Kujat: Kundus-Untersuchungsausschuss soll sich um wirkliche Probleme kümmern

Harald Kujat im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler |
Ex-Generalinspekteur Harald Kujat fordert, der Kundus-Untersuchungsausschuss solle stärker grundsätzliche Mängel wie die schlechte Ausrüstung der Bundeswehr in Afghanistan sowie das Fehlen eines Führungsinformationssystems thematisieren.
Jan-Christoph Kitzler: Das wird heute ein spannender Tag in Berlin, denn der Kundus-Untersuchungsausschuss vernimmt in aller Öffentlichkeit zwei Schlüsselfiguren, die im Zuge der Kundus-Affäre ihren Hut nehmen mussten. Peter Wichert war bis November Staatssekretär im Verteidigungsministerium und Wolfgang Schneiderhan bis dahin Generalinspekteur der Bundeswehr, also Deutschlands oberster Soldat. Werden sie den Verteidigungsminister zu Guttenberg in Bedrängnis bringen? Er selbst fühlt sich von beiden nicht ausreichend informiert über das, was Anfang September letzten Jahres bei der Bombardierung zweier Tanklaster in Nord-Afghanistan passiert war. – Darüber spreche ich nun mit Harald Kujat, er war bis vor acht Jahren selbst Generalinspekteur der Bundeswehr und danach noch einige zeit Vorsitzender des Militärausschusses der NATO. Guten Morgen, Herr Kujat.

Harald Kujat: Guten Morgen, Herr Kitzler.

Kitzler: Es scheint ja so zu sein, dass es im Untersuchungsausschuss schon gar nicht mehr darum geht, was genau in Kundus passiert ist, sondern nur noch um das, was dann später im Verteidigungsministerium die Folgen waren. Finden Sie das in Ordnung?

Kujat: Nein, das finde ich überhaupt nicht in Ordnung. Das ist eine Arabesque eigentlich. Natürlich ist das immer interessant, wie die zwischenmenschlichen Dinge dort bestanden haben und was dort gelaufen ist, aber das ist nicht das Problem. Ich denke, dass der Untersuchungsausschuss auch gut beraten wäre, sich um die wirklichen Probleme zu kümmern, nämlich die schlechte Organisation, die dort besteht, und vor allen Dingen den Mangel an einem Führungsinformationssystem für die Streitkräfte mit einer Lageinformation, die alle Ebenen bis hinauf zum Ministerium mit Echtzeitinformationen unterrichtet. Das sind die eigentlichen Probleme. Hinzu kommt natürlich – das sage ich nur am Rande -, dass ja gerade dieser Kundus-Fall die gravierenden Defizite in der Ausrüstung der Bundeswehr offengelegt hat. Da der Bundestag ja darüber entscheidet, ob deutsche Soldaten in einen solchen Einsatz gehen oder nicht. Wäre es die Verantwortung auch des Bundestages und eines solchen Untersuchungsausschusses, sich um diese Dinge zu kümmern.

Kitzler: Kommen wir noch mal zum Informationsfluss, den Sie angesprochen haben. Das kann man ja einerseits auf die Strukturen schieben, andererseits natürlich auch auf die handelnden Personen.

Kujat: Natürlich!

Kitzler: War zu Guttenberg von seinen wichtigsten Mitarbeitern schlecht vorbereitet?

Kujat: Das weiß ich natürlich nicht. Jedenfalls hätte er nicht schlecht vorbereitet sein müssen. An sich hat ja der Generalinspekteur jederzeit Zugang zum Minister, oder sollte er zumindest haben. Es gibt ständige Abstimmungsgremien im Ministerium, also beispielsweise das Kollegium mit dem Minister, den Staatssekretären, dem Generalinspekteur. Es gibt Einsatzlagebesprechungen. Und natürlich hat der Minister auch, ich sage mal, eine Art Frühwarnsystem im Leiter des Planungsstabes mit seinen Mitarbeitern, der ihn über alle wichtigen Ereignisse informiert, aber auch sozusagen ihn berät in schwierigen Fragen. Also eigentlich müsste dies nicht passieren. Ich sagte aber schon: Es gibt neben dem Führungsstab der Streitkräfte inzwischen einen Einsatzführungsstab. Diese Aufgaben gehören eigentlich in den Führungsstab der Streitkräfte. Es wurden zusätzliche Schnittstellen geschaffen, die den Informationsfluss behindern und nicht fördern. Das ist ein struktureller, ein organisatorischer Mangel, der unbedingt beseitigt werden müsste.

Kitzler: Nun könnte man die Abläufe natürlich auch damit erklären, dass zu Guttenberg gerade erst Ende Oktober, also wenige Tage nachdem Schneiderhan und Wichert entlassen wurden, sein Amt angetreten hatte. Ist er dazu sehr vorgeprescht Ihrer Meinung nach?

Kujat: Ich will da nicht spekulieren, weil ich nicht weiß, wie die tatsächlichen Abläufe gewesen sind, wer mit wem wann gesprochen hat. Aber das Ministerium ist eigentlich immer darauf vorbereitet, einen neuen Minister sofort und umfassend über die wichtigsten Ereignisse zu informieren, und das muss natürlich auch geschehen, gerade dann, wenn es um Einsätze geht, und da geht es ja schließlich auch um Menschenleben. Also hier muss der Minister sofort von der ersten Minute an umfassend, vollständig und präzise informiert werden, und normalerweise tut das das Ministerium auch.

Kitzler: Ein Kritikpunkt, der jetzt aufgetaucht ist, ist ja auch, dass die höchsten Männer im Ministerium, also Staatssekretär Wichert vor allem, auch deshalb so unabhängig war, weil zu Guttenbergs Vorgänger Franz-Josef Jung ein eher schwacher Minister war. Sehen Sie das auch so?

Kujat: Das wird gesagt. Ich kann das persönlich nicht beurteilen. Das wird gesagt und vieles deutet darauf hin, dass es tatsächlich so war. Aber ein abschließendes Urteil darüber kann ich natürlich nicht abgeben.

Kitzler: Zu Guttenberg gilt als forsch, er ist sehr vorgeprescht, auch in einer anderen Frage, nämlich bei der Verkürzung der Wehrzeit von neun auf sechs Monate. Die soll jetzt schon ein paar Monate vorher in Kraft treten, im Oktober. Geplant war eigentlich Anfang 2011. Ist das ein kluges Vorgehen?

Kujat: Ich denke, wenn eine Angelegenheit einmal entschieden ist und die Vorbereitungen für die Umsetzung zeitgerecht getroffen werden, dann sollte man eine solche Entscheidung auch durchführen. Ich bin natürlich nicht begeistert, wie Sie sich vorstellen können, über die Verkürzung der Wehrpflicht, weil ich denke, dass das doch auch Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Truppe haben wird. Es ist aber eine Maßnahme, die umgesetzt werden kann, es müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein und es müssen auch strukturelle Änderungen in den Streitkräften vorgenommen werden, um die Nachteile sozusagen aufzufangen. Aber ich bin grundsätzlich der Auffassung, dass die Wehrpflicht nach wie vor ein wichtiges Instrument der Bundeswehr ist, auch für die Nachwuchsgewinnung, und insofern bin ich froh darüber, dass sie überhaupt erhalten geblieben ist.

Kitzler: Trotzdem: in sechs Monaten soll das schon in Kraft treten, die Verkürzung der Wehrpflichtzeit. Könnte die Bundeswehr nicht organisatorisch damit überfordert sein, mit diesem schnellen Einführen?

Kujat: Wie ich eben schon sagte: Wenn es möglich ist, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dann sollte man das auch durchführen. Das weiß ich natürlich nicht. ich denke schon, dass das möglich ist, eine solche Maßnahme durchzuführen. Das bedeutet natürlich einen zusätzlichen Aufwand auch an Ausbildern und das wird natürlich auch Konsequenzen für die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr haben. Auf der anderen Seite geht natürlich eine wesentlich größere Zahl durch die Bundeswehr, was den positiven Effekt hat, dass wir die Wehrgerechtigkeit verbessern, hat aber auch den positiven Effekt, dass wir sozusagen das Potenzial, das zur Verfügung steht, für einen freiwillig länger dienenden Wehrdienst und für die Verpflichtung als Freiwilliger, dass dieses Potenzial größer wird, also die Auswahlmöglichkeiten und damit auch die Qualität des Personals verbessert wird. Wie es immer so ist: Es gibt zwei Seiten einer Medaille. Es gibt Vor- und Nachteile. Ich neige immer dazu, das Glas als halb voll anzusehen und nicht als halb leer.

Kitzler: Das meint Harald Kujat, von 2000 bis 2002 oberster Soldat in Deutschland und danach Vorsitzender des Militärausschusses der NATO. Vielen Dank für das Gespräch.

Kujat: Ich danke Ihnen!