Musiker – alle zusammengebracht und das, was ich für das Neueste hielt, in der Kunst oder in den verschiedenen Sparten, die habe ich eingeladen, bei mir vorzuführen, auszustellen, zu lesen."
"Die Künstler wollten einen Neuanfang, der nichts mit der Tradition zu tun hat, denn mit der Tradition sich auseinanderzusetzen, das hieße sich mit dem 3. Reich, mit dem grauenhaften Weltkrieg auseinanderzusetzen, das greift ins Politische – und wir erhofften uns eigentlich einen Neubau der Gesellschaft und das hatte auch damit zu tun, dass wir in der Musik, in der Literatur, Malerei, Architektur neue Wege beschritten, weil wir an einer besseren Welt bastelten. Da haben wir experimentiert und später könnte man sagen, das war die Wurzel des Fluxus."
"Wir haben für Merce Cunningham und Carolyn Brown einen Tanzabend organisiert, da mussten wir eine Schule mieten, weil das in dem kleinen Atelier nicht ging, da war zum ersten Mal eine Aufführung, die nicht niedergebuht wurde, wo die beiden tanzten, Tudor spielte und Cage Klamauk machte."
"Wir haben für Merce Cunningham und Carolyn Brown einen Tanzabend organisiert, da mussten wir eine Schule mieten, weil das in dem kleinen Atelier nicht ging, da war zum ersten Mal eine Aufführung, die nicht niedergebuht wurde, wo die beiden tanzten, Tudor spielte und Cage Klamauk machte."
"Das war sehr geschickt gemacht: Wir haben das Publikum dort abgeholt, wo es Tanz gewohnt war. Klassischer Tanz hat ja eine ganz strikte Struktur, das haben die erst einmal bedient. Und Merce hat kühne Sprünge gemacht. Da hat man einfach vor der körperlichen Leistung der beiden Tänzer Achtung bekommen. Dann hören sie plötzlich mitten im Tanz auf, wärmen sich die Füße, ziehen sich andere Schuhe an und dann geht’s weiter. Also dieses, dass man den Probenaspekt mit aufnimmt, das heißt, dass man nicht etwas übt, das hinter der Bühne ist, sondern dass alle Prozesse dazugehören, oder dass Geräusch in der Musik wunderschön ist oder Stille, gar nichts, dass man mal nichts hört oder eine weiße Leinwand auf weißem Grund, das übersetzt in die Musik: Stille. Oder übersetzt im Literarischen, etwas nicht Verständliches zu machen."
Leben und Arbeiten mit Karlheinz Stockhausen
"Meine Liebesgeschichte mit Stockhausen ist eine wunderbare elfjährige Zeit. Kurz gesagt: Ich sah einen Mann, dem ich sofort verfallen war und Monate später sah ich denselben Mann, der sich entpuppte als der Komponist Stockhausen, dessen Musik ich schon seit Jahren so liebte. Und da war es um mich geschehen."
"Ich habe schon in den 50er-Jahren in der Malerei serielle Experimente gemacht, das heißt nach musikalischen Gesichtspunkten optisch komponiert und habe dann einen Kursus bei ihm (Stockhausen) mitgemacht und habe die Prinzipien der Kompositionstechnik angewendet als Partitur für bildende Künstler. Aber nicht nur für bildende, ich habe eine Partitur für die fünf Sinne entwickelt, dass also alle Sinne miteinbezogen sind, und dass das quasi auch interpretierbar ist, so wie es Musikinterpreten gibt, die eine Partitur lesen, könnten jetzt andere Künstler sich an diese Partitur begeben und sich was zusammensuchen.
Das war damals ungewohnt und ich habe daraufhin meine erste große Ausstellung in Amsterdam bekommen. Der Direktor Sandberg, damals mit Pontus Hultén, die beiden Pioniere, was Ausstellungen in Europa betrifft. Er hat mir nicht nur wegen meiner Bilder, sondern auch wegen meiner Denkweise, eine große Ausstellung gegeben, die ich 1962 in einem großen Saal in Amsterdam ausgeführt habe, gleichzeitig mit Aufführung elektronischer Musik von Stockhausen. Das war auch neu, dass in einem Museum auch Musik abläuft, elektronische Musik, die damals noch nicht so ein breites Forum hatte, die hatte es ja auch schwierig, weil sie noch ausgebuht wurde. Das war auch so ein Beginn unserer Zusammenarbeit."
"Er sagte: Bei dir lerne ich, nicht nur Geometer zu sein, weil er vorher serieller Musiker war und alles sehr streng komponierte. Ich habe Dinge sehr spontan gemacht, wie Künstler überhaupt mehr aus dem Bauch arbeiten. Musiker, Komponisten arbeiten ja eine Partitur aus, die jemand anderes interpretiert, während der Maler das selber macht. Und diese verschiedene Herangehensweisen, von visueller und akustischer Kunst, die haben wir ausgetauscht und das waren sehr inspirierende Jahre. Das war wunderbar."
Wie ein Zugvogel
"Man hat uns eigentlich als 'Neo-Dada' bezeichntet. Wir waren eine Nachfolge der Dada-Bewegung, die auch nur ein halbes Jahr in Zürich im Café Voltaire Hochblüte hatte. Dann war das vorbei. Das Kölner Atelier hat auch nicht länger als zwei Jahre gedauert. Das war genug. Dann kam der Kunstmarkt, dann kamen die Galerien dazu und dann brauchten sie mich nicht mehr, dann war ich auch schon in Amerika. Ich stupse gerne Künstlerbewegungen an, und es gibt auch wunderbare Künstler, die dann inspiriert sind, und dann gehe ich weiter, ich bin da wie ein Zugvogel."
Sie hören eine Wiederholung vom 7. September 2014.