Kulinarische Grenze

Der Ahle-Wurscht-Äquator

"Ahle Würschte", eine nordhessische Spezialität, hängen in der Metzgerei Rohde in Kassel am Haken (aufgenommen 2004).
"Ahle Würschte", eine nordhessische Spezialität © picture-alliance/ dpa / Uwe Zucchi
Von Ludger Fittkau |
Es gibt Grenzverläufe in Deutschland, die nach Würsten benannt werden. Der Verlauf des Weißwurstäquators ist hinlänglich bekannt, doch die Ahle-Wurscht-Grenze verlangt wohl noch eine Erklärung.
Es gibt den sogenannten Weißwurstäquator, der durch Deutschland verläuft. Das ist etwa die Main-Linie. Südlich des Mains gibt es Weißwurst, nördlich des Flusses eigentlich nicht. Der Weißwurst-Äquator ist ziemlich bekannt. Weniger bekannt ist der Ahle-Wurscht-Äquator. Er verläuft mitten durch Hessen. Die Ahle-Wurscht-Grenze trennt Nord- und Mittelhessen von Südhessen.
Es ist kein Zufall, dass Heinz Schenk in seinen Liedern niemals über die "Ahle Wurscht" sang, die in seinem Dialekt ohnehin "Ahle Worscht" heißen müsste. Er sang über "Handkäs mit Musik", über die "Frankfurter Grüne Soße", selbstverständlich immer wieder über den Apfelwein, dem er mit der TV-Kneipe "Zum Blauen Bock" ein Denkmal setzte. Doch "Ahle Wurscht" kommt bei Heinz Schenk niemals vor, wenn ich mich nicht irre.
Das ist kein Wunder. "Ahle Wurscht" ist eine mittel- und nordhessische Spezialität. Und mit Nordhessen hatte Heinz Schenk eigentlich nicht viel zu tun, obwohl er ja bis heute den idealen Gesamthessen verkörpert. Wikipedia sagt: "Als Ahle Wurscht bezeichnet man eine grob gekörnte, schnittfeste Rohwurstsorte".
Auch eine Sprach- und Kulturgrenze
Grob gekörnt. So sind die Nordhessen. Sie mögen es rauer und "schnittfester" als die Südhessen, die ihren ohnehin weichen Handkäs mit Essig und kleingeschnittenen Zwiebelstücken noch flüssiger machen, bevor sie ihn zum Mund führen. Die "grüne Soße" nehmen die Südhessen mit gekochten Eiern und Kartoffeln, sehr schnittfest muss das nicht sein.
Die Ahle-Wurscht-Grenze ist auch eine Sprach- und Kulturgrenze, die mitten durch Hessen verläuft. Der südhessische Dialekt ist ein rhein-fränkischer Dialekt. Mit dem munteren Rheinland oder dem weinseligen Frankenland hat nun aber etwa die Gegend um Kassel rein gar nichts zu tun. Kassel war lange ein preußischer Außenposten, von Berlin aus gesehen weit im Westen. Vom Rheinland aus gesehen schon fast in Sibirien. Um im rauen Osten zu überleben, braucht man eben lange haltbare Rohwurst, die "Ahle Wurscht".
Im Süden Hessens ist man schon ganz nahe an Frankreich, da liebt man die Speisen, die den Wein- oder Apfelweingenuss verfeinern. Das kann auch mal eine "Worscht" sein. Aber eben auch gerne eine Quiche oder ein guter Elsässer Käse.
Volksfeste für Nord- und Südhessen
Immerhin: Die Initiative "Slow Food" hat die "Nordhessische Ahle Wurscht" in ihre "Arche des Geschmacks" aufgenommen, um die traditionelle Herstellungsweise zu fördern und als Kulturgut zu sichern.
Obwohl Kenner also die "Ahle Wurscht" sehr schätzen, hat sich das in Südhessen noch nicht so richtig rumgesprochen. Das mag auch an Heinz Schenk und seinem Liedgut liegen. Aber es liegt auch daran, dass zwischen Nordhessen und Südhessen nicht nur jede Menge waldreiches Hügelland liegt. Nordhessen und Südhessen sind sich nicht sehr ähnlich. Genauso wie etwa Rheinländer und Ostwestfalen. Oder Bayern und Mecklenburger.
Übertrieben? Möglicherweise. Denn immerhin gibt es ja seit Menschengedenken "Hessentage". Das sind große, von der hessischen Landesregierung finanzierte Volksfeste, die die Menschen aus Nordhessen und Südhessen zusammenführen sollen. Dort können dann die Südhessen die "Ahle Wurscht" kennenlernen. Und die Nordhessen die "grüne Soße" verköstigen, die zumindest die Älteren längst aus den Heinz-Schenk-Liedern kennen. "Hessentage" sind eine gute Aktion zur Überwindung des Ahle-Wurscht-Äquators. Doch noch ist er nicht verschwunden.
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