Künstliches Blut für echte Chirurgen
In Leipzig sollen angehende Chirurgen an Patienten aus Kunststoff das Operieren üben. Nicht nur die nachgebildeten Körper müssen sich echt anfühlen, auch der Ablauf im OP soll so realitätsnah wie möglich sein, um junge Ärzte "aus der Reserve zu locken", sagt Professor Werner Korb.
Ulrike Timm: Irgendwann hat jeder junge Chirurg seinen allerersten Patienten auf dem Tisch und muss schneiden und wahrscheinlich möchte keiner von uns gerne dieser allererste Patient sein. Natürlich üben Chirurgen in der Ausbildung an Tierpräparaten, an Kunststoffmodellen, durch Zuschauen, durch langes Assistieren, aber dann kommt eben das erste Mal in echt, wo es drauf ankommt, und das ist so eigentlich auch nicht zu ändern.
Umso wichtiger, dass die Trainingsmöglichkeiten für Operateure optimal sind und das sind sie wohl bislang noch nicht. Denn sonst brauchten wir Professor Werner Korb nicht und eben den ersten Lehrstuhl für Operationssimulation, eingerichtet an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig. Darüber sprach ich mit dem frisch gebackenen Professor, über szenariobasiertes Training, so heißt das. Und ich wollte von ihm wissen, ob das dann wirklich so aussieht und sich so anfühlt für den Chirurgen, als ob ein echter Blinddarm raus muss?
Werner Korb: Ja, also, Blinddarm, da sind wir noch nicht, das ist noch komplizierter, weil da viel Weichgewebe ist. Wir sind im Moment bei den härteren Strukturen, also beim Bewegungsapparat. Wir sind bei der Wirbelsäule angekommen und wir machen szenariobasiertes Training. Das heißt, es sind drei Dinge. Das eine bedeutet, dass wir den Patienten, zumindest den Teil, der operiert wird, nachbauen aus Kunststoffen und aus Elektronik. Das Zweite ist, dass wir uns auch ein Szenario überlegen, das heißt, wir arbeiten mit Psychologen, mit Pädagogen und natürlich auch mit den Chirurgen, mit den Ärzten selbst daran, dass wir ein bestimmtes Lernziel erreichen. Das heißt, den Ablauf im OP bilden wir nach, sozusagen auf der Metaebene. Und das Dritte ist, wir bilden realistische Operationssäle nach. Da kann man Verschiedenes machen, entweder, man nimmt echte Geräte, echte OP-Instrumente, aber teilweise kann man natürlich auch mit Filmen und Umgebungsgeräuschen arbeiten. Und das ist dann szenariobasiertes Training.
Timm: Nehmen Sie uns noch mal mit in den Operationssaal: Da tritt also ein angehender Chirurg während seiner Fachausbildung an den Tisch, da liegt ein, ja, wie auch immer, Kunststoffpatient ...
Korb: ... Kunststoffpatient, ja ...
Timm: ... und da drin sind ganz viele Computer und es fühlt sich trotzdem so an, als würde er operieren. Wie kann das sein?
Korb: Na ja, das sind echte OP-Geräte und das ist das Neue. Also, früher hat man oft simuliert, die Chirurgie, mit Computergrafik. Das heißt, man hat dann auch Joysticks, die waren dann so ähnlich wie Instrumente. Und heute, durch diesen Kunststoffpatienten, der ja im Prinzip operiert wird wie ein echter Patient, wo sich der Kunststoff auch so anfühlt, wie sich das bei einem echten Patienten anfühlt, kann man mit echten OP-Instrumenten arbeiten. Und in unserem Trainings-OP steht auch ein echtes Operationsmikroskop, steht ein echtes Endoskop, es sind die echten Instrumente, die auch ein Chirurg tagtäglich nutzt, im Sieb.
Also, das heißt, das Einzige, was nicht echt ist, ist im Prinzip der Patient. Und das, was nicht echt ist, ist vielleicht das Personal. Also, man kann sich überlegen, dass dann eine OP-Schwester oder der Chefarzt oder Oberarzt auch von einem erfahrenen Trainer gespielt wird und dass der bewusst dann vielleicht nicht so reagiert, wie er in einem OP reagieren würde, um auch den Trainierenden aus der Reserve zu locken, um auch zum Beispiel Team-Aspekte zu trainieren.
Timm: Also, man lernt auch, wie viel Druck braucht ein Skalpell, die ganz handwerklichen Aspekte des Operierens.
Korb: Genau, genau. Also, man spielt es nicht nur nach am Rechner, sondern man lernt in echt operieren. Das Einzige, was nicht echt ist, ist eben, wie gesagt, der Patient.
Timm: Und wenn man sich dann verschneidet, wie das bei jedem Training ja auch passieren wird, spritzt dann Blut?
Korb: Ja, je nachdem, wo man reinschneidet. Also, in unserem Film auf unserer Homepage sieht man ja, dass zum Beispiel am Rückenmark eine Verletzung geschieht. Die kann auch passieren, ich weiß nicht, so jedes zehnte, 15. Mal passiert das auch, das ist auch nichts ganz Schlimmes, man kann das versorgen. Das ist bei uns dann nicht simuliert durch Computergrafik, sondern einfach durch das Material, das da reißen kann. Das reißt, wie eben auch echtes Material oder echtes Gewebe am Patienten reißt eben unser Material. Und das muss man dann entsprechend auch behandeln, wie das eben auch im OP der Fall ist.
Timm: Piloten üben ja seit Langem im Flugsimulator und geraten bei der Übung ja auch in vergleichbaren Stress wie bei einem wirklichen Flug. Viele vergessen dabei, dass es sich nur um Training handelt, und darin liegt ja auch der Sinn dieser Methode. Gab es denn in der Medizin bislang wirklich ein vergleichbares, ein realitätsbezogenes Training nicht?
Korb: In der Chirurgie trainiert man im Moment in der Anatomie oder am Tiermodell. Das Problem ist ...
Timm: ... das heißt, der klassische, junge Chirurg kommt von der Leiche an den Patienten, bislang ...
Korb: ... ja, manchmal geht er noch eben übers Tier. Also, in der Herzchirurgie werden dann viel auch Schweine oder auch Hunde operiert und danach geht er dann an den Patienten. Und bei uns soll dann eben eine Stufe noch dazwischengeschoben werden, weil man eben manches in der Anatomie nicht so richtig nachbilden kann. Also, zum Beispiel bei unser Bandscheibe wieder, bei unserer Wirbelsäulen-OP: Die Bandscheibe, die trocknet eigentlich ein. Wenn man dann in die Anatomie geht, hat man nicht mehr die richtige Bandscheibenstruktur. Und das kann man bei uns nachbilden. Also, das heißt, man hat manche Dinge sogar im Simulator kann man besser nachbilden, als das Präparat, am anatomischen Präparat der Fall ist.
Timm: Lag denn aus Ihrer Sicht bislang in der Chirurgenausbildung vieles im Argen?
Korb: Ja, so würde ich das nicht sagen. Ich glaube, es geht vor allem um Effizienz. Heute dauert es fünf bis sechs Jahre, bis man selber operieren darf. Und es ist natürlich viel, viel effizienter und auch besser in der Ausbildung für den jungen Chirurgen, wenn er früher schon mal was ausprobieren darf. Und was man dann eben auch machen kann, auch für erfahrene Chirurgen: Man kann Komplikationen trainieren. Und das ist wirklich das Neue wie auch in der Luftfahrt, man kann im Prinzip einmal eine Landung, eine Notlandung sozusagen trainieren, in der Luftfahrt, und bei uns kann man dann auch mal eine Komplikation trainieren. Ich denke, das sind sozusagen die Innovationen, das Neue. Und ich denke, das wird langfristig auch zu einer höheren Patientensicherheit führen.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Werner Korb. Vom 1. Dezember an ist er der weltweit erste Professor für die Entwicklung von Trainingssystemen für Operationen. Herr Korb, Sie selbst sind medizinischer Physiker und Computerfachmann, Sie entwickeln also die Methoden, mit denen die jungen Chirurgen dann arbeiten, operieren aber nicht selbst. Gab es da eigentlich Widerstände vonseiten der praktizierenden Mediziner, dass da jemand kommt und ihnen sagen will, wie man übt?
Korb: Die Idee ist eigentlich gemeinsam entstanden, also, die ist auch mit Chirurgen entstanden. Wir arbeiten ja hier in Leipzig eng mit dem Universitätsklinikum zusammen, mit der Neurochirurgie und auch mit der HNO-Chirurgie. Man hat solche Ideen oder man kann solche Projekte nicht alleine umsetzen als eine Fachdisziplin, das geht gar nicht. Also, wir haben eben Kunststofffachleute, wir haben Fachleute aus der Elektronik, wir haben eben dann die chirurgischen Fachleute und Informatiker und so weiter, Psychologen, Pädagogen, anders geht es gar nicht.
Timm: Letztlich wollen Sie ja die praktische Ausbildung entscheidend verbessern. Und nun üben ja Chirurgen einen zutiefst handwerklichen Beruf aus, sie müssen geschickt sein, sie dürfen nicht zittern. Ist den jungen Aspiranten das eigentlich wirklich bewusst?
Korb: Ja, ich weiß es eben nicht. Ich denke, das wird ihnen ziemlich schnell bewusst. Also, das ist eben, was ich sage, also, man muss ziemlich schnell dann auch mal an einem anatomischen Präparat oder an einem Tier auch mal eine Operation durchführen, man geht zu Kursen, zu praktischen Kursen und dann merkt man ziemlich schnell, ob das was für einen ist oder nicht. Natürlich gibt es einen Sprung von dem Präparat, von dem Tier zum echten Menschen. Und diesen Sprung, den wollen wir verkleinern. Das heißt, dass man eigentlich schneller am echten Objekt sieht, ob man handwerklich diese Begabung hat als Chirurg oder nicht.
Timm: Das heißt, ein Ziel kann auch sein, ein Ziel, dass jemand hinschmeißt, weil er rechtzeitig gemerkt hat, mir fehlt das nötige manuelle Geschick?
Korb: Ja, also, ich meine, irgendwann werden Simulatoren sicher auch als Assessment-Center genutzt, das ist in der Luftfahrt auch so. Man kann natürlich auch Simulatoren irgendwann für Zwischenprüfungen nutzen, das weiß auch jeder, dass das in der Luftfahrt so ist. Jetzt geht es uns vor allem erst mal darum, die Ausbildung effizienter zu machen und dass man erstmals auch Komplikationen üben kann.
Timm: Der erste Lehrstuhl für Operationssimulation in Leipzig, wie sieht denn eigentlich Ihr Tagesgeschäft in Zukunft aus?
Korb: Das eine ist weiterhin die Forschung, also, solche Kunststoffmodelle, Trainingsmodelle, mechatronische Modelle weiter zu entwickeln. Wir haben jetzt in der Wirbelsäule einiges gemacht, es gibt noch viele Operationen an der Wirbelsäule. Wir haben natürlich auch noch andere Ideen, es gibt die HNO-Chirurgie, mit der wir eng zusammenarbeiten, es gibt das Herzzentrum in Leipzig, das einen weltweit einzigartigen Ruf hat, mit dem wir auch zusammenarbeiten wollen. Also, da gibt es noch viele Themen, die man in der Forschung aufgreifen kann.
Aber ein Lehrstuhl beinhaltet natürlich auch die Lehre und das ist uns auch ganz wichtig in Leipzig, dass wir in diesem Bereich auch junge Ingenieure interdisziplinär ausbilden, dass wir in dem Bereich, gerade, wo es auch um Mensch-Maschine-Interaktion mit Medizintechnik geht, dass da auch junge Ingenieure ausgebildet werden.
Die dritte Idee oder der dritte Schwerpunkt ist auch der Technologietransfer. Das heißt, die Idee ist, dass ziemlich schnell auch von der Forschung die Ideen tatsächlich in die Praxis umgesetzt werden. Und wir sind davon überzeugt, dass auch Unternehmen in und um Leipzig von diesen neuen Ideen profitieren werden. Gerade in Leipzig gibt es einen großen Wirtschaftszweig, der sich mit Gesundheitswirtschaft beschäftigt, und es gibt auch einige Firmen, die sich mit Kunststofftechnik und Elektronik beschäftigen, also, das ist das Dritte.
Timm: Das heißt, Sie bringen in diesem neuen Verfahren die bisherigen Erfahrungen alle zusammen und das ist die eigentliche Neuigkeit, dass man alles, was man bisher gelernt hat, so simuliert, dass die jungen Chirurgen wirklich das Gefühl haben, jetzt ist es echt, es geht um alles. Was bedeutet das eigentlich für die psychologische Situation am Tisch?
Korb: Das ist auch sehr interessant. Als die ersten Chirurgen, auch junge Chirurgen bei uns waren und diese Simulatoren ausprobiert haben, damit wir auch testen, ob die Simulatoren auch funktionieren und wie gut sie sind, und es war so ein Aha-Effekt. Das ist das, was ich vorhin auch erwähnt habe, dass die gesagt haben, ja, das, was ich jeden Tag im OP-Mikroskop, am Patienten im Operationssaal sehe, habe ich jetzt erstmals selbst ausprobiert. Also, ich habe sozusagen das, was ich immer sehe, jetzt immer mal probieren können. Und das war für die so ein richtiger Aha-Effekt, dass sie am nächsten Tag, wenn sie wieder in den OP gehen, das auch besser zuordnen können. Das hat schon einen enormen Effekt. Man sieht plötzlich oder kann selber das machen, was man jeden Tag sieht.
Timm: Professor Werner Korb über Operationssimulationen, er hat den ersten Lehrstuhl für dieses Fach an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Umso wichtiger, dass die Trainingsmöglichkeiten für Operateure optimal sind und das sind sie wohl bislang noch nicht. Denn sonst brauchten wir Professor Werner Korb nicht und eben den ersten Lehrstuhl für Operationssimulation, eingerichtet an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig. Darüber sprach ich mit dem frisch gebackenen Professor, über szenariobasiertes Training, so heißt das. Und ich wollte von ihm wissen, ob das dann wirklich so aussieht und sich so anfühlt für den Chirurgen, als ob ein echter Blinddarm raus muss?
Werner Korb: Ja, also, Blinddarm, da sind wir noch nicht, das ist noch komplizierter, weil da viel Weichgewebe ist. Wir sind im Moment bei den härteren Strukturen, also beim Bewegungsapparat. Wir sind bei der Wirbelsäule angekommen und wir machen szenariobasiertes Training. Das heißt, es sind drei Dinge. Das eine bedeutet, dass wir den Patienten, zumindest den Teil, der operiert wird, nachbauen aus Kunststoffen und aus Elektronik. Das Zweite ist, dass wir uns auch ein Szenario überlegen, das heißt, wir arbeiten mit Psychologen, mit Pädagogen und natürlich auch mit den Chirurgen, mit den Ärzten selbst daran, dass wir ein bestimmtes Lernziel erreichen. Das heißt, den Ablauf im OP bilden wir nach, sozusagen auf der Metaebene. Und das Dritte ist, wir bilden realistische Operationssäle nach. Da kann man Verschiedenes machen, entweder, man nimmt echte Geräte, echte OP-Instrumente, aber teilweise kann man natürlich auch mit Filmen und Umgebungsgeräuschen arbeiten. Und das ist dann szenariobasiertes Training.
Timm: Nehmen Sie uns noch mal mit in den Operationssaal: Da tritt also ein angehender Chirurg während seiner Fachausbildung an den Tisch, da liegt ein, ja, wie auch immer, Kunststoffpatient ...
Korb: ... Kunststoffpatient, ja ...
Timm: ... und da drin sind ganz viele Computer und es fühlt sich trotzdem so an, als würde er operieren. Wie kann das sein?
Korb: Na ja, das sind echte OP-Geräte und das ist das Neue. Also, früher hat man oft simuliert, die Chirurgie, mit Computergrafik. Das heißt, man hat dann auch Joysticks, die waren dann so ähnlich wie Instrumente. Und heute, durch diesen Kunststoffpatienten, der ja im Prinzip operiert wird wie ein echter Patient, wo sich der Kunststoff auch so anfühlt, wie sich das bei einem echten Patienten anfühlt, kann man mit echten OP-Instrumenten arbeiten. Und in unserem Trainings-OP steht auch ein echtes Operationsmikroskop, steht ein echtes Endoskop, es sind die echten Instrumente, die auch ein Chirurg tagtäglich nutzt, im Sieb.
Also, das heißt, das Einzige, was nicht echt ist, ist im Prinzip der Patient. Und das, was nicht echt ist, ist vielleicht das Personal. Also, man kann sich überlegen, dass dann eine OP-Schwester oder der Chefarzt oder Oberarzt auch von einem erfahrenen Trainer gespielt wird und dass der bewusst dann vielleicht nicht so reagiert, wie er in einem OP reagieren würde, um auch den Trainierenden aus der Reserve zu locken, um auch zum Beispiel Team-Aspekte zu trainieren.
Timm: Also, man lernt auch, wie viel Druck braucht ein Skalpell, die ganz handwerklichen Aspekte des Operierens.
Korb: Genau, genau. Also, man spielt es nicht nur nach am Rechner, sondern man lernt in echt operieren. Das Einzige, was nicht echt ist, ist eben, wie gesagt, der Patient.
Timm: Und wenn man sich dann verschneidet, wie das bei jedem Training ja auch passieren wird, spritzt dann Blut?
Korb: Ja, je nachdem, wo man reinschneidet. Also, in unserem Film auf unserer Homepage sieht man ja, dass zum Beispiel am Rückenmark eine Verletzung geschieht. Die kann auch passieren, ich weiß nicht, so jedes zehnte, 15. Mal passiert das auch, das ist auch nichts ganz Schlimmes, man kann das versorgen. Das ist bei uns dann nicht simuliert durch Computergrafik, sondern einfach durch das Material, das da reißen kann. Das reißt, wie eben auch echtes Material oder echtes Gewebe am Patienten reißt eben unser Material. Und das muss man dann entsprechend auch behandeln, wie das eben auch im OP der Fall ist.
Timm: Piloten üben ja seit Langem im Flugsimulator und geraten bei der Übung ja auch in vergleichbaren Stress wie bei einem wirklichen Flug. Viele vergessen dabei, dass es sich nur um Training handelt, und darin liegt ja auch der Sinn dieser Methode. Gab es denn in der Medizin bislang wirklich ein vergleichbares, ein realitätsbezogenes Training nicht?
Korb: In der Chirurgie trainiert man im Moment in der Anatomie oder am Tiermodell. Das Problem ist ...
Timm: ... das heißt, der klassische, junge Chirurg kommt von der Leiche an den Patienten, bislang ...
Korb: ... ja, manchmal geht er noch eben übers Tier. Also, in der Herzchirurgie werden dann viel auch Schweine oder auch Hunde operiert und danach geht er dann an den Patienten. Und bei uns soll dann eben eine Stufe noch dazwischengeschoben werden, weil man eben manches in der Anatomie nicht so richtig nachbilden kann. Also, zum Beispiel bei unser Bandscheibe wieder, bei unserer Wirbelsäulen-OP: Die Bandscheibe, die trocknet eigentlich ein. Wenn man dann in die Anatomie geht, hat man nicht mehr die richtige Bandscheibenstruktur. Und das kann man bei uns nachbilden. Also, das heißt, man hat manche Dinge sogar im Simulator kann man besser nachbilden, als das Präparat, am anatomischen Präparat der Fall ist.
Timm: Lag denn aus Ihrer Sicht bislang in der Chirurgenausbildung vieles im Argen?
Korb: Ja, so würde ich das nicht sagen. Ich glaube, es geht vor allem um Effizienz. Heute dauert es fünf bis sechs Jahre, bis man selber operieren darf. Und es ist natürlich viel, viel effizienter und auch besser in der Ausbildung für den jungen Chirurgen, wenn er früher schon mal was ausprobieren darf. Und was man dann eben auch machen kann, auch für erfahrene Chirurgen: Man kann Komplikationen trainieren. Und das ist wirklich das Neue wie auch in der Luftfahrt, man kann im Prinzip einmal eine Landung, eine Notlandung sozusagen trainieren, in der Luftfahrt, und bei uns kann man dann auch mal eine Komplikation trainieren. Ich denke, das sind sozusagen die Innovationen, das Neue. Und ich denke, das wird langfristig auch zu einer höheren Patientensicherheit führen.
Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Werner Korb. Vom 1. Dezember an ist er der weltweit erste Professor für die Entwicklung von Trainingssystemen für Operationen. Herr Korb, Sie selbst sind medizinischer Physiker und Computerfachmann, Sie entwickeln also die Methoden, mit denen die jungen Chirurgen dann arbeiten, operieren aber nicht selbst. Gab es da eigentlich Widerstände vonseiten der praktizierenden Mediziner, dass da jemand kommt und ihnen sagen will, wie man übt?
Korb: Die Idee ist eigentlich gemeinsam entstanden, also, die ist auch mit Chirurgen entstanden. Wir arbeiten ja hier in Leipzig eng mit dem Universitätsklinikum zusammen, mit der Neurochirurgie und auch mit der HNO-Chirurgie. Man hat solche Ideen oder man kann solche Projekte nicht alleine umsetzen als eine Fachdisziplin, das geht gar nicht. Also, wir haben eben Kunststofffachleute, wir haben Fachleute aus der Elektronik, wir haben eben dann die chirurgischen Fachleute und Informatiker und so weiter, Psychologen, Pädagogen, anders geht es gar nicht.
Timm: Letztlich wollen Sie ja die praktische Ausbildung entscheidend verbessern. Und nun üben ja Chirurgen einen zutiefst handwerklichen Beruf aus, sie müssen geschickt sein, sie dürfen nicht zittern. Ist den jungen Aspiranten das eigentlich wirklich bewusst?
Korb: Ja, ich weiß es eben nicht. Ich denke, das wird ihnen ziemlich schnell bewusst. Also, das ist eben, was ich sage, also, man muss ziemlich schnell dann auch mal an einem anatomischen Präparat oder an einem Tier auch mal eine Operation durchführen, man geht zu Kursen, zu praktischen Kursen und dann merkt man ziemlich schnell, ob das was für einen ist oder nicht. Natürlich gibt es einen Sprung von dem Präparat, von dem Tier zum echten Menschen. Und diesen Sprung, den wollen wir verkleinern. Das heißt, dass man eigentlich schneller am echten Objekt sieht, ob man handwerklich diese Begabung hat als Chirurg oder nicht.
Timm: Das heißt, ein Ziel kann auch sein, ein Ziel, dass jemand hinschmeißt, weil er rechtzeitig gemerkt hat, mir fehlt das nötige manuelle Geschick?
Korb: Ja, also, ich meine, irgendwann werden Simulatoren sicher auch als Assessment-Center genutzt, das ist in der Luftfahrt auch so. Man kann natürlich auch Simulatoren irgendwann für Zwischenprüfungen nutzen, das weiß auch jeder, dass das in der Luftfahrt so ist. Jetzt geht es uns vor allem erst mal darum, die Ausbildung effizienter zu machen und dass man erstmals auch Komplikationen üben kann.
Timm: Der erste Lehrstuhl für Operationssimulation in Leipzig, wie sieht denn eigentlich Ihr Tagesgeschäft in Zukunft aus?
Korb: Das eine ist weiterhin die Forschung, also, solche Kunststoffmodelle, Trainingsmodelle, mechatronische Modelle weiter zu entwickeln. Wir haben jetzt in der Wirbelsäule einiges gemacht, es gibt noch viele Operationen an der Wirbelsäule. Wir haben natürlich auch noch andere Ideen, es gibt die HNO-Chirurgie, mit der wir eng zusammenarbeiten, es gibt das Herzzentrum in Leipzig, das einen weltweit einzigartigen Ruf hat, mit dem wir auch zusammenarbeiten wollen. Also, da gibt es noch viele Themen, die man in der Forschung aufgreifen kann.
Aber ein Lehrstuhl beinhaltet natürlich auch die Lehre und das ist uns auch ganz wichtig in Leipzig, dass wir in diesem Bereich auch junge Ingenieure interdisziplinär ausbilden, dass wir in dem Bereich, gerade, wo es auch um Mensch-Maschine-Interaktion mit Medizintechnik geht, dass da auch junge Ingenieure ausgebildet werden.
Die dritte Idee oder der dritte Schwerpunkt ist auch der Technologietransfer. Das heißt, die Idee ist, dass ziemlich schnell auch von der Forschung die Ideen tatsächlich in die Praxis umgesetzt werden. Und wir sind davon überzeugt, dass auch Unternehmen in und um Leipzig von diesen neuen Ideen profitieren werden. Gerade in Leipzig gibt es einen großen Wirtschaftszweig, der sich mit Gesundheitswirtschaft beschäftigt, und es gibt auch einige Firmen, die sich mit Kunststofftechnik und Elektronik beschäftigen, also, das ist das Dritte.
Timm: Das heißt, Sie bringen in diesem neuen Verfahren die bisherigen Erfahrungen alle zusammen und das ist die eigentliche Neuigkeit, dass man alles, was man bisher gelernt hat, so simuliert, dass die jungen Chirurgen wirklich das Gefühl haben, jetzt ist es echt, es geht um alles. Was bedeutet das eigentlich für die psychologische Situation am Tisch?
Korb: Das ist auch sehr interessant. Als die ersten Chirurgen, auch junge Chirurgen bei uns waren und diese Simulatoren ausprobiert haben, damit wir auch testen, ob die Simulatoren auch funktionieren und wie gut sie sind, und es war so ein Aha-Effekt. Das ist das, was ich vorhin auch erwähnt habe, dass die gesagt haben, ja, das, was ich jeden Tag im OP-Mikroskop, am Patienten im Operationssaal sehe, habe ich jetzt erstmals selbst ausprobiert. Also, ich habe sozusagen das, was ich immer sehe, jetzt immer mal probieren können. Und das war für die so ein richtiger Aha-Effekt, dass sie am nächsten Tag, wenn sie wieder in den OP gehen, das auch besser zuordnen können. Das hat schon einen enormen Effekt. Man sieht plötzlich oder kann selber das machen, was man jeden Tag sieht.
Timm: Professor Werner Korb über Operationssimulationen, er hat den ersten Lehrstuhl für dieses Fach an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.