Das Amt und die Daten
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Von der Zusammensetzung von Schulklassen bis zur Beratung bei Anträgen: Algorithmen, die große Datenmengen aufbereiten, könnten Verwaltungsabläufe zum Nutzen der Bürger erheblich beschleunigen. Doch die Entwicklung kommt nur zögerlich voran.
Ein kleiner Besprechungsraum mit nur drei Stühlen, aber einem großen Bildschirm an der Wand. Paul von Bünau erklärt gerade das Projekt, das das von ihm gegründete Startup-Unternehmen seit nunmehr drei Jahren gemeinsam mit einem Berliner Stadtbezirk auf den Weg bringt.
"Was wir hier sehen, ist eine Karte von Berlin. Jetzt ist hier nur der Bezirk Tempelhof-Schöneberg ausgewählt. Sie sehen hier die einzelnen Schulstandorte mit einer entsprechenden Farbcodierung und dazu das Einzugsgebiet, das dieser Schule jetzt gerade zugewiesen wurde."
Gleichmäßige Auslastungen und kurze Schulwege
Es geht um den Zuschnitt der Schulbezirke. Also um die Frage, welcher Erstklässler welcher Schule zugeordnet wird. Insbesondere für die Eltern ein heikles Thema, wünschen sie sich doch für ihre Sprösslinge naturgemäß immer die "beste" Schule.
Bisher saßen die Mitarbeiter des Schulamtes wochen- ja monatelang mit Karte, Bleistift, Taschenrechner und vielen statistischen Tabellen an der Zuteilung der Schulbezirke. Künftig sollen das die von Paul Bünau und seinem Team programmierten Algorithmen erledigen.
"Hier ist die pinke Schule und das ist der pinke Bereich, aus diesem Bereich werden alle Schüler auf diese Schule geschickt. Daneben sehen wir jetzt aber sofort, dass diese Art, das Einzugsgebiet zu definieren, bei weitem nicht optimal ist, denn wir haben jetzt Schulen, die sind zu 145% ausgelastet. Und gleichzeitig gibt es eine andere Schule, die ist nur zu 31% ausgelastet. Also gibt es ganz erhebliches Optimierungspotential. Was man dadurch heben kann, dass man hier die Grenzen verändert."
Und das macht das Programm. Es kann die Grenzen der Schulbezirke so optimieren, dass die Schulen möglichst gleichmäßig ausgelastet sind, der Schulweg für die Kinder nicht zu lang wird und – last but not least – ein gesunder sozialer Mix zustande kommt.
Kürzere Bearbeitungszeiten, feinere Kalibrierung
Früher hat das Ganze etwa ein Dreivierteljahr gedauert, erläutert Oliver Schwork, der dafür zuständige Bezirksstadtrat. Von der Erstellung eines ersten Entwurfes, über die zahlreichen Abstimmungsschleifen mit den verschiedenen Gremien bis hin zum letztendlich fertigen Plan.
"Wir schaffen es jetzt, mit diesem Tool mit Start, also mit Bekanntgabe der ersten Version bis zur Veröffentlichung im Amtsblatt, dieses Verfahren in guten drei Monaten abzuschließen. Da sind auch sämtliche Beteiligungen dabei, alle Veränderungen, die es gibt. Wir beteiligen jetzt sogar noch mehr als wir müssten, wir informieren den Bezirkselternausschuss KiTa, wir informieren den Bezirkselternausschuss Schule, wir reden mit den Lehrerinnen und Lehrern, wir reden natürlich mit den Schulleitungen und sind da im ständigen Austausch und kriegen dafür aber auch ein sehr positives Feedback."
Bei dieser Form der Optimierung kann aber jederzeit händisch eingegriffen werden. Waren die Abstimmungen zwischen allen Beteiligten bisher sehr kompliziert, so können Änderungsvorschläge jetzt sofort sichtbar gemacht werden – mit all ihren Konsequenzen. Auf einen Blick zeigt sich, dass, wenn beispielsweise Straße A der Schule X zugeschlagen werden würde, das soziale Gleichgewicht an Schule Y nicht mehr stimmt. Das Ganze ist für Eltern und Lehrer transparenter, und schwierige Entscheidungen werden eher akzeptiert.
Die Potenziale der Digitalisierung sind noch nicht ausgeschöpft
Bezirkstadtrat Oliver Schwork und auch die Mitarbeiter des Schulamtes sind begeistert. Aber: Es ist eben bisher auch erst nur ein Modellversuch. Und das ist symptomatisch für die öffentliche Verwaltung.
Viele Projekte sind in Testphasen oder stehen bisher nur auf dem Papier. Die Potenziale, die die Digitalisierung bieten könnte, werden in Deutschland bei weitem noch nicht ausgeschöpft, sagt auch Resa Mohabbat Kar, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Fraunhofer Institut für Offene Kommunikationssysteme.
"Was die Nutzungspotentiale von KI angeht, da steckt die Verwaltung wirklich noch sehr in den Anfängen. Selbst wenn man in diesen vermeintlich einfacheren Bereich der regelbasierten Automatisierung geht, können wir feststellen, dass wir gerade anfangen an der Oberfläche zu kratzen."
Dabei sei die öffentliche Verwaltung geradezu prädestiniert für den Einsatz von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz, erklärt der Wissenschaftler.
"Die öffentliche Verwaltung, Verwaltungshandeln im Allgemeinen, basiert auf Regeln – üblicherweise findet man sie in Gesetzen und Verordnungen. Und deswegen eignen sich Verwaltungsverfahren auch sehr gut dazu, durch algorithmische Systeme entweder unterstützt oder teil- beziehungsweise vollautomatisiert zu werden."
Vom Digital-Lotsen zum virtuellen Assistenten
In einigen Kommunalverwaltungen werden beispielsweise so genannte Chatbots eingesetzt. Das sind Programme, die nach dem Frage-Antwort-Prinzip Bürgeranfragen bearbeiten. Bisher sind das im Wesentlichen eine Art Lotsen: Wer ist für mein Anliegen zuständig, welches Formular muss ich ausfüllen und so weiter. Resa Mohabbat Kar kann sich aber hier noch viel mehr vorstellen. Insbesondere, wenn im Hintergrund weitere Daten vorhanden sind, auf die das Programm dann zugreifen kann.
"Wenn man das jetzt in die Zukunft denkt, dann kann man sich sehr gut vorstellen, dass über ein Frage-Antwort-Spiel hinaus tatsächlich auch Assistenzfunktionen hineinkommen, die den Bürger durch den gesamten Antragsprozess anleiten, die aber vielleicht auch proaktiv tätig werden und sagen: Du bist gerade Mutter geworden, du bist gerade Vater geworden - dies wären Leistungen, die du beantragen kannst. Ich habe deine Lebenssituation schon analysiert und stelle fest: Du hättest Anspruch auf das und das. Diese Dinge musst Du einreichen."
Die Daten sind da - nur aufbereitet müssten sie werden
Voraussetzung dafür ist natürlich der entsprechend großer Zugriff auf auch sehr persönliche Daten. Algorithmen und vor allem künstliche Intelligenz können nur dann das volle Potential ausschöpfen, wenn entsprechende Datenmengen zur Verfügung stehen. Und das ist bisher noch nicht der Fall. Zwar verfügt gerade die öffentliche Verwaltung über eine Unmenge an Informationen – personenbezogene und auch solche, die nicht personenbezogen sind – aber...
"Ich glaube, man kennt nicht mal den Umfang dieses Datenschatzes. Auch wenn man in einzelne Organisationen konkret hineinschaut, werden Sie ganz häufig feststellen, dass man nicht weiß, welche Daten man im Haus hat. Geschweige denn die Aufbereitung der Daten in einer Art und Weise, dass sie tauglich sind für die Entwicklung von KI."
Datenschutzrechtliche Vorbehalte
Außerdem besteht in Deutschland eine vergleichsweise hohe Hemmschwelle, dem Staat das Sammeln persönlicher Daten zu erlauben. Deshalb werden die Datenschützer wachsam die weitere Entwicklung der KI auch in der öffentlichen Verwaltung beobachten.
"Das Spannungsverhältnis zwischen Datenschutz und Nutzungspotentialen von Daten wird ein Dauerbrenner sein. Und die Frage ist auch, ob man - wenn man über die Förderung von Forschung rangeht, die ja der Staat natürlich steuern kann - in bessere Anonymisierungsverfahren investiert, ob man bei der Förderung bei der KI-Forschung datenschutzsensible Verfahren fördert. Also auch technisch kann man bestimmte Pfade einschlagen, die eine bessere Verträglichkeit erlauben zwischen Datenschutz und Nutzungspotential von Daten."