Meinung

Das verstörende digitale Geschäft mit dem Tod

04:31 Minuten
Das Foto zeigt eine Hand, die eine Smartphone hält. Darauf ist ein persönlicher Avatar abgebildet.
Inzwischen lassen Apps Tote digital wiederauferstehen. Einfach Fotos, Chatprotokolle und Stimmproben hochladen, Online-Fragebogen ausfüllen, dann erstellt eine KI einen virtuellen Klon, der genauso spricht, klingt und lacht wie der Verstorbene. © picture alliance / NurPhoto / Jaap Arriens
Von Adrian Lobe |
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Das Internet hat den Tod nie mitgedacht. Deshalb machen sich Start-ups nun daran, Tote als Avatare zum Leben zu erwecken. Hinterbliebene können mit ihnen chatten - und werden zur Kasse gebeten. Für diese neue Branche braucht es ethische Standards.
Im Jahr 2016 erlitt die Südkoreanerin Jang Ji-sung einen schweren Schicksalsschlag: Ihre Tochter starb im Alter von nur sechs Jahren an Leukämie. Vier Jahre später konnte die Mutter ihre Tochter in der virtuellen Realität wiedersehen. Computerspezialisten hatten das Mädchen als Avatar wiederauferstehen lassen. „Mama, wo warst du?“, fragt das animierte Cybermädchen in pinkem Kleidchen, als es in der Simulation einer virtuellen Landschaft in Erscheinung tritt. Es sind rührende und denkwürdige Szenen, wie die Mutter mit ihrem Datenhandschuh über die Wangen ihrer virtuellen Tochter streicht und in Tränen ausbricht.
Mittlerweile gibt es eine Reihe von Anbietern, deren Apps Tote digital wiederauferstehen lassen. Einfach Fotos, Chatprotokolle und Stimmproben hochladen, Online-Fragebogen ausfüllen, dann erstellt eine KI einen virtuellen Klon, der genauso spricht, klingt und lacht wie der Verstorbene. So kann die Witwe am Hochzeitstag mit ihrem verstorbenen Mann per Chat oder Sprachnachricht in Erinnerungen schwelgen, auch wenn der schon längst tot ist. „Nie mehr auf Wiedersehen sagen“, wirbt das Unternehmen You, Only Virtual.

Boom einer neuen Industrie: Hollywood-Stars aber auch Haustiere erstehen wieder auf

Die Digital Afterlife Industry boomt. Das US-Start-up ElevenLabs, in das namhafte Investoren eingestiegen sind, erstellt digitale Doubles verstorbener Hollywood-Schauspieler wie James Dean, um mit deren Stimmklon Hörbücher zu vertonen – und Kasse zu machen. In Taiwan hat ein Start-up sogar eine App entwickelt, mit der sich Avatare von verstorbenen Haustieren kreieren lassen. Früher gab es Tamagotchis, heute gibt es Smartphone-Apps.
Die Vision, mit Toten in Kontakt zu treten, fasziniert die Menschen schon seit jeher und spielt in den Jenseitsvorstellungen antiker Kulturen eine bedeutsame Rolle. Mit digitalen Reproduktionstechniken rückt dieser alte Traum der Menschheit in greifbare Nähe. In Zukunft, frohlocken die Transhumanisten, werde niemand mehr sterben müssen.
Das Internet hat den Tod nie mitbedacht. Im Gegensatz zum analogen Leben, wo man nach dem Tod beigesetzt wird, gibt es in der Digitalität keine Bestattungskultur. Der Datenkörper ist immer noch präsent, auch wenn der biologische Körper längst verbrannt oder verwest ist. Menschen gehen, Daten bleiben. Zwar gibt es in sozialen Netzwerken wie etwa auf Facebook die Möglichkeit, Konten Verstorbener in einen Gedenkzustand zu versetzen. Dort kann man dann wie bei einem virtuellen Grab kondolieren. Doch das Profil ist dann immer noch da, ob man will oder nicht. 2070, so schätzen Oxford-Forscher, könnte die Zahl der toten Facebook-Nutzer die der lebenden übersteigen.

Ohne endgültigen Abschied keine Trauerbewältigung

Die Dauerhaftigkeit digitaler Existenzen hat etwas Verstörendes. Und sie droht Menschen in existenzielle Sinnkrisen zu stürzen, weil das für die Trauerbewältigung wichtige Abschiednehmen verschleppt oder sogar verhindert wird. Vor allem für Minderjährige, die noch keine Vorstellung vom Tod haben, ist die Interaktion mit „deathbots“ verwirrend. Woher soll ein Kind wissen, ob die Oma, die da aus dem Lautsprecher plappert, längst tot ist?
Es braucht daher für die Nutzung der Technik klare ethische Richtlinien und Standards. Zum Beispiel die Option, nach dem Vorbild einer medizinischen Patientenverfügung auch seinen letzten Willen für die digitale Existenz zu regeln. Alternativ könnte man auch Plattformbetreiber in die Pflicht nehmen, einen automatischen Selbstlöschungsmechanismus zu installieren. Denn auch ein Avatar muss irgendwann mal sterben dürfen.

Adrian Lobe, Jahrgang 1988, hat in Tübingen, Heidelberg und Paris Politik- und Rechtswissenschaft studiert. Seit 2014 arbeitet er als freier Journalist für diverse Medien im deutschsprachigen Raum, u. a. „Die Zeit“, „NZZ“, „Süddeutsche Zeitung“. 2016 wurde er für seine Artikel über Datenschutz und Überwachung mit dem Preis des Forschungsnetzwerks „Surveillance Studies“ ausgezeichnet. Er ist zudem Träger des Georg von Holtzbrinck Preises für Wissenschaftsjournalismus. 2022 erschien bei C.H. Beck sein neues Buch „Mach das Internet aus, ich muss telefonieren“.

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