Künstliche Intelligenz
Wird der Mensch zum Schöpfer einer neuen Spezies? © picture alliance / AA / Stringer
Auf dem Weg in ein höllisches Paradies
Künftig ist wohl nicht mehr der Mensch das klügste Wesen auf Erden, sondern die künstliche Intelligenz. Werden wir gerade Zeugen einer Selbstentmachtung im Moment unseres höchsten Triumphs?
Was macht ein Lebewesen, das nicht besonders schnell laufen kann, keine starken Zähne oder Tatzen hat und kein dickes Fell? Ein Lebewesen, das sich schlecht in die Umwelt einpasst. Nun, es passt die Umwelt sich an. Es baut sich ein Haus mit einer Feuerstelle, es baut sich Autos und Straßen.
Aus dem Mangel stammt der Fortschritt, lautet eine berühmte These zur Geschichte des Menschen. Es waren der Mangel und die Erfindungskraft des Menschen, die zum Überfluss führten und dazu, dass der Mensch sich schließlich auch ganz ohne Flügel ins Weltall begab.
Diese These hat zu einem der berühmtesten Schnitte der Filmgeschichte geführt. In Stanley Kubricks „2001: A Space Odyssey“ aus dem Jahr 1968 sieht man zunächst zwei Horden Menschenaffen aufeinander einprügeln im Kampf um ein Wasserloch. Die eine Horde benutzt dabei Knochen als Waffe und tötet einen von der anderen Horde. Siegestrunken wirft der Mörder den Knochen in den Himmel, wo sich dieser in ein Raumschiff verwandelt.
Später, in einem anderen Raumschiff, sehen wir HAL 9000, den Supercomputer, der versucht, die Astronauten Frank und Dave zu töten. Denn die fürchten, dass HAL etwas gegen sie im Schilde führt, und wollen ihn abschalten. Schon sind wir bei der künstlichen Intelligenz, der letzten großen Erfindung des Menschen, die ihm nun gefährlich wird.
Vom Knochen-Werkzeug zum Raumschiff
Ist der Gebrauch des Knochens als Werkzeug also die Ursünde des Menschen? Wir wissen aus der Heiligen Schrift, dass der Sündenfall im Genuss der verbotenen Frucht liegt. Aber das läuft aufs Gleiche hinaus. Denn diese Frucht bringt Erkenntnis, die es braucht, um auf die Idee vom Knochen als Werkzeug zu kommen und weiter bis zu jenem Raumschiff.
Auch bei Kubrick kommt die Intelligenz ja von außen: Von einem dunklen Monolithen, der plötzlich in der Landschaft steht. Erst nach dessen Berührung benutzen die Menschenaffen den Knochen als Schlagwerkzeug.
Aber ganz gleich, wie die Intelligenz in den Menschen gelangt: Er ist das einzige Lebewesen, das über sie verfügt. Und so ist es seine Aufgabe, sie zu entwickeln und der nächsten Generation jeweils in einem höheren Zustand zu übergeben, sagt Immanuel Kant, der Philosoph der praktischen und theoretischen Vernunft.
Warnungen vor einer Super-KI
Wir können nur spekulieren, ob Kant in der Weitergabe der Vernunft an leblose Entitäten die Vollendung dieser Mission gesehen hätte oder eher einen unvernünftigen Gebrauch der Vernunft.
Jedenfalls ist der Mensch dabei, genau dies zu tun, wie im Umfeld von ChatGPT all die Warnungen vor einer Super-KI besagen, die den Menschen versklaven könnte. Ob es dazu kommen wird, werden wir wissen, wenn es soweit ist. Vorerst fragt sich, was davon zu halten wäre.
Wäre es die vierte Kränkung des Menschen? Diesmal eine, die er nicht entdeckt, sondern sich selbst zufügt. Wenn so etwas überhaupt möglich ist: eine Selbstentmachtung im Moment des höchsten Triumphs.
Heimkehr in einen paradiesischen Zustand
Denn so paradox wäre das: Der Mensch wird, als Schöpfer einer neuen Spezies, selbst zu Gott und schafft sich zugleich einen neuen Gott, der viel klüger ist als man selbst, weshalb man ihm auch gern das Entscheiden überlässt: beim Navigieren, beim Texteschreiben, beim Autofahren, beim Steuern der Gesellschaft. Kurz, der Mensch kehrt heim in jenen paradiesischen Zustand, da er sein Leben noch nicht selber leben musste.
Ein höllisches Paradies, gewiss, für ein Wesen, das weiterhin über Vernunft verfügt. Manche sprechen auch vom Zoo, in den die KI den Menschen stecken wird. Es wäre trotzdem die bessere Alternative. Denn würde sich Geschichte wiederholen, brächte die Schöpfung ihren Schöpfer um wie einst der Mensch Gott. Hoffen wir, dass die KI auch in dieser Hinsicht klüger ist als wir.