Als würde ein Engel auf der Zunge weinen
Als kulinarisches Eldorado kennt man Irland kaum. Doch nicht zuletzt die Wirtschaftskrise hat dafür gesorgt, dass sich auf der Grünen Insel eine neue Esskultur etabliert hat - eine kulinarische Tour durch Dublin.
Wer sich auf den "Fabulous Food Trail" durch Dublin begibt, sollte vorher kein allzu üppiges Frühstück zu sich nehmen – doch dieser Tipp kommt leider zu spät von Food-Führerin Lydia. Die es bedauert, dass ihre Heimat keine wirkliche kulinarische Tradition hat:
"Wenn ich nach der typischen irischen Küche frage, dann antworten die meisten: Speck, Kohl, Kartoffeln – und natürlich Guinness!"
Die grüne Insel verfüge aber über: frischen Fisch, gutes Fleisch und hervorragende Milchprodukte. Lydias Tour führt durch das alte Dublin rund um die Grafton Street, die traditionelle Einkaufsstraße südlich des Flusses Liffey.
Der erste Stopp ist "Sheridan's Cheesemongers", wo Besitzerin Fiona begeistert von der neuen irischen Käsekultur berichtet:
"Viele Kunden erzählen uns: Als ich klein war, da gab es nur weißen oder roten Cheddar, weichen oder harten Käse – das war's. Heute aber gibt es frischen Schafskäse, Ziegengouda oder auch Käse, der dem Stilton ähnelt."
Also ein Blauschimmelkäse aus Kuhmilch. Etwa ein Drittel des Käses, den Fiona anbietet, stammt aus Irland; etwa 70 Käsereien gibt es inzwischen auf der Insel – und das ist nicht zuletzt jenen Aussteigern zu verdanken, die in den 1970er-Jahren einwanderten, erklärt Lydia:
"Es kamen viele Deutsche, Holländer und Engländer hierher, kauften nach der Hungersnot verlassene Cottages auf – etwa in Kilkenny, Cork und Kerry. Und diese Leute hatten kulinarisch einen frischen Blick."
Weiter geht's in das Powerscourt Town House: In der einstigen Adelsresidenz befinden sich heute Geschäfte, Galerien und Cafés. Eines davon ist "The Pepper Pot", wo Ulrike die Spezialität des Hauses serviert – handgemachte Bagels:
"Wir nehmen uns zwei Tage Zeit, um unsere Bagels zu backen – sie sind erst heute Morgen aus dem Ofen gekommen. Belegt sind sie mit geräuchertem Lachs von der irischen Westküste und mit einem scharfen Frischkäse."
Der Bagelteig ist herrlich locker und luftig. Der "Pepper Pot" hat 2010 aufgemacht, mitten in der Krise: Die beiden Gründerinnen fanden keinen Job und machten sich selbständig, als die Mieten in der Innenstadt erschwinglich waren, erzählt Lydia:
"Ihr Motto: Was Du machst, das mach richtig gut; verschwende kein Geld auf die Inneneinrichtung; halte die Preise möglichst niedrig; und biete gutes und frisches Essen an. Die Rezession hat also auch ihr Gutes gehabt."
Das Menü passt auf eine Visitenkarte
Ein weiteres Beispiel: Bunsen Burgers. Toms Menü passt auf eine Visitenkarte – denn es gibt nur Hamburger, Cheeseburger, Pommes Frites und süße Kartoffeln. Und wenn das Wetter mitspielt, nehmen die Dubliner ihren Burger in der Mittagspause mit auf das St. Stephen's Green, den großen Park mitten in der Stadt: Wer viel isst, der muss aber zwischendurch auch mal etwas trinken – die nächste Station ist also ein traditioneller Pub: 1723 eröffnet, das Interieur noch original erhalten – mit Granittresen, kupfernen Zapfhähnen und italienischen Mosaikfliesen. Barkeeper im "The Swan" ist Dave:
"Der Schwan ist deshalb das Emblem, weil viele Leute damals nicht lesen und schreiben konnten. Aber den Schwan hat jeder sofort erkannt."
Im "Swan" gibt es kein Essen, sondern nur Bier – und natürlich Powers Whiskey aus Dublin, die beliebteste Sorte der Einheimischen, die an kalten Tagen von innen wärmt. So gestärkt geht es weiter zur letzten Station der Tour, zum Temple Bar Market – wo Steve seine Oyster-Bar aufgebaut hat und Muscheln knackt:
"Diese Austern sind gestern erst aus dem Wasser gekommen. Deshalb haben wir auch einen so guten Ruf: weil die Austern ganz frisch sind. Wenn man die in Europa kauft, sind sie bis zu eine Woche alt – und eben nicht mehr so frisch."
Steve fischt diese wilden Austern vor der irischen Pazifikküste – und richtet sie nur mit Tabasco oder Zitrone oder einem Rotweinessig mit roten Zwiebeln an. Frische Austern zu essen, sagt er – das sei, wie Ecstasy zu nehmen. Wer sonst als ein Ire würde einen so poetischen Vergleich ziehen: Die Austern schmeckten so wunderbar, als würde ein Engel auf der Zunge weinen.