Enten durchkreuzten mein junges Leben: Die allerseits angebetete Susanne aus der 12 a fuhr jeden Morgen damit an der Oberstufenbaracke vor. Auspuffgeschädigte Exemplare knatterten auf den Parkplatz vorm Hörsaalgebäude. Mit Farbabdrücken von kleinen Händen übersäte Erpel kurvten quietschvergnügt um den Uni-Kinderladen, bevor ein Stapel knallroter Plakate aus dem Kofferraum gehievt und an die bereitstehenden Genossen verteilt wurde.
Bloß von meinen Freunden besaß keiner, nicht einer, einen 2CV. Und mein Budget reichte hinten und vorne nicht dafür. Mithin erwies ich dem begehrten Gefährt immer nur aus gebührendem Abstand meine Reverenz: die zum Victory-Zeichen gespreizten Finger.
Ich kannte den Deux Cheveaux nur von ferne. Eine Ahnung, eine Hoffnung, eine Sehnsucht. Ein Stück Blech, klar, zurechtgebogen, ein Motor draufgesetzt, vier Räder drunter. Mehr nicht. Und doch. Blieb eine Sehnsucht. Dieser Hauch von Freiheit, die nach Benzin roch, nach Reifenabrieb. Der Geruch von Lavendelfeldern und thymianduftender Macchia prickelte mir in der Nase, wenn ich so 'n Ding nur irgendwo rumstehen sah.
Der Schriftsteller Ulrich Land in den 80ern in seiner Landkommune.© Deutschlandradio / Winfried Sträter
Ein Hoffnungsschimmer zeichnete sich ab am studentischen Horizont. Das Examen stand an. Und diese, diese besondere Frau tauchte auf. Eine ganz besondere Frau. Und ich hatte den Verdacht … – richtig, sie nannte eine Ente ihr eigen. Was das Ganze noch besonderer machte.
Wie die Ente geboren wurde
"Vier Räder unterm Regenschirm!" Das war der Auftrag an die Ingenieure! Eine andere Legende behauptet, der Auftrag Mitte der 30er-Jahre habe darin bestanden, ein Auto zu konstruieren, mit dem ein Bauer einen Korb Eier über einen umgepflügten Acker manövrieren kann. Dabei steht der offizielle Name "Deux Chevaux" für zwei Pferdestärken. Nominell 2 PS fürs französische Finanzamt. De facto aber hatte die Ente anfangs 9 und zuletzt 29 PS unter der Haube, womit man immerhin 113 Stundenkilometer brausen konnte.
"Entwerfen Sie ein Auto, das Platz für zwei Bauern in Stiefeln und einen Zentner Kartoffeln oder ein Fässchen Wein bietet, mindestens 60 km/h schnell ist und dabei nur drei Liter Benzin verbraucht. Einfach zu bedienen und gut gefedert. Aufs Aussehen kommt es nicht an". So soll der Auftrag gelautet haben, den 1934 der damalige Citroën-Chef seinem Konstrukteur André Lefèbvre erteilte. Dann kam der Zweite Weltkrieg, wurde das ganze Thema 2CV erst mal hintangestellt, dann hat man das Auto 1948 auf dem Pariser Salon vorgestellt.
Die Ente - das Auto der 68er
Meine seinerzeit große Liebe also fuhr eine himmelblaue Ente. Und so kam auch ich endlich in den Genuss, den Ellbogen könnerhaft aus dem hochgeklappten Seitenfenster zu winkeln und das gertendünne Lenkrad zu ergreifen. Gebieter über einen lauthals röhrenden Motor, der einem seine Vibrationen durch Mark und Bein schickte! Dass das rumorende Ding alles andere als stark war, sondern einfach nur laut, weil an der Schallisolierung gespart wurde, spielte keine Rolle. Es dröhnte, also fuhr es. Und der Wind rauschte durchs offene Verdeck. Verwandelte die halboffenen Seitenfenster in flatternde Flügel.
Das sagen Entenschrauber und Entenfreaks:
"Am Anfang ham sie alle geschrien: 'Das hässliche Ding, will keiner haben!', aber die Leute ham's Citroën aus der Hand gerissen. Es gab ja sogar in den 50er-Jahren teilweise Wartezeiten: sechs bis acht Jahre, auf 'ne Ente! Ich schätze mal, dass es in Deutschland so zwischen 6.000 und 8.000 Enten noch gibt. Vielleicht ist auch die Grauzone 'n bisschen höher, weil jetzt auch immer noch mal Autos auftauchen, die 20, 25 Jahre in der Scheune gestanden haben."(Markus Kestner, Entenschrauberkönig)
"Ich kann mich erinnern, dass, wo ich noch zur Schule ging, dass die Ente eines der typischen Studentenautos war." (Dieter Bootz, bekennender 2CV-Freak)
"Damals: 68er-Bewegung, aufbegehren gegen die Eltern, gegen den Staat, gegen alle, und die Ente wurde bemalt!" (Rainer Kindle, Entenfreak)
"Ich denk 'mal, dass die Einfachheit der Ente schon eine Art von Statement war. Damals war ja alles am Aufstreben, hatte mehr Geld und hat sich entsprechend größere Autos gekauft und, ja, das war ein bewusster Schritt zurück und 'ne Abgrenzung vom Elternhaus." (Hartmut Schmidt, Entenfreak)
Ein bemaltes Auto! Heiligs Blechle! Sakrileg sondergleichen. Kam die Außenhaut des Automobils ansonsten doch nur mit Vaters samstäglich-seifigem Putzschwamm in Berührung. Das Vehikel für den Bürgerschreck! Und seine Flamme, die ihm die nächste Selbstgedrehte mit flottem Zungenschlag zurecht klebte. Nie wäre ich so gern Raucher gewesen wie bei meinen Entenfahrten. Der Nikotingeruch fiel im Benzingestank nicht ins Gewicht.
Ein Hochgenuss, in diesem Gebilde zu sitzen, das ein Auto sein will! Während es uns ins Land unserer Träume kutschierte, souverän mit erhobenem Schnabel durchs Autogewühle um den Arc de Triomphe watschelte. Schlingerte und hupte. Herzzerreißend hupte.
Und unter Frankreichs hochstehender Sonne rollten wir das Dach wie einen Sardinenbüchsendeckel auf und schnallten es fest – wie die Schlafsackrolle am Cowboy-Sattel. Während die Ente die Haarnadeln des Zentralmassivs hinaufjapste.
Selbstgedrehte, wie gesagt, Gouloises oder maisgelbe Gitanes: Rauchen in der Ente war Pflicht. Galt es doch, an der Ampel den revolutionären Qualm wölkchenweise aus dem hochgeklappten Seitenfenster steigen zu lassen.
Bemalte Ente beim Treffen der Freunde des 2CV 2014 im Wauwil, Kanton Luzern.© imago / Geisser
Entenschrauberkönig Markus Kestner über die "Ente":
"Der versierte KFZ-Meister wird an 'ner Ente sich die Zähne ausbeißen. Weil die hat teilweise so primitive Ansätze, dass das heute keiner mehr kann. Dieses Weglassen von Sachen, das macht 'ne Ente so sympathisch. Wenig Firlefanz. D.h. keine Fensterheber und den ganzen Schwachsinn, geht auch ohne Servolenkung. Aschenbecher gibt's erst in den 70er-Jahren, vorher gab's das gar nicht."
"Hier ist die Klimaanlage: Da kann man so 'ne Lüfterklappe aufdrehen, da kommt dann Luft rein, auch schon mal Mücken, was halt alles einem so entgegenfliegen kann."
"Es läuft immer ein bisschen Wasser irgendwo rein. Also das gehört auch einfach zu 'ner Ente dazu."
"Man kann aus 'ner Ente keinen Mercedes machen. Egal, was Sie damit anstellen. Da klappert immer irgendwas, da pfeift immer irgendwo der Wind rein, 'ne Ente bleibt immer 'ne Ente."
Klar, dass man revolutionär drauf sein musste, wollte man sich von diesem leidvoll quakenden Gefährt durch Schnee und Eis, durch die Unbill der Zeitläufte vorwärtsschaukeln lassen. Auf dem Weg zur unbedingt sofort und unaufschiebbar jetzt anstehenden Weltverbesserung.
Der Choke: Ein kleiner, wacklig sich vorstreckender Plastikrüssel, der danach schrie, ausprobiert zu werden. Die Zeigefingerkuppe meiner Rechten tippte behutsam gegen das filigrane Hebelchen. Umgehend versetzte es sich und das Scheinwerferlicht in ein schwabbliges Vibrato.
Und erst das Anlassen: jedes Mal ein Abenteuer. Je älter die Ente wurde, desto länger musste ich mit dem Zündschlüssel rumwürgen, bis er jenes jaulende Rödeln hervorrief, das den Motor zwecks Arbeitsaufnahme umschmeichelte.
Endlich dann der Griff zu dem querliegenden Krückstock, den man Richtung Motor drückte respektive herauszog, nach rechts, nach links drehte und schaltete und waltete.
Wenn die Ente endlich über die Autobahn ötterte, ließ ich die Hand cool auf dem kugelrunden Knauf des Gangschaltungsprügels liegen. Um besagte Hand dann irgendwann zufällig unauffällig in ihre gleiten zu lassen. In die Hand meiner damals Festen, längst Verflossenen.
"Wem gehört dieses Schaukelpferd auf dem Hof?"
Die große Liebe gedieh prächtig, Zusammenziehen war angesagt. Dreimal mit der Ente hin- und herfahren, hatte ich mir ausgerechnet, müsste reichen, um meine sieben Sachen zum Domizil der neuen Zweisamkeit zu verfrachten. Ich kutschierte die Ente also in den Hinterhof meiner Kölner Studentenbude. Rückbank und Beifahrersitz hatte ich in weiser Voraussicht bei meiner Herzensdame im Schuppen gelassen, musste also bloß die Heckklappe lupfen und vollladen.
Kaum, dass ich nach der dritten Bücherkiste rauf in mein altes WG-Zimmer astete, um Nachschub zu holen, bekam ich durch's Treppenhausfenster mit, wie sich unten die alte, nervtötende Nachbarin an der Ente zu schaffen machte. Wie sie in die Verdeckkante griff und mit aller ihr zu Gebote stehenden Kraft gegen das arme Entchen drückte, bis es aus lauter Verzweiflung anfing, gottserbärmlich quietschend zu wippen. Während die Alte keifte: "Wem is dat Schückelpääd im Hoff?" ("Wer ist der Eigner dieses Schaukelpferds im Hof?")
Ich sah's mit klammheimlicher Freude. Ging doch die Mär, dass eine Ente unkippbar ist. – Was die Ente meiner Angehimmelten denn auch prompt unter Beweis stellte. Allen Versuchen, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, widerstand sie bravourös.
Himmelblaue Enten gab es auch in Frankreich.© picture alliance / ZB / Jens Kalaene
Dieses, sagen wir: Automobil war ja eigentlich per se eine Einladung, ein Unikat draus zu machen! Sehr zu meinem Leidwesen war meine Entenliebe allerdings strikt dagegen, dass ich ihr Vehikel mit den Blumen bemalte, von denen doch alle Welt so jammervoll sang: "Wo sind sie geblie-ieben?" Und sie ließ sich auch nicht zu einer knallgelben Umlackierung hinreißen, die ich bei Roger Moore alias James Bond gesehn hatte, als dieser "In tödlicher Mission" unterwegs war.
Wer Ente fuhr, war nicht ganz normal. War keiner von diesen Normalos. War einer von denen, die vom Weltgeist geküsst waren.
"Gleich dann auch so in der alternativen Ecke, wurde man dann so reingeschoben. Obwohl ich einen recht etablierten Beruf hatte, und ob ich wollte oder nicht, hat sich auch dementsprechend dann mein Aussehen nach und nach verändert oder meine Ansichten, das ging so Hand in Hand." (Hartmut Schmidt)
"Das ist so ein Beispiel, wie Elemente der Pop-Kultur dann von der Industrie tatsächlich aufgegriffen werden, um ihr Produkt zu vermarkten. Die Enten wurden bis Ende der sechziger Jahre nur in so relativ unauffälligen Farben produziert, grau, beige, und als sich die Ente dann so grade bei jungen Leuten durchsetzte, da hat Citroën darauf reagiert, und es gab die Ente dann in poppigen Farben!" (Dieter Bootz)
Die Rechte am Knauf der Krückstockschaltung wähnte ich mich stets als Chauffeur der Erkenntnisschaukel des baskenmützen-behüteten Sartre auf dem Weg zur Sorbonne. Klar war: Hier fährt der Nonkonformist. Wie das Auto selbst, bei dem die Anarchie aus jeder Schaukelbewegung, aus jedem Bremsmanöver quietscht. Wer mit Hingabe eine aufmüpfige Ente fährt, die bockt und quengelt und längst nicht tut, was man ihr sagt, muss selbst auch einen Hang zum Widerspruch haben. Muss fraglos selbst Rebell sein. Genau wie ich!
Stets unterwegs im Geist der Weltrevolution
Wer Ente fuhr, konnte Fremdsprachen, verfügte über eine achtunggebietende politische Bildung. Gefestigte Linksideologie garantiert und eingebaut. Stets unterwegs im Geiste der Weltrevolution. Camus' "Der Fremde" schlägt auf dem Beifahrerinsitz seine existenzialistischen Seiten auf. Und auf der Rückbank wird Blochs "Prinzip Hoffnung" durchdiskutiert.
Philosophenauto und Entschleunigungsschleuder
"In den späten Sechzigern gab es in Berlin einen Kabarettisten, Wolfgang Neuss, der fuhr aus Prinzip Ente! Wirklich ein ziemlich runtergekommenes Exemplar, aber sie fuhr." (Entenfreak Dieter Bootz)
"Es war ja bewusstes Zurücknehmen, weg von der Geschwindigkeit, weg von Luxus und Statussymbolen! Also mir ist diese Langsamkeit gerade recht, mir ist eigentlich egal, wenn sie hinter mir am Ausflippen sind, ich kann meinen Stiefel fahren, bei längeren Strecken fahre ich einfach früher los." (Hartmut Schmidt)
"Wolfgang Niedecken fuhr jahrelang Kasten-Ente. Und mit Freundin, Gitarre und Camping-Ausrüstung muss der auch ein paar Mal Richtung Griechenland gefahren sein und hat unterwegs Songs für BAP komponiert und sich Verse einfallen lassen." (Dieter Bootz)
Ich kam zehn Jahre zu spät, war noch grün hinter den Ohren, als ich im Mai '68 vom Aufruhr an der Pariser Sorbonne hörte. Als ich jedoch Jahre später mit stolzgeschwellter Brust den 2CV meines Augensterns fuhr – aus dem Dach staksige Transparentstangen, die Anti-AKW-Fahne im Fahrtwind –, war ich mir sicher: Ohne Ente hätte die Studentenrevolte niemals diese Durchschlagskraft erzielt.
Als Fluchtauto kam die Ente weniger zum Tragen. Weshalb wohl auch die RAF-Kader selten in Enten gesichtet wurden. Die waren nicht von ungefähr eher auf flotte Luxuskarossen festgelegt. – Auch in den frühen 80er-Jahren, in öko- und friedensbewegten Zeiten, war der 2CV das Auto, mit dem wir uns am Aufstellplatz jeder Demo blicken lassen konnten! Bot es doch hinreichend Projektionsfläche für den antikapitalistisch-widerständigen Lebenswandel.
Eine ziemlich verbreitete Entenaufschrift damals: "Polente".© imago / Lindenthaler
Mitte der Siebziger kamen dann eben auch die "Atomkraft-nein-danke"-Sonnen dazu. Damals unbedingtes Muss. Die eine oder andre Rostlaube wurde nur von Aufklebern zusammengehalten.
In den 70er und 80er Jahren fiel der Ente neben dem Kutschieren der Politaktivisten eine weitere Aufgabe zu: Sie fungierte als Karosse für grenzüberschreitende Kurierfahrten im Dienste der Bewusstseinserweiterung. Für Hollandausflüge, wo Haschisch und Marihuana im Coffee-Shop legal zu haben waren.
Die Ente wird bürgerlich
Ich saß auf dem Beifahrersitz; die Holde jagte die Ente souverän über die frisch asphaltierte Bundesstraße. Ich verrenkte mich leicht und konnte mich im Rückspiegel sehn: Nein, so ging das nicht! Nicht mehr. Mit dieser Matte. Bart lang, okay, aber oben drauf: Raspelschnitt! Kurzgeschoren und vom Winder verweht. – Die Ente quitiierte es mit einem kurzen Klagelauthupen.
Die Ente zwischen Kult und Kapitalismus
"Seh ich ja von ferne, der Mann fährt normal Audi A6 und hat früher in Studizeiten mal eine Ente gehabt, und jetzt ist er in Lohn und Brot, gute Position, hah, es muss noch mal rappeln, es muss noch mal knallen. Wenn Samstag ist. Am besten mit Fehlzündung." (Rainer Kindle)
"Ich bin selbst auch schon angesprochen worden, ob ich meine Ente nicht verkaufen möchte, weil sie ist neu lackiert in so einem quietschigen Grün, fällt halt auf, aber ich verneine immer und sage: Ich geb die nie her." (Hartmut Schmidt)
"Unterste Grenze war, glaub ich, 4.900 Mark. Und der letzte Preis, wo ich mich erinnere, war knapp 10.200, damit kommt man heute in Euro schon nicht mehr hin. Da steckt der Teufel im Detail. Das ist richtig, richtig, richtig heftig Arbeit; die Preise werden noch durch die Decke schießen." (Rainer Kindle)
Doppelgeburtstag – 70 Jahre Ente, 50 Jahre 68er-Revolte – Anlass genug, die denkwürdige Frage zu stellen: Quo vadis, Ente, wie sieht deine Zukunft aus?
"Wissen Sie, auf was ich mich freue? Wenn ich mal alt bin, und ich fahr dann mit der Ente auf der Autobahn, dann mach ich lauter dummes Zeug, Schlangenlinie, das Auto so 'n bisschen aufschaukeln, dass es wackelt, und diese selbstfahrenden Autos, die kriegen alle Angst und bremsen ab, und dann gibt's 'n Rückstau von Frankfurt bis Hamburg." (Entenschrauber Markus Kestner).
Ulrich Land (*1956 in Köln) ist Schriftsteller, Journalist und Hörspielautor. Näheres unter
www.ulrichland.de.