Mekka der Landschaftsmaler
In den 20er-Jahren zog das nordrhein-westfälische Schwalenberg viele Künstler an. Hier malten sie idyllisch wirkende Landschaften in intensiven Farben. Heute will man an die Tradition anknüpfen - mit einer Sommerakademie.
Wer in diesen Ort kommt, wird durch Plakate auf ganz andere Kulturangebote aufmerksam gemacht: Auf ein internationales Trachtenfestival und auf ein Gartenfest. Auch der Slogan "Einfach malerisch!" bezieht sich in Schwalenberg zunächst auf die alten Fachwerkbauten und die reizvolle Lage zwischen Weserbergland und Teutoburger Wald. Dennoch wird die Vergangenheit als Künstlerkolonie nicht versteckt. Dabei weist das Prädikat "Malerstadt" weit zurück ins 19. Jahrhundert, als nach französischem Vorbild Künstler ins Freie zogen, um bei schönstem Licht und mit der Natur vor Augen die Malerei zu erneuern. Vanessa Charlotte Heitland von der öffentlich getragenen "Lippischen Kulturagentur":
"Das ist ein Ort, der sehr viele Reize hat, vor allem landschaftliche, denn er liegt sehr idyllisch in den Lippischen Hügeln. Wir haben hier das Hochmoor mit seiner interessanten Stimmung, es gibt flimmerndes Licht - das war attraktiv für die impressionistisch beeinflussten Landschaftsmaler. Und da ist der Ort mit seinem pittoresken Fachwerk. Bemerkenswert ist, dass gerade Künstler aus Großstädten wie Düsseldorf und Berlin hierher kamen, die den ganzen Trubel, der sie sonst umgab, loswerden wollten."
Mit den Berliner Künstlern erlebte die Kolonie ihren Aufschwung, vor allem in den 20er-Jahren. Die Avantgarde freilich hielt sich weitgehend fern, in Schwalenberg entstanden idyllisch wirkende Landschaften in intensiven Farben - Impressionen aus der schönen Umgebung und aus dem Ort selber mit seinem alten Gebälk: Bilder von Hans Bruch, Franz Born und Hans Licht. Eher aus dem Rahmen fiel Magnus Zeller mit seinen symbolisch aufgeladenen, gesellschaftskritischen Motiven.
Die Gäste wohnten verstreut, dann entwickelte sich die "Künstlerklause" zum eigentlichen Domizil. Deren Besitzer erwarb viele Werke, sodass aus dieser Sammlung heute noch Ausstellungen zur eigenen Geschichte bestückt werden können. Eine stilistische Schule entstand in dieser kleinen Kolonie jedoch nicht, und die Künstler ließen sich in der Regel auch nicht dauerhaft nieder - nach Schwalenberg zu kommen und sich im Kreise von Kollegen inspirieren zu lassen, blieb ein Sommervergnügen.
Seit 25 Jahren gibt es die Sommerakademie
An eine solche Tradition lässt sich nicht besser anknüpfen als die Produktion von Kunst in der Gegenwart zu fördern. So findet seit fast einem Vierteljahrhundert für jeweils einige Wochen die Sommerakademie statt. Gerade haben sich wieder zwölf Dozenten um Anfänger und Fortgeschrittene bemüht und kreative Anregungen gegeben in Zeichnung, Malerei und Bildhauerei. Die Berliner Künstlerin Helga Ntephe hat in "alten Techniken" unterrichtet:
"Das sind Techniken der Entschleunigung, denn man muss viel warten und beobachten können. Wir widmen uns der Eitempera und auch der Gouache – das ist eine wässrige Technik wie das Aquarell, aber deckend. Man kann im Unterschied zum Aquarell besser korrigieren."
Das Gespräch über die entstehenden Werke, die eigenen Erfahrungen und Perspektiven nimmt einen breiten Raum ein bei dieser Sommerakademie:
"Ich beobachte, dass vorwiegend Frauen hierher kommen, die das zum Teil in ihrer Jugend schon studiert haben. Manche sind aber auch sehr krank geworden und beschließen, noch mal ein neues Leben anzufangen. Oder sie wollen überhaupt etwas tun, was bisher in ihrem Leben zu kurz gekommen ist."
Die professionelle Kunst ist in Schwalenberg an gleich zwei Ausstellungsorten untergebracht: in der etwas engen Städtischen Galerie und im weitläufigen Robert-Koepke-Haus, benannt nach dem einst angereisten Maler. In diesem Gebäude sind gerade die zeitgenössischen Spielarten mit ihren ungewöhnlichen Materialien gefragt. Vanessa Charlotte Heitland kann sich vor Ort auf motivierte Kunstfreunde verlassen, die die Veranstaltungen unterstützen:
Bewohner können mit zeitgenössischer Kunst nichts anfangen
"Andererseits ist es aber auch so, dass ein Großteil der Bewohner dem Ganzen sehr kritisch gegenübersteht. Da würde ich mir bei Ausstellungseröffnungen noch mehr Publikum aus dem Ort wünschen. Auch die Sommerakademie wurde anfangs sehr kritisch gesehen von den Bewohnern. Man kann mit der Kunst, gerade mit der zeitgenössischen, nicht unbedingt etwas anfangen. Das ist schon ein Zwiespalt."
Zu den Bemühungen gehört auch die Vergabe eines Stipendiums mit monatlichen Zuwendungen und freier Unterkunft. Es waren sogar mal vier Stipendien, die Sparzwänge haben hier ihre Spuren hinterlassen. Vor Ort lebt und arbeitet zur Zeit die junge Leipziger Malerin Undine Bandelin. Und wie erlebt sie den Austausch mit den Bürgern der Stadt Schieder-Schwalenberg?
"Ich bin hier sehr freundlich aufgenommen worden, habe auch schon einige Leute kennengelernt. Ein paar klingeln auch an der Haustür, kommen hoch und ich erzähle ihnen etwas. Ansonsten hat man hier die nötige Ruhe und Gelassenheit, konzentriert zu arbeiten. Den Großstadttrubel habe ich dann in Leipzig. Das ist hier ein ganz schöner Kontrast."
Mit den Gästen öffnet sich in Schwalenberg die Tür einen Spaltbreit zur übrigen Welt - für die Gäste wiederum ist der Aufenthalt ein wunderbares Gegengewicht zum urbanen Getriebe andernorts. Das war früher so, und so ist es geblieben.