Künstliche Intelligenz aus Bremen

Mit den Robotern schon Weltspitze

08:43 Minuten
Humanoide Roboter beim Fußball-Spiel während der WM in Japan 2017
Das gemeinsame Team von der Universität Bremen und dem Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz gewann sieben Mal den Weltmeistertitel im RoboCup. © AFP/KAZUHIRO NOGI
Von Katharina Guleikoff |
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Das kleinste Bundesland Deutschlands mausert sich zum wichtigen Standort für künstliche Intelligenz. In Bremen sitzen Forschung und Firmen eng zusammen. Dazu investieren Senat und Bund Millionen. Der Erfolg zeigt sich auch auf dem Spielfeld.
Selbstfahrende Autos, Chatbots im Kundendienste und intelligente Sprachdienste, die Alltagsaufgaben übernehmen. Künstliche Intelligenz ist überall. Die Bundesregierung will bis 2025 fünf Milliarden Euro investieren, um mit ihrer KI-Strategie in der Weltspitze mitzuspielen. Einen entscheidenden Anteil daran will das kleinste Bundesland Bremen leisten.

Bremer KI-Unternehmen hilft Bundesligisten

"Was wir hier sehen, ist eine Box, die wir gebaut haben, zur automatischen Qualitätssicherung von komplexen Spritzgussteilen."
Roland Becker zeigt auf seinem Handy ein Video. Darauf zu sehen, ist ein Kasten, durch den kleine Industrieteile fliegen. Dabei werden sie von sechs Highspeedkameras fotografiert und so vollautomatisch auf ihre Qualität getestet.
"Ich kann zeigen, wie das geht: Jetzt werfen wir es rein, es hat geblitzt und gerumpelt und jetzt sehen wir hier auf den Bildschirmen die Fotos, die die Maschine gemacht hat. Diese Bilder werden von einem KI-System analysiert. Wir sehen, das Teil ist in Ordnung."
Entwickelt hat den KI-Kasten Beckers Firma "Just ADD AI", was übersetzt so viel bedeutet wie "Füge einfach künstliche Intelligenz hinzu". Bekannt wurde das Bremer Unternehmen einst mit ihrer Plattform Scoutastic. Die hilft Fußballvereinen dabei, mittels künstlicher Intelligenz Datenbanken auszuwerten und so neue Talente zu finden. Bundesligist Werder Bremen ist mit diesem System 2017 auf den Torwart Jiří Pavlenka aufmerksam geworden und verpflichtete ihn anschließend.

Corona beschleunigt KI-Entwicklung

Künstliche Intelligenz ist im kleinsten Bundesland besonders gefragt: Jede dritte IT-Firma an der Weser wende KI-Systeme an oder entwickele selbst welche – weit mehr als im Bundesdurchschnitt, besagt eine Studie des Branchenverbandes "Bremen digital Media" aus dem Jahr 2019. Die Coronapandemie beschleunigt diese Entwicklung weiter, erzählt Geschäftsführer Becker in coronabedingt fast leeren Büroräumen.
"KI ist ohne Digitalisierung nicht denkbar. Ich glaub, das ist unbestritten, dass bei allen negativen Folgen der Pandemie, sie auf jeden Fall die Digitalisierung um viele Jahre vorangetrieben hat. Insgesamt haben wir zum Beispiel im letzten Jahr unseren Umsatz und unseren Gewinn verdoppelt."
Das läge auch am Standort: 2017 haben Becker und seine Mitgründer "Just ADD AI" ganz bewusst in Bremen gegründet. Denn hier wird an vielen Stellen hoch qualifizierter Nachwuchs ausgebildet. Viele von ihnen wollen gerne in Bremen bleiben. Allein im vergangenen Jahr liefen bei ihm 400 Bewerbungen ein. Aus allen Teilen der Welt und eben auch aus Bremen.
"Hier gibt es wirklich ein ganz großes Potenzial, die aus unseren ganzen Instituten und der Universität herauspurzeln. Das ist natürlich ein riesen Standortvorteil, wenn man wachsen möchte."
Nicht nur deshalb ist Becker davon überzeugt, dass Bremen in Sachen künstliche Intelligenz Weltklasse ist. Ähnlich sieht es auch Bremens Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt von Die Linke:
"Ich glaube, dass die überregionale Sichtbarkeit Bremens als KI-Hotspot schon tatsächlich gegeben ist. Schon allein weil wir seit Jahren diese sehr starke dynamische Forschungslandschaft haben. Wir haben die wirtschaftlichen Bereiche, die KI auch einsetzen. Genau diese Verzahnung ist natürlich in der strategischen Bedeutung, warum das Land Bremen schon früh auf KI gesetzt hat."

Pleite bei KI-Ausbau von Jacobs University

Schon vor mehr als 20 Jahren wurde in Bremen an der Universität begonnen, KI als Schwerpunkt zu entwickeln. Inzwischen gibt es nicht nur zahlreiche KI-basierte Studiengänge, sondern auch an den Hochschulen des Landes und an der privaten Jacobs University. An der chronisch unterfinanzierten Universität sollte mit einem Campus für künstliche Intelligenz die KI-Forschung noch ausgebaut und die Zahl der Studierenden verdoppelt werden.
Wissenschaftssenatorin Claudia Schilling von der SPD verkündete im November 2020 voreilig: Die Softwarefirma SAP, das chinesische IT-Unternehmen Neusoft und das Deutsche Forschungszentrum für künstliche Intelligenz in Bremen wollen hier was Großes schaffen. Das klang zunächst vielversprechend:
"Es ist beabsichtigt, dass ein Ausbau auf mehr als 3000 Studierende erfolgt. Was natürlich für den Standort Bremen-Nord ein riesiger Asset ist."
Es stellte sich dann aber schnell als Nullnummer heraus. Zu diesem Thema wird von allen Beteiligten aktuell geschwiegen. Trotzdem genießt der Forschungsstandort international einen hervorragenden Ruf.

Weltspitze in chinesischem KI-Ranking

Im vergangenen Jahr wurden drei Bremer Professoren und drei Nachwuchswissenschaftler in einem internationalen Ranking der chinesischen Eliteuniversität Tsinghua zu den weltweit besten 2000 KI-Experten gezählt. Der Direktor des Institutes für künstliche Intelligenz, Michael Beetz, steht sogar auf Platz vier der besten Forscher im Bereich Robotik.
Beetz forscht daran, menschenfreundliche KI-Systeme zu entwickeln. Roboter sollen im Alltag beim Einkaufen oder Kochen helfen. Ein kompliziertes Unterfangen schon bei einfachen Tätigkeiten:
"Objekte greifen, in der richtigen Art und Weise, die irgendwo abzustellen. All das ist das, wo die Evolution Hunderte Millionen gebraucht hat, um das zu entwickeln. Das kann man nicht in einem einfachen Programm duplizieren."

In der ersten KI-Liga

Auch beim DFKI, dem Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz, stehen am Standort Bremen Roboter im Fokus der Forschung. Das DFKI gibt es in Bremen seit 15 Jahren, und ist weltweit die einzige rein auf KI ausgerichtete Forschungseinrichtung. Hier entwickeln mehr als 200 Wissenschaftler aus aller Welt unterschiedlichste Roboter und forschen an intelligenten, vernetzten Systemen.
An die 200 Millionen Euro Forschungsgelder haben er und seine Kollegen dafür in den vergangenen Jahren eingeworben, erzählt Direktor Frank Kirchner. Sei es für die Entwicklung von Exoskeletten, die beispielsweise Querschnittsgelähmte wieder zum Gehen befähigen sollen, an Unterwasserrobotern zur Wartung von Offshore-Anlagen oder an dem spinnenähnlichen Weltraumroboter Sherpa:
"Wir beteiligen uns jetzt auch an Projekten der nationalen Raumfahrtagentur oder auch der ESA, wo es zum Beispiel darum geht, die Exploration des Mondes voranzutreiben. Ich würde es so als Forscher immer etwas relativieren, aber ich glaube, wir spielen auf jeden Fall in der Ersten Liga. Da gibt es immer viele, die Erster sein können, und man muss immer viel trainieren, damit man mithalten kann."

Die kurzen Wege von Bremens KI-Cluster

Um auch künftig mitzuhalten und das Potenzial weiter auszuschöpfen, wird seit ein paar Jahren verstärkt auf Vernetzung und Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und dem Land gesetzt. Der Vorteil: Man kennt sich und schätzt die kurzen Wege im Zwei-Städte-Staat.
So entstand 2018 "Bremen AI", eine Vernetzungsinitiative des Unternehmers Becker und des DFKI. Inzwischen ist sie das offizielle Cluster des Landes Bremen und soll helfen, die KI-Strategie des Senats voranzubringen, sagt Wirtschaftssenatorin Vogt:
"Die Ziele sind, dass wir sowohl in Bremen und Bremerhaven ein Transferzentrum haben, als Kern der Strategie. Da sollen die Akteure gebündelt und vernetzt werden. Wir wollen die innovativen Branchen durch Weiterentwicklung und durch Wachstum sichern. Der vierte große Punkt ist, dass auch die Fachkräftegewinnung eine große Rolle spielt. Ganz klar auch unter dem Bezug, mehr Frauen in diese Bereiche zu kriegen."
Dafür nimmt das Land dieses Jahr mehrere Millionen Euro aus verschiedenen Töpfen in die Hand. So will Bremen sich weiterhin als Top-Standort für künstliche Intelligenz in Deutschland präsentieren.
Im Roboter-Fußball haben sie das übrigens schon geschafft. Das gemeinsame Team der Universität und des DFKI ist mit seinen Robotern schon siebenfacher Weltmeister im jährlich ausgetragenen RoboCup und neunfacher nationaler Meister.
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