Die Ausstellung "Beyond the Black Atlantic" ist noch bis zum 26. April im Kunstverein Hannover zu sehen.
Gegen eine von Leiden geprägte Identität
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Der Kunstverein Hannover greift das soziologische Konzept des „Black Atlantic“ von Paul Gilroy und die damit verbundene Hybridität einer Schwarzen Kultur auf. Gezeigt werden Werke junger Künstler, die die Trennung von Schwarz und Weiß auflösen.
Die Metapher "Black Atlantic" beschreibt den Atlantischen Ozean als umgeben von Ländern und Kontinenten, zwischen denen sich die Geschichte der Kolonisierung, des Sklavenhandels und der Unterdrückung schwarzer Kulturen in den letzten Jahrhunderten hauptsächlich abgespielt hat. Hier liefen die großen Handelsrouten zwischen Afrika, Europa und Amerika, hier begann der massenhafte "Import" dunkelhäutiger Sklaven und damit die Diaspora einer Black Culture in den weißen Gesellschaften.
Gegenwehr junger Künstler
Das ist die These des britischen Soziologen Paul Gilroy von Anfang der 1990er-Jahre. Er beschreibt in seinem Buch auch, wie sich nach und nach die unterschiedlichen kulturellen Einflüsse mischen. Seine These ist, dass schon hier eigentlich jene Hybrid-Kultur begann, die wir heute dem 20. Jahrhundert zuschreiben.
Die Ausstellung "Beyond the Black Atlantic" in Hannover greift dies auf: mit vier künstlerischen Positionen, die alle auf ihre Weise zeigen sollen, dass sich black und white kulturell eigentlich gar nicht mehr so wirklich trennen lassen, wie es immer noch einem verbreiteten Klischee entspricht. Also gerade bei den beiden jüngsten Künstlerinnen in der Ausstellung kann man den Eindruck haben, dass sie regelrecht "anarbeiten" gegen eine von Leiden und Trauma geprägte Identität.
Tschabalala Self, 1990 geboren in Harlem, New York, lebt dort auch heute und ist gerade sehr erfolgreich in der amerikanischen Malereiszene. Sie ist hier in der Ausstellung aber auch mit den konventionellsten Formaten vertreten, mit Tafelbildern von Figuren, in denen sie fast collageartig Stoffe von Kleidungsstücken mit Zeichnungen und Malereien ergänzt und verfremdet.
Man erkennt auf den Bildern noch, dass es sich um Women of Color handelt, aber eben um keine Porträts mehr, sondern eher um unpersönliche, fast abstrakte Formen, die weiße Klischees der Darstellung des schwarzen Körpers zugleich überspitzen und durchkreuzen.
Eine Generation frei von weißen Klischees
Sergey Harutoonian, der die Ausstellung kuratiert hat, ergänzt: "Also sie spiegelt eigentlich die Generation wider, die nicht geprägt ist von diesen Traumata, von den Bildern, die von der weißen Oberschicht in den USA mitgeprägt worden sind, sondern sie hat sich davon freigemacht, und das hat sicherlich auch mit ihrem Alter und ihrer Generation zu tun."
Fast noch einen Schritt weiter geht Sandra Mujinga, Jahrgang 1989, die in der Demokratischen Republik Kongo geboren wurde, aber mittlerweile in Berlin und in Norwegen lebt. Ihr Thema ist die Tarnung, die Camouflage, ihre Rauminstallation ist erfüllt von grünem Neonlicht.
Sie imitiert einen sogenannten Green Screen, mit dem man beim digitalen Film die Effekte mit den Schauspielern baut, und in dem Raum finden sich überlebensgroße Figurinen aus Lederstoff, die gesichtslose, geschlechtslose Identitäten symbolisieren, wie sie für die Sozialen Netzwerke erschaffen werden. Die Frage nach der Black Identity wirkt bei Mujinga fast hoffnungslos oldschool.
Kemang Wa Lehulere aus Kapstadt in Südafrika ist Jahrgang 84, aber er betont im Gegensatz zu den beiden Vorgenannten doch sein Interesse an Bildung und Vermittlung von Geschichte. Von ihm ist hier unter anderem eine große Wandgravur mit Handgesten zu sehen, die in Zeichensprache das Datum 11. August 1976 aufruft.
Erinnerungszeichen für einen fast vergessenen Kampf
Ein kaum öffentlich erinnertes Datum in Südafrika, das Datum eines blutig niedergeschlagenen Aufstandes von Schwarzen gegen die Umstellung des Schulunterrichts auf Afrikaans, die Sprache der weißen Minderheit, wodurch die schwarzen Schüler aus dem staatlichen Bildungssystem ausgesondert wurden. Ein Erinnerungszeichen für einen Kampf, der von der jüngeren Generation in Südafrika fast vergessen ist.
"Das ist genau diese Ambivalenz der südafrikanischen Gesellschaft: dass vielen Menschen natürlich Apartheid ein Begriff ist, aber die konkreten Ereignisse sind in Vergessenheit geraten. Also, er hantiert hier nicht mit irgendwelchen blutigen Fotografien oder Derartigem, etwas Reißerischem, sondern er versucht auf etwas zu verweisen, was wichtig ist, nämlich die komplette Aufarbeitung der Apartheidsgeschichte Südafrikas", sagt Harutoonian.
Die vierte Position kommt von Paulo Nazareth, einem brasilianischen Künstler mit angolanischem und indigenem Hintergrund, Jahrgang 1977, eigentlich der in Europa bekannteste unter den vieren. Er thematisiert in seinem Werk den Alltag, in dem die Wunden der Vergangenheit inzwischen eingearbeitet und selbstverständlich geworden, aber eben auch immer noch gegenwärtig sind.
Beeindruckend unspektakuläre Fotografien
Um diesen Alltag zu dokumentieren, ist er einmal von Belo Horizonte zu Fuß in die USA gewandert und zurück und hat seine Erlebnisse auf dieser Wanderschaft in sehr beeindruckend unspektakulären Fotografien festgehalten.
Ist Kunst also die Sprache der Vermittlung, die die Kulturen vereint? Kunst allein kann die Ambivalenzen der Bilder nicht auflösen, und das lässt sich auch an dieser Ausstellung bestens nachvollziehen. Zur Glorifizierung der Kunst als Mittel der Völkerverständigung taugt diese Ausstellung sicher nicht - gut so!