Künstlerroman aus dem dunklen Dänemark

Der Marinemaler Carl Rasmussen aus Marstal bricht 1893 nach Grönland auf. Er will im hohen Norden noch einmal die Kraft spüren, die ihn zu seiner Malerei inspirierte.
Vor einigen Jahren hat der Däne Carsten Jensen mit dem hundert Jahre umspannenden Roman Wir Ertrunkenen auch auf dem hiesigen Buchmarkt einige Aufmerksamkeit erregt. Fast wie eine Auskoppelung aus dem gewaltigen Material, das er dafür rund ums Nordmeer gesammelt haben muss, wirkt Jensens neuer Roman Rasmussens letzte Reise.

Der Autor lässt am Rande sogar Personen aus Wir Ertrunkenen wiederkehren, konzentriert sich aber ansonsten diesmal auf die Vita einer - historischen - Figur, um uns tief ins Dänemark des 19. Jahrhunderts zu entführen. Zweimal schickt Jensen den Marinemaler Carl Rasmussen (das historische Vorbild lebte von 1841 bis 1893) auf die lange Schiffsreise nach Grönland - einmal als jungen Mann, der dem Wesen des Lichts, der Farbe und der Kunst auf den Grund gehen will, einmal als alternden Staatskünstler auf der Suche nach der Tiefe nicht nur des gemalten, sondern auch des gelebten Lebens.

Auf den alten Rasmussen warten im hohen Norden neben einigen unerledigten Fragen das ewige Licht, aber auch die Finsternis, der malerisch bewölkte Himmel, aber auch der schwarze Meeresgrund. Der Titel hat es ja bereits verraten: Es ist Rasmussens letzte Reise. Zwischen den Reisen erstreckt sich das Leben eines erfolgreichen Künstlers, eines zweifelnden Vaters von acht Kindern, eines unglücklich Liebenden, eines Trauernden und ewig Suchenden. Auf der Weltausstellung 1878 in Paris verkaufen sich Rasmussens Bilder bestens, obwohl die Kritik ätzt, wenn man die dänische Kunst mit einer Farbe charakterisieren wolle, dann sei dies wohl Schwarz.

Rasmussens letzte Reise beginnt mit lebendig gemalten Szenen voller, oft beklemmender Intensität auf dieser düsteren Grundierung, etwa wenn vom Alltag in der Provinzhauptstadt, von der Kindheit, von der Jugendliebe und vom Auf- und Ausbruch des angehenden Künstlers erzählt wird. Wie Vater Rasmussen seine Kinder jeden Sonntag nach der Kirche eines nach dem anderen züchtigt, ohne Grund, ohne Zorn, einfach so.

Oder wie sie alle eckige Löcher in die Erde graben, als seien sie verrückt geworden, dabei wollen sie nur ihr Hab und Gut verstecken, nachdem der reichste Mann der Stadt die Insolvenz verschleppt hat. Oder wie der Zeichenlehrer an der Akademie unter Getöse alle Staffeleien umschmeißt. Und natürlich wie die großen Schiffe gen Norden aufbrechen, wie eines von ihnen einen toten Wal im Schlepptau hat, wie dunkle Gestalten irr durch endlose Landschaften geistern.

Da leuchten Bilder, wenn auch in gedeckten Farben, da gelingen Momente von großer Stimmung und Tiefe. Dazwischen erstrecken sich aber auch Passagen, die den Gegensatz von Kunst und Leben, Pflicht und Neigung, Plan und Schicksal in diesem überraschend klassischen Künstlerroman allzu berechenbar deklinieren. So sind es diesmal eher atmosphärisch funkelnde Momente und die großen Landschafts- und Historienbilder aus einem zeitlich wie räumlich gleichermaßen fernen Norden, die von Jensens erzählerischem Können zeugen.

Besprochen von Hans von Trotha

Carsten Jensen: Rasmussens letzte Reise
Roman
Aus dem Dänischen übersetzt von Ulrich Sonnenberg
Knaus Verlag München 2010
352 Seiten, 19,95 Euro