Bundeshaushalt 2025

Mehr Geld für Kultur: Warum die Kulturszene trotzdem rebelliert

Blick auf den Eingangsbereich von Kampnagel mit dem Logo der Kulturfabrik. Kampnagel ist eine ehemalige, 1865 gegründete Maschinenfabrik in Hamburg-Winterhude. Sie wird seit 1982 als Veranstaltungsort für zeitgenössische darstellende Kunst genutzt.
Auch die künstlerische Leiterin der Kulturfabrik Kampnagel, Amelie Deuflhard, protestiert gegen die geplanten Kürzungen im Kulturetat. © picture alliance / dpa / Markus Scholz
Trotz knapper Kassen ist im Bundeshaushalt 2025 mehr Geld für die Kulturförderung vorgesehen als in diesem Jahr. In der Kulturszene gibt es dennoch Widerstand gegen den Kulturetat. Denn in einigen Bereichen soll es trotzdem massive Kürzungen geben.
Eigentlich sollte es keinen Grund zur Klage geben: Trotz Sparzwang sieht der geplante Bundeshaushalt 2025 für den Etat der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) sogar eine Erhöhung vor. Statt wie in diesem Jahr 2,15 Milliarden Euro sollen 2025 rund 2,2 Milliarden Euro zur Verfügung stehen.
Trotzdem rumort es in der Kulturszene. Denn für einige Bereiche der Kulturförderung plant Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) massive Kürzungen von fast 50 Prozent - oder sogar einen kompletten Förderstopp.

Wo soll im Kulturbereich gekürzt werden?

Nach Planung der BKM sollen unter anderem die Mittel für die sechs Bundeskulturfonds 2025 fast halbiert werden. Für die Stiftung Kunstfonds, Fonds Darstellende Künste, Literaturfonds, Fonds Soziokultur, Übersetzerfonds und Musikfonds stehen dann nur noch 18 Millionen Euro zur Verfügung, in diesem Jahr sind es rund 34,3 Millionen.
Die Kürzungen werden vor allem die freie Szene treffen, für die die Bundeskulturfonds eine wichtige Förderquelle sind. Auch die geplante Streichung aller Zuschüsse für das Bündnis internationaler Produktionshäuser trifft vor allem freie Künstlerinnen und Künstler aus dem Bereich der Darstellenden Künste. Damit würde die Arbeit von sieben bundesweiten Ankereinrichtungen der Freien Darstellenden Kunstszene erheblich geschwächt, heißt es in einer Pressemitteilung des Fonds Darstellende Künste. „Rund 10 Mio. Euro gehen damit der Freien Szene allein in dieser Sparte verloren."
Weniger Geld ist zudem für die Bereiche kulturelle Bildung, Digitalisierung, Unterstützung von geflüchteten Künstlern und Aufarbeitung des Kolonialismus vorgesehen.

Warum wird der Etat für einige Kulturbereiche gekürzt?

Anders als bei anderen Posten im Bundeshaushalt sind die Kürzungen im Kulturetat keine Folge der Sparvorgaben von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FPD). Vielmehr gewährt Lindner der BKM für 2025 sogar rund 50 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. In einer Pressemitteilung betonte Kulturstaatsministerin Roth: „Mit dem Regierungsentwurf zum Kulturhaushalt 2025 erweist sich die Bundesregierung gerade in diesen herausfordernden Zeiten als verlässlicher Förderer unserer Kultur- und Medienlandschaft.“
Tatsächlich sieht der BKM-Haushalt für einige Bereiche teils erhebliche Zuwächse vor. So erhält etwa die Stiftung Preußischer Kulturbesitz 17 Millionen Euro mehr gegenüber der bisherigen Planung, die Deutsche Welle sogar 25 Millionen. Zudem sind ab 2025 zusätzliche 11,3 Millionen Euro für die Filmförderung vorgesehen. Und die europäische Kulturhauptstadt Chemnitz soll mit insgesamt 25 Millionen Euro unterstützt werden, davon sind für das kommende Jahr 10 Millionen Euro veranschlagt.
Verantwortlich für diese Planung des Kulturetats ist die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Kulturstaatsministerin Roth. Laut Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP sollen eigentlich gerade die Strukturen der freien Szene und das Bündnis internationaler Produktionshäuser „gestärkt“ und die Förderung der Bundeskulturfonds als “Innovationstreiber“ ausgebaut werden.
Roth hat nun einen anderen Weg eingeschlagen. Die Neupriorisierung verteidigte sie in der Haushaltsdebatte des Bundestags. "Nicht alles, was aus meiner Sicht und der Sicht der Kultur notwendig ist, konnten wir möglich machen, anders als noch im vergangenen Jahr. Das betrifft auch die freie Szene", sagte Roth und widersprach dem Vorwurf, dass der Haushaltsentwurf die freie Szene vernachlässige. Ihre Förderung sei "im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit um über 30 Millionen Euro und damit um rund 45 Prozent ausgebaut" worden, sagte Roth.

Wer ist besonders von den geplanten Kürzungen im Kulturetat betroffen?

Unter Künstlerinnen und Künstlern und den Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern der Bundeskulturfonds herrscht weitgehend Einigkeit: Die geplanten Kürzungen im Kulturetat werden die freie Szene massiv treffen. Gregor Hotz, Geschäftsführer des Musikfonds, bezeichnete den Haushaltsentwurf der BKM als „Frontalangriff auf die freie Szene“.
Die Geschäftsführerin Stiftung Kunstfonds, Karin Lingl, sieht durch die Kürzungen die strukturelle Unterstützung der gesamten Kunstszene in Gefahr. Demnach müssten zwei der vier Förderprogramme für bildende Künstlerinnen und Künstler ersatzlos gestrichen, die zwei verbleibenden zudem reduziert werden.
Musikfonds-Geschäftsführer Hotz wiederum sieht in seinem Bereich vor allem zwei Sonderprogramme vor dem Aus, die Künstlerinnen und Künstlern längerfristig und damit planbar unterstützen - anders als die sonst übliche, projektbezogene Förderung.
Der Fonds Darstellende Künste bereitet sich laut einer Pressemitteilung auf die Einstellung von drei seiner sechs "auf Innovation, Nachhaltigkeit und Resilienz ausgerichteten Förderprogramme" vor.
Gefährdet sind nach Ansicht von Experten auch frauenspezifische Projekte oder solche, die sich mit Themen wie Inklusion, Teilhabe und Gleichberechtigung beschäftigen und in diesen Bereichen „künstlerisch-wissenschaftliche Forschung“ betreiben, wie der Theaterwissenschaftler Nikolaus Müller-Schöll von der Goethe-Universität Frankfurt berichtet. 

Was sagen Künstlerinnen und Künstler zu den geplanten Kürzungen?

Gegen die geplanten Kürzungen der Mittel für die Bundeskulturfonds sowie die Streichung der Mittel für das Bündnis internationaler Produktionshäuser hat sich innerhalb der Kulturszene breiter Widerstand formiert. Die Regisseurin und Choreografin Heinrich Horwitz startete eine Petition, die sie am 11. September mit mehr als 30.000 Unterschriften an Roth übergab. Inzwischen sind es mehr als 36.000 Unterzeichnende, darunter Igor Levit, Sandra Hüller, Ilja Papatheodorou (She She Pop), Bastian Trost (Gob Squad), Christoph Marthaler, Claire Cunningham und Milo Rau.
Die Petition fordert die Kulturstaatsministerin auf, ihre Pläne zurückzunehmen. Die massiven Etatkürzungen oder Streichungen seien angesichts des Aufwuchses im BKM-Etat nicht nachvollziehbar, heißt es im Petitionstext. Der Fonds Darstellende Künste und die international vernetzten Produktionshäuser seien „für viele freischaffende Künstler*innen lebensnotwendig“. Betroffen von den geplanten Kürzungen seien „dieselben Strukturen, die erst jüngst als äußerst verlässliche und innovationstreibende Partner*innen in den herausfordernden Zeiten der Pandemie gelobt wurden und deren Stärkung im Koalitionsvertrag ausdrücklich vereinbart ist“.
Auch Amelie Deuflhard, künstlerische Leiterin der Kulturfabrik Kampnagel in Hamburg, drückt ihr Unverständnis darüber aus, dass nun gerade bei Projekten gespart werden soll, die im Koalitionsvertag zur Stärkung empfohlen worden seien. Gemeinsam mit anderen Intendanten verfasste sie eine Protestnote. Für den Theaterwissenschaftler Müller-Schöll ist es ein „Skandal“, dass ausgerechnet dort gekürzt werden soll, „wo die ambitionierteste, die zukunftsweisende Arbeit gemacht wird“.

Was sagen Kulturfunktionäre und -politiker zu den geplanten Kürzungen?

Rückendeckung bekommen die Künstlerinnen und Künstler unter anderem von den Bundeskulturfonds, den Landeskulturräten - und selbst aus den Reihen der Ampelkoalition. So bezeichnete der kultur- und medienpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Helge Lindh, die Kürzungen bei den Kulturfonds als „einen klaren Bruch mit den im Koalitionsvertrag festgelegten Zielen“.
Auch die Stiftung Kunstfonds warf der Bundesregierung in einer Stellungnahme vor, die im Koalitionsvertrag vereinbarte Stärkung der „Bundeskulturfonds als Innovationstreiber“ zu missachten. Die in der Pandemie schmerzlich vermisste gesellschaftliche Rolle einer lebendigen Kunstszene scheine vergessen. Die Stiftung Kunstfonds appellierte an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags, die von der Bundesregierung geplante Kürzung der Mittel des Kunstfonds und auch der anderen Bundeskulturfonds zurückzunehmen.
Die Kulturräte mehrerer Bundesländer äußerten ebenfalls Bedenken. Sie befürchten gravierende Auswirkungen auf die Kultur in den Bundesländern, sollte der Kulturetat des Bundes im November so beschlossen werden, wie derzeit vorgesehen.

ww
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