Jetzt kommen auch die Touristen
Das 650-Seelendorf Ahrenshoop war Rückzugsort während des Nationalsozialismus, Treffpunkt von anerkannten und etablierten Künstlern und ab den 60er Jahren zunehmend Heimat der Unangepassten. Jetzt kommen die Touristen.
"Liebliches Ahrens-Ahrenshoop, hier am Ostseestrande, dir gilt mein preisend, preisend Lob über Meer und Lande…"
Das liebliche Ahrenshoop auf der Halbinsel Fischland/Darß. Hierher kamen sie alle: Zuerst die Gründer der Künstlerkolonie, die ab 1882 hier siedelten: Paul Müller-Kaempff, Friedrich Wachenhusen, Elisabeth von Eicken und andere Malerinnen und Maler. Später dann, als der Ruf als Künstlerort schon gefestigt war, verbrachten Albert Einstein und George Grosz hier ihren Sommer, Johannes R. Becher und Arnold Zweig, Bertolt Brecht und Helene Weigel. Und eben auch Gunther Emmerlich, der Dresdner Opernsänger. Jahrzehnte schon ist er Sommergast in Ahrenshoop und war sofort bereit, das 1908 entstandene Lied von Oswald Körte neu einzusingen.
Wo Abendsonne lugt
"Wenn Abendsonne lugt, welch ein Meer von Tönen, grün, blau und rosenrot wie die Wang´ der Schönen…"
Dort, wo die "Abendsonne lugt", ganz oben am Steilufer von Ahrenshoop, malte der Oldenburger Paul-Müller Kaempff, Begründer der Künstlerkolonie und zweier Malschulen in Ahrenshoop, seinen berühmten Blick auf das Dorf. Die Windflüchter, alte Bäume mit geneigten Kronen, trotzen bis heute dem Sturm. Jeder knipst hier ein Foto und vergleicht das Heute mit dem Gestern auf Kaempffs 120 Jahre alten Bild. Es ist auf eine Metalltafel gedruckt, hier befindet sich eine Station des Ahrenshooper Kunstpfades. Wenige Schritte vom Hochufer entfernt sind die Werke der Kolonie-Gründer im Original zu sehen: Im Kunstmuseum. Eine ganz und gar bürgerschaftliche Initiative: Der Förderkreis Ahrenshoop, die Gemeinde und ein Ahrenshooper Mäzen und Kunstsammler gaben ihre Sammlungen ins Museum. Nur der Bau wurde gefördert, der laufende Betrieb wird von den engagierten Beteiligten selbst getragen. "Licht, Luft, Freiheit" heißt die große Jubiläumsausstellung. Katrin Arrieta, die Leiterin des Museums, hat dafür viele Leihgaben zusammengetragen.
"Wir finden es eben auch wichtig, dass öffentlich zu sehen ist, wie ausgedehnt das Oeuvre der Künstler ist, die wir im Museum teilweise nur mit wenigen Werken vertreten haben. Und auch zu zeigen, dass die Lebenswerke dieser Künstler, anders als möglicherweise in Worpswede, auch noch nicht ausreichend erforscht und aufgearbeitet sind und einfach vieles noch versteckt ist."
Zwei Säle sind den Malern gewidmet, die bis vor dem Ersten Weltkrieg in Ahrenshoop ihre Häuser bauten. In den 20er Jahren und besonders während der Zeit des Nationalsozialismus suchten viele Maler und Bildhauer in Ahrenshoop ihren Rückzugsort: Gerhard Marcks, Dora Koch-Stetter, Alfred Partikel, Wilhelm Löber. Auch zu DDR-Zeiten fanden viele Künstler in Ahrenshoop ein Refugium: Nicht nur die Anerkannten, Etablierten, sondern ab den 60er Jahren zunehmend auch die Unangepassten. Auch wenn die Zeit der alten Künstlerkolonie seit einhundert Jahren vorbei ist und in vielen Läden eher kunsthandwerklicher Ramsch als Kunst verkauft wird: In Ahrenshoop ist mehr geblieben als nur ein Hauch ruhmvoll-ferner Vergangenheit.
Ein Drittel des Etats für Kultur
"Das Schöne ist in Ahrenshoop, dass die noch bestehenden Künstlerhäuser eben nicht so stark musealisiert sind wie anderswo. Sondern, dass darin gelebt wird.Teilweise wohnen Privatpersonen darin, teilweise sind es auch Pensionen und Gaststätten. Und das finde ich ganz wichtig, dass diese Einbindung in das Leben des Ortes immer noch funktioniert."
Die Gemeinde, die ein Drittel ihres Etats für Kultur ausgibt, betreibt zwei Galerien, dazu kommen etliche private Galerien. Besonders durch das Künstlerhaus Lucas, das monatliche Stipendien an Künstler aus dem Ostseeraum vergibt, ist auch junge Kunst präsent im Ort.
"Seht ihr da, die Maler sitzen ja, sie schwitzen ja vor ihrer Lette-Pa! Der Pinsel schwillt, die Farbe quillt so wild. Malt still und sacht, dass nicht die Staffel kracht…"
Wenn man Glück hat, sieht man sie immer noch schwitzen vor ihrer "Lette Pa" - so verballhornte der Autor des Ahrenshoop-Liedes die Paletten der Maler. Immerhin, neun bildende Künstler - Keramiker eingeschlossen - gibt es noch in Ahrenshoop. Einer davon ist Hans Götze, der aus der Nähe von Dresden kommt und seit den 70er Jahren in Ahrenshoop wohnt. Seit 1994 ist er ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde.
Der Maler-Bürgermeister
"Es erschließt sich vieles im Ort auch, indem man es malt. Es ist auch ein Feedback für die Bürgermeisterei. Dass man einfach erkennt, was schön ist, interessant ist, erhaltenswert. Das hat einfach Charme, und wenn man es malt, merkt man es umso deutlicher."
Der Maler-Bürgermeister ist froh, dass trotz des Bau-Booms vieles beim Alten geblieben ist im Dorf. Die meisten Straßen und Wege sind immer noch Sandwege. Viele Häuser hier, alte und neue, sind reetgedeckt. Sogar der Supermarkt und der Fischimbiss.
"Und was hier ganz besonders haben, ist das besondere Licht. Wir liegen ja hier, ein ganz schmaler Landstrich, zwischen zwei Wasserflächen, zwischen Ostsee und Bodden. Und diese Wasserflächen reflektieren das Licht diffus, und das erzeugt ein besonderes Licht. Das war einer der Gründe, warum sich Maler hier angesiedelt haben."
Die ganz alten Häuser
"Hier sind wir jetzt am Bernhard-Seitz-Weg, das ist eigentlich die alte Dorfstraße, eine ruhige, naturbelassene Straße. Und natürlich wunderschöne Malmotive. Hier sind viele von den ganz alten Häusern. Und Sie sehen, das gelbe hier ist ein Neubau, das daneben ist ein Altbau. Also, Sie sehen keine gravierenden Unterschiede."
Am Ende dieses malerischen Weges steht die neu aufgebaute Mühle von Ahrenshoop, ein ebenso beliebtes Malmotiv wie das Haus auf dem Grundstück davor: Das Dornenhaus. Längst ist aus dem 300 Jahre alten Bauernhaus ein Künstlerhaus geworden.
Die neue Bestimmung des Dornenhauses wird schon im Garten deutlich: Dort begrüßt eine Skulpturensammlung den Gast. Wenn man durch das ehemalige Scheunentor tritt, steht man in der Galerie von Renate und Friedemann Löber. Malerei, Grafik und Schmuck von verschiedenen Künstlern wird angeboten, ein Extra-Raum gehört der Fischlandkeramik von Friedemann Löber. Noch immer sitzt der 77-jährige an der Töpferscheibe. Er stammt aus einer Keramikerdynastie: Seine Eltern, der Bildhauer und Keramiker Wilhelm Löber und die Malerin und Grafikerin Frida Löber hatten acht Kinder.
Die Künstlerfamilie
"Meine Mutter hatte nicht nur acht Kinder sondern auch 36 Enkel gehabt, danach haben wir aufgehört zu zählen, weil es wirklich so richtig herrlich lebendig ausuferte!"
Von den acht Kindern sind fünf Keramiker geworden und eins Bildhauer. Viele Kindeskinder töpfern ebenfalls professionell - zwischen der Ostseeküste und Berlin. Für die Eltern damals war es jedoch eher ein Gebot der Not, nach dem Krieg mit Keramikarbeiten Geld zu verdienen.
"Die waren seit 1932 hier und hatten sich vorher in Halle auf der Burg Giebichenstein kennengelernt. Die haben da beide studiert. Meine Oma hatte hier schon ein Sommerhaus und sagte: Hier kann man eine kleine Haushälfte preisgünstig erwerben. Es geht ja auch immer darum: Kann man sich das leisten? War nicht wie heute. Heute kann man sich das nicht mehr leisten, wenn man von der Hochschule kommt. Die Haushälfte war immerhin so groß, dass mein Vater eine Werkstatt einrichten konnte und die ersten sechs Kinder dort zur Welt gekommen sind."
Das Dornenhaus ist voller Kunstwerke: Bildhauerei, Holzarbeiten, Zeichnungen, frei gestaltete Keramik. Bis in die Vitrine im Bad haben sie sich verirrt, die kleinen Maulfische, die die Familie in den 50er Jahren über Wasser hielten: Originelle Souvenirs, die die Touristen damals gern kauften.
Jedes Stück ein Unikat
"Hier ist noch eine sehr frühe Keramik von meinem Vater, eine, die ich sehr schätze. Das ist noch in Porzellan gearbeitet, aber dunkel glasiert. Ein Urmensch. Das und das hier ist von meiner Mutter. Und hier sieht man auch schon die Fische in etwas anderer Form darauf rumgeistern. Also das Thema Fisch stand ganz allgemein im Raum."
Und landete auf der Keramik, geritzt und gemalt, jedes Stück ein Unikat.
"Dieses Fischdekor hat sich als großes, beliebtes Werkstattmotiv durchgesetzt. Es wurde schon überlegt, ob man das ewig machen will. Aber wenn ich das nicht anbiete, kommt das liebe Publikum hier an und sagt: Oh, schön herrlich - und wo gibt es die echte Fischlandkeramik? Und Tschüss. Da würden wir hier ganz elegant bankrott machen."
Selbst an so exponierter Stelle wie hier in Ahrenshoop haben es die Kunsthandwerker nicht leicht. Bis heute.
Ferienobjekt des Kulturbunds der DDR
"Wir verdienen ja keine goldene Nase, aber wir kommen auf ´ne schwarze Null zum Jahresende. Mehr schaffen andere auch nicht. Nur die Hochgeschossenen, wenn der Kunstmarkt richtig am Jubeln ist, da verdient mal einer das Vielfache. Alle anderen dümpeln am Existenzminimum rum. Wir erleben das ja: Die Künstler, die hier in der Galerie Bilder anbieten, die habe es alle gar nicht leicht, ihre Werke an den Mann zu bringen. Und da ist natürlich Ahrenshoop eine günstige Stelle, das sich Künstler und das Publikum hier schön treffen und dass sich etwas ermöglicht."
Friedemann und Renate Löber wohnen erst seit 1995 in dem 300 Jahre alten Haus. Nach dem Krieg diente es als Ferienobjekt des Kulturbunds der DDR: Ahrenshoop war zum "Bad der Kulturschaffenden" ausgerufen worden. Später stand das Haus leer. Die Neunzigerjahre waren besonders schwer für Künstler und Kunsthandwerker im Osten: Keiner wollte mehr ihre Werke kaufen, die alten Strukturen waren weg, neue fehlten. Die Löber-Geschwister konnten ihre vier Gesellen, die traditionell immer ausgebildet wurden, nicht halten. Nun musste jeder sein eigenes Glück versuchen: Schwester und Nichte blieben im elterlichen Wohnhaus in Ahrenshoop und betreiben dort bis heute die Werkstatt, Friedemann Löber und seine Frau Renate zogen ins - damals heruntergekommene - Dornenhaus.
"In dieser schwierigen Phase haben wir das Dornenhaus erworben. Wir kommen beide aus dieser vielleicht auch ein bisschen sentimentalen, alten – in Anführungsstriche – Ecke, Dinge zu bewahren, um sie in die Geschichte lebendig einbinden können für spätere Generationen. Es ist auch sehr museal - das war jetzt nicht die Sehnsucht, die Leute zu befriedigen. Sondern der Stil ergibt sich aus dem alten Haus und dass wir beide das Alte eben auch lieben."
Wo früher die Heuwagen hineinfuhren, befindet sich heute die Galerie. Deren Geschicke hat Renate Löber in der Hand. Seit fast zwanzig Jahren organisiert sie hier mehrere Ausstellungen im Jahr, drei davon hat sie bisher schon den Begründern der Keramiker-Dynastie Wilhelm und Frida Löber gewidmet. Mit Werken, die aus ganz Deutschland zusammengeholt wurden. Über den Bildhauer plant die ehemalige Lektorin eine Biographie herauszubringen. Ihre große Sommerausstellung in diesem Jahr gilt mehreren, der Künstlerkolonie eng verbundenen DDR-Künstlern und damit auch der Familie Löber.
Im Sommer kommen die Touristen
"Alle Löber-Kinder, alle die sozusagen Löbers sind und künstlerisch werkeln im positiven Sinne, sind meist Keramiker, sie alle werden in der Ausstellung zu sehen sein. Alle! Das, finde ich, ist dann die lebendige Fortführung: Guckt mal, da ist jemand in die Künstlerkolonie gekommen, der hat dort schwer existenziell gelebt und gearbeitet und auch Werke hinterlassen von Bedeutung. Und damit Nachfahren, die immer noch hier sind oder in der Umgebung, und die immer weiter künstlerisch arbeiten. Also wie eine Perlenschnur."
"…Maler sind Töpfern gleich, haben Phantasiese, wird jedes Nest sogleich zu ´nem Paradiese."
Den Status als Paradies mag Ahrenshoop längst eingebüßt haben: Im Sommer pumpt sich das 650-Seelen-Dorf zur Kleinstadtgröße auf. 370.000 Übernachtungen zählt man in der Kurverwaltung. Doch in den vielen Ausstellungen, in den Galerien, Werkstätten und im Kunstmuseum wird man ihn noch finden, den Hauch vom Künstlerparadies.