Kulitsch - das russische Osterbrot

Von Julia Smilga |
Dieses Jahr feiern die russischen orthodoxen Christen zeitgleich mit Katholiken und Protestanten am selben Tag das Osterfest. Eine Ausnahme, denn das russisch-orthodoxe Osterfest wird nach speziellen Mondtabellen berechnet. Mit dabei ist Kulitsch, eine Spezialität.
Sieben Wochen ohne Milch, Eier, Fett und Fleisch. Für die 52-jährige Alla Stadler ist das siebenwöchige Osterfasten normalerweise kein großes Problem. Aber heute fällt es der Ukrainerin irgendwie doch schwer. Es duftet ja im ganzen Haus nach Hefe, Butter, Vanille und Rosinen! Heute backt Alla die Kulitschs, die russischen Osterbrote, die während der Ostermesse in der Kirche geweiht werden.

Der Kulitsch steht symbolisch für den Berg Golgatha. Es ist ein brauner runder und hoher Kuchen, Hefeteig mit Rosinen. Klingt einfach. Doch die Zubereitung erfordert Erfahrung, Zeit und vor allem viel Kraft für den Teig. Jede Familie hat ihr eigenes Kulitsch - Geheimnis. Auch die Münchener Köchin Alla Stadler:

" Ich brauche für den Teig 30 Eidotter! Und die müssen mit dem Zucker geschlagen werden – solange, bis keine Zuckerkristalle mehr zu bemerken sind. Dadurch wird der Teig um das dreifache aufgehen, wird locker und elastisch - das ist das Geheimnis."

Aber der Reihe nach - ein Kilo Mehl, dreißig Eier, Zucker, eine ganze Packung Butter, einen halben Liter Milch, Hefe und Rosinen braucht man für den Kulitsch. Die zerbröckelte Hefe mit lauwarmer Milch und der Hälfte des Mehles zu einem Vorteig rühren, und an einem warmen Platz gut aufgehen lassen. Aufgegangen? Das ist schon mal gut. Jetzt sind die berühmten 30 Eidotter dran - sie werden mit Zucker zu einer cremigen Masse verrührt. Das Eiweiß gehört getrennt geschlagen. Und die Butter soll etwas aufgewärmt werden. Das alles und reichlich Rosinen mit dem aufgegangenen Teig verrühren.

Jetzt gilt es kneten, kneten, und noch mal kneten - so lange, bis der Teig Blasen wirft. Um diesen empfindlichen Teig richtig locker hinzukriegen, braucht man gute Kondition. Und göttliche Hilfe:

" Ich bete beim Backen. Man braucht so viel Kraft, bis der Teig richtig ausgeknetet ist, sodass er nicht an den Händen kleben bleibt. Ich weiß noch, wie meine Mutter dabei schwitzte – eigentlich müssen es Männer machen, so viel Muskelkraft ist da nötig. Aber durch das Gebet bekomme ich diese Kraft ...""

Man mag daran glauben oder nicht- aber der Kulitsch gelingt nur, wenn man ihn mit guten oder auch frommen Gedanken zubereitet. Bist du verstimmt oder gestresst, brauchst du dich an das Backen gar nicht heranzuwagen, sagt Alla. Der Teig wird einfach nicht gut aufgehen.

Ist der Teig nicht mehr klebrig, kommt er in die Backform. Während es in Russland spezielle hohe Backformen für den Kulitsch gibt, muss Alla hier auf die großen Blechdosen für Gewürzgurken ausweichen. In diesen wird der Hefeteig an einem nicht zu warmen und nicht zu kalten Platz noch einmal langsam aufgehen. Eineinhalb bis zwei Stunden lang. Der Kulitsch erlaubt nun mal keine Hast ...
"Für einen richtigen Oster – Kulitsch braucht man einen ganzen Tag. Morgens verrühren, dann aufgehen lassen, noch mals verrühren, in der Form aufgehen lassen, in den vorgeheizten Ofen schieben- und schließlich zittern, dass er auch durchgebacken und oben nicht angebrannt ist. Aber dann, wenn man den Kulitsch aus dem Ofen holt – was für ein Duft! Im ganzen Haus riecht es nach Ostern ..."

Die russische Köchin backt immer mindestens zehn Stück davon -
– um die türkischen und deutschen Nachbarn, Gemeindemitglieder und Gäste zu verköstigen.

"Und einen Kulitsch friere ich immer ein und lasse ihn bei der nächsten Gelegenheit meiner Mama in der Ukraine zukommen. Ich warte immer gespannt auf ihr Urteil. Meistens sagt sie - "Euer deutscher Zucker ist nicht süß genug, Du musst mehr davon nehmen."

In der Osternacht wird Alla ihre Wohnung im Münchener Neuperlach mit mehreren Kulitschs verlassen. Ihr Ziel: die Hauskirche des Münchener katholischen Kolpinghauses. Dort werden sich um die 300 Gemeindemitglieder versammeln, um das russisch- orthodoxe Osterfest zu begehen.

Das Moskauer Patriarchat hat bis jetzt noch keine eigene Kirche in München und mietet im Kolpinghaus einen Saal. So verwandelt sich an allen Sonn- und Feiertagen die katholische Kapelle mittels mitgebrachter Ikonen und liturgischer Gerätschaften in eine russisch-orthodoxe Kirche. Und zu Ostern ist die Verwandlung noch authentischer - dank dem Duft der mitgebrachten Kulitschs.