Verwendete Literatur:
Jakob Augstein: Die Tage des Gärtners. Vom Glück im Freien zu sein. Carl Hanser Verlag 2012
Horst Bredekamp: Leibniz und die Revolution der Gartenkunst. Herrenhausen, Versailles und die Philosophie der Blätter. Wagenbach Verlag 2012
Karl Čapek: Das Jahr des Gärtners. Aus dem Tschechischen von Marcela Euler. Schöffling & Co. 2010
Pierre David, Martine Willemin, Gilles Mermet: Der Küchengarten des Königs. Dumont Buchverlag 2011
Eva Demski: Gartengeschichten. Insel Verlag 2009
Karl Foerster: Ferien vom Ach. Lebensbetrachtungen eines weisen Gärtners. Ulmer Verlag 2010
Eva Foerster und Gerhard Rostin (Hrsg.): Garten der Erinnerung. Leben und Wirken von Karl Foerster – dem großen Garten-Poeten und Staudenzüchter. Ulmer Verlag 2009
Robert Harrison: Gärten. Ein Versuch über das Wesen des Menschen. Carl Hanser Verlag 2010
Carsten Mehliß: Karl Foerster. Seine Blumen, seine Gärten. Ulmer Verlag 2012
Nomadisch Grün (Hrsg.): Prinzessinnengarten. Anders gärtnern in der Stadt. Dumont Buchverlag 2012
Die Welt im Kleinen retten
Seit einigen Jahren sprechen viele von einer Renaissance des Gartens. Gartenbücher erreichen hohe Auflagen. Eine neue Generation strebt in Schrebergärten und baut vergessene Obstsorten an. Urban- und Guerilla-Gärtner beackern Brachen in Städten. Die neue Bewegung ist allerdings nichts wirklich revolutionär Neues: Gartenarbeit und Gartenkultur haben im letzten Jahrhundert mehrfach eine Renaissance erlebt.
"Der Garten ist nie fertig. In dieser Hinsicht ähnelt er der menschlichen Welt und jeglicher Tätigkeit. Niemand solle denken, dass Gartenarbeit eine bukolische und meditative Tätigkeit sei. Es ist eine unstillbare Leidenschaft, wie alles, was ein gründlicher Mensch anpackt.
Man kann tun, was man will, keine Revolution beschleunigt die Keimzeit und lässt vor dem Mai den Flieder blühen. Kein Eifer, kein Größenwahn, keine Reformen, keine Eitelkeit oder Flüche helfen da weiter. Der Keimling sprießt dann, wenn die Zeit gekommen ist. An dieser Stelle begreifst du demütig die Ohnmacht des Menschen. Es bleibt dir auch nichts anderes übrig."
In den Zwanziger-Jahren des vergangenen Jahrhunderts pachtete sich Karl Čapek ein kleines Stück Land am Stadtrand von Prag und baute ein paar Blumenstauden und Zwiebelpflanzen darauf an. Der Schriftsteller galt als einer der großen europäischen Intellektuellen. In Romanen und Theaterstücken hatte er aus dem Tschechischen eigenhändig eine Weltliteratursprache gemacht. Er hatte etwa das Wort "Roboter" erfunden, das bald einen Siegeszug durch die ganze Welt erfuhr.
Das Gärtnern aber sollte Čapeks größte Leidenschaft werden. Sein komisches und doch todernstes Büchlein "Das Jahr des Gärtners" aus dem Jahr 1929 ist bis heute eines der meistgelesenen Gartenbücher. "Das Jahr des Gärtners" ist ein Bekenntnis zu einer lebensverändernden Obsession. Es berichtet davon, dass man die wahre Einstellung zur Welt nur durch die geduldige Kultivierung eines Stückchens Erdboden erlangen kann. Seinen Garten zu bestellen – mitsamt den Rückschlägen, Enttäuschungen und Überraschungen – ist für Čapek praktizierte Lebensphilosophie.
Renaissance des Gartens
Seit einigen Jahren sprechen viele von einer Renaissance des Gartens. Landzeitschriften und Gartenbücher bestimmen den Markt. In den Vorgärten, wo früher eine Thuja-Hecke genügte, sind heute Landschaftsarchitekten am Werk.
Eine neue Generation strebt in alte Schreber-Parzellen und baut die vergessenen Obstsorten ihrer Großeltern an. Urban- und Guerilla-Gärtner ringen verlassenen Brachflächen in den Städten ein Stück Wildnis oder wenigstens etwas ökologisch einwandfreies Gemüse ab.
Doch wie neu ist das, was da gerade von einer neuen Generation entdeckt wird? Und was drückt sich in dieser kollektiven Beschäftigung aus? Das gängige Vorurteil erkennt darin vor allem ein neobürgerliches Rückzugsbedürfnis, das Ergebnis einer Flucht vor dem Leben, das immer schneller, virtueller und unsicherer wird. Oft wird dem Gärtner nachgesagt, der Welt den Rücken zuzudrehen.
Historisch gesehen ist das Garten-Revival der vergangenen Jahre alles andere als ein neues Phänomen. Ob in der italienischen Renaissance, im französischen Barock oder der englischen Romantik – die abendländische Kultur hat den Garten in großer Regelmäßigkeit wiederentdeckt. Als Ort, der die Fantasie von Schriftstellern und Philosophen fesselte. Als auf Jahrzehnte geplantes Gesamtkunstwerk oder als private, spirituell aufgeladene Therapieform.
Gärten erlebten in Europa immer dann eine Renaissance, wenn die letzten Kriege in Vergessenheit gerieten und sich am Horizont eine neue Epoche abzeichnete. Gärten haben immer dann Konjunktur, wenn ein Zeitenwandel Hand in Hand mit Wohlstand geht. Wenn die großen Utopien an ihre Grenzen geraten oder zu zerbrechen drohen, versuchen wir, die Welt im Kleinen zu retten.
Die Natur des Gärtners ist es, ein Stück Erde dazu zu bringen, was es von alleine nicht täte. In Karl Čapeks "Das Jahr des Gärtners" wird deutlich, dass der Gärtner kein Mensch ist, der sich nicht mehr für die Welt interessiert. Im Gegenteil. Sein Projekt ist es, eine neue, kleine Welt innerhalb der Welt zu schaffen, und dabei beginnt er eben mit dem Land, das ihm zu Füßen liegt.
Der Garten ist alles andere als ein Stückchen politikfreie Erde. Für Čapek verkörpert der Gärtner den idealen Menschentypus – den Menschen, der von Sorge für seine Umwelt bestimmt ist, den Menschen, dem wir unsere Zukunft anvertrauen müssen.
Der Garten als Ausdruck der Naturbeherrschung
Der wohl berühmteste Garten der Geschichte liegt in einem kleinen Vorort von Paris. Wer ihn zum ersten Mal betritt, wird von seiner Schönheit schier erschlagen. Alleen und Kanäle verlieren sich strahlenförmig am Horizont. Blumenteppiche, Brunnen, Wasserspiele, Pavillons, Arkaden, Bosketten, Skulpturen-Kolonnaden, Labyrinthe und lauschige Haine laden zum Flanieren ein.
Ein Blumen- und Pflanzenphantasma in streng geometrischen Formen, das auch noch 350 Jahre nach seiner Entstehung Hunderttausende Besucher im Jahr staunen lässt. Die Rede ist natürlich von Versailles, dem Kontroll- und Schönheitsfantasie gewordenen Stück Erde des Sonnenkönigs Ludwig XIV.
Dass der zwischen 1662 und 1689 von André le Notre erschaffene Garten von Versailles heute noch so fasziniert, ist auch Zeugnis der unvorstellbaren Wirkung, die die scheinbar komplette menschliche Beherrschung der Natur ausübt. Alles an diesem absolutistischen Garten erinnert an seinen einstigen Besitzer. Aber oft wird vergessen, dass dieser Garten auch eine Reaktion auf das Chaos der Zeiten war – auf die blutigen Kriege, die Seuchen und Naturkatastrophen, die das damalige Europa erschütterten.
Für die englischen Gartentheoretiker des 19. Jahrhunderts war Versailles das Hassobjekt schlechthin, weil es gegen ihr Dogma der natürlich wirkenden, geschwungenen Gartengestaltung verstieß.
Der Berliner Kunsthistoriker Horst Bredekamp setzt sich schon seit Langem mit der Gartengeschichte auseinander. Sein besonderes Augenmerk gilt dem epochalen Kulturkonflikt zwischen dem Barockgarten und dem englischen Landschaftsgarten:
"In größerem Rahmen habe ich versucht, den geometrischen Garten, der üblicher Weise Barockgarten genannt wird, zu retten. Zu retten gegenüber einer linearen Gartengeschichte, die eine klare Abfolge bisher kannte. In groben Zügen zumindest. Und dagegen habe ich zu sagen versucht, dass der Barockgarten, in der Ausprägung von Versailles, eine Alternative hin zur Moderne darstellt, weil man all das, was man ihm zugeschrieben hat – eine höfische Weltsicht, die vom Zentrum aus in unendlichen Linien die gesamte Welt zu beherrschen versteht – auch umkehren kann. Derjenige, der im Zentrum steht, das ist zum Teil richtig, aber auch nicht ganz, wird auch selber observiert. Das heißt bereits im Barockgarten gibt es eine Gegenbewegung, die den Herrscher auch unter Kontrolle setzt."
Den schönsten Teil des Versailler Garten ließen die englischen Gartentheoretiker ohnehin außer Acht. Er hätte nicht in ihr Konzept gepasst. Südlich des Schlosses liegt der potager de roi, der Gemüse- oder der Küchengarten des Königs. 1678 wurde er auf Wunsch Ludwig XIV von Jean-Baptiste de la Quintinie angelegt.
Der Küchengarten des Königs, bis heute bewirtschaftet, produziert bis zu 50 Tonnen Obst und 30 Tonnen Gemüse pro Jahr. Auch im tiefsten Winter zog La Quintinie mithilfe eines hitzefördernden Systems aus Mistbeeten und Glasglocken Spargel, Erbsen und Erdbeeren für den Sonnenkönig. Zitronen, Limonen und Orangen wuchsen in der angeschlossenen Orangerie. Unglaubliche 195 Apfelsorten, 131 Birnensorten, 42 Pfirsich- und Nektarinensorten, 16 Pflaumen- und sieben Quittensorten waren im Küchengarten versammelt.
Den Obstbäumen kam in diesem Theater paradiesischer Natur eine besondere Rolle zu. La Quintinie zog die Bäume an Spalieren. Ihre Fächer-, Korkenzieher-, Doppelkreuz- und Palmettenformen dienten nicht nur dem Auge, sondern brachten Ästhetik und erzeugerischen Nutzen in einen nie dagewesenen Einklang. Die Spaliere führen die Bäume an Schutzmauern entlang, die die Sonnenenergie des Tages speichern und nachts an die Pflanzen weitergeben. Das führt nicht nur zu schnelleren Blüh- und Reifezeiten, sondern minimiert auch die Frostschäden, die früh blühende, empfindliche Bäume wie Aprikosen häufig erleiden.
Nutzen und Lust in Einklang bringen
Der potager de roi bringt seine üppige Ernte ein, weil er auf geometrischen Rastern beruht. Erst in der Mathematik repräsentiert sich hier Natürlichkeit. Erst in der Geometrie kann sich die Unendlichkeit der Schöpfung entfalten. Ordnung und Freiheit gingen Hand in Hand in einer Welt, die von Chaos bestimmt war.
Horst Bredekamp: "Auch im Nutzgarten, auch und gerade im Nutzgarten gibt es im Bezug auf das exotische Moment ein spielerisches Verhalten oder ein Wunschdenken, das natürlich den Nutzen mit dem Vergnügen, mit der Lust an der Naturform verbindet, und dadurch ein irdisches Paradies, gerade auch im Bereich des Nutzen einzuführen versucht, und damit Nutzen und Lust in Einklang zu bringen versucht. Beide Teile fügen sich zusammen in der Vorstellung, dass es einmal gelingt, in einem ausgegrenzten Raum eine Rückkehr in das Paradies zu ermöglichen. Und dem Punkt ist der Garten Fluchtpunkt und Utopie zugleich."
Der Grundriss des Versailler Küchengartens hat sich seit Jean-Baptiste de la Quintinie kaum verändert. Er starb 1688, nur fünf Jahre, nachdem er seinen Garten vollendet hatte. Viele seiner Spalierbäume sollten erst 15 Jahre später zu ihrer endgültigen Form finden. Sein Garten steht bis heute für das utopische Projekt, sich auch unter unwirtlichen Bedingungen den Herausforderungen des Lebens zu stellen und es nicht für sich selbst, sondern für die Nachwelt zu verbessern.
Springen wir 200 Jahre weiter – in die Zeit, als der Gewährsmann dieser Sendung, Karl Čapek, lebte, schrieb und leidenschaftlich seinen Garten am Prager Stadtrand pflegte.
Er war nicht der einzige. Das späte 19. und das frühe 20. Jahrhundert erlebten eine wahre Gartenrevolution. Lange waren Gärten ein Luxusgut gewesen. Europas wachsender Wohlstand sorgte dafür, dass sie nun auch das Kleinbürgertum entdecken konnte. Sozialreformerische, grüne Ideen bestimmten städtebauliche Projekte wie Ebenezer Howards Gartenstadt von 1898 oder Leberecht Migges soziale "Stadtland"-Gärten.
Das Bedürfnis im Garten "zu wohnen" setzte sich durch. 1869 wurde in der Nähe von Leipzig der erste deutsche Kleingartenverein gegründet. Er umfasste etwa 100 Parzellen. Zu Ehren des bekannten Arztes Moritz Schreber wurden diese Parzellen Schrebergärten genannt. 20 Jahre später gab es alleine in Leipzig 14 weitere Schrebervereine.
Vielerorts in Europa wurden ähnliche Anlagen ausgewiesen.Der Garten, als Nutzgarten und naturnahe Erweiterung des Wohnraums, wurde zum Emblem der Zeit.
Karl Foerster, Potsdamer Lebensphilosoph und Staudenzüchter
In Deutschland wurde diese Entwicklung maßgeblich von einem Gärtner mitbestimmt, der trotz seines enormen Einflusses lange in Vergessenheit geraten war. Die schöpferische Pionierarbeit von Karl Foerster, Potsdamer Staudenzüchter, Lebensphilosoph und Bestsellerautor, hat bis heute Spuren in unseren Gärten hinterlassen. Carsten Mehliss, Gartengestalter, Buchautor und Biograf Karl Foersters, macht deutlich, wie groß Foersters Bedeutung für die deutsche Gartengestaltung ist.
"Gemeinhin wird er ja immer vorwiegend als Staudenzüchter wahrgenommen. Dort liegt sicherlich auch der größte Einfluss von ihm. Aber er hat eben über seine Bücher auch sehr stark Einfluss auf die Gartengestaltung genommen. Der Großteil der bekannten Gartengestalter in Deutschland – wie Hertha Hammerbacher oder Hermann Matern zum Beispiel – sind alle aus diesem Einflussbereich von Foerster herausgegangen. Da sie eigentlich als junge Leute bei Foerster gearbeitet haben, hat er sie natürlich auch sehr stark mit seinen Vorstellungen geprägt.
Natürlich haben sie sich davon emanzipiert und es gibt dann sicherlich immer auch kleinere Unterschiede von der Wahrnehmung her. Aber das wesentliche Grundkonzept ist eigentlich doch gleichgeblieben."
Die Ursprünge von Foersters Gartenideen lassen sich bis in die deutsche Klassik zurückverfolgen. 1874 wurde er als Sohn des Astronomen Wilhelm Julius Foerster geboren. Seine Kindheit atmete den Geist des deutschen Humanismus.
Wilhelm Foerster, Direktor der Berliner Sternwarte, war Mitbegründer der "Gesellschaft für ethische Kultur" und beriet Alexander von Humboldt in astronomischen Fragen. 1903, nach einer Ausbildung in Schlossgärten in Schwerin, Meiningen und Italien, gründete Foerster seine eigene Gärtnerei in Potsdam-Bornim. Sein Haus und seine legendären Versuchsgärten stehen heute unter Denkmalschutz. Foersters Senkgarten, seine Stein- und Wildnisgärten, sein Frühlingsweg und seine Gräserecke beeindrucken Besucher zu jeder Jahreszeit. Zugleich sind sie eine tiefe Verbeugung vor der Gartenkunst Englands und Japans.
Aus heutiger Sicht überrascht die Kontinuität des Schaffens von Karl Foerster. Er wuchs in der preußischen Kaiserzeit auf. Nach dem Ersten Weltkrieg prägte er die Lebenswelt der Weimarer Republik. Seine Gärtnerei bepflanzte Wohngärten und Parks in ganz Deutschland. Seine Bücher "Vom Blütengarten der Zukunft" und "Der Garten als Zauberschlüssel" waren Bestseller. Unter seiner Mitherausgeberschaft entwickelte sich die Zeitschrift "Gartenschönheit" zu einem der populärsten Magazine des Landes.
Aber auch im Dritten Reich gärtnerte Foerster weiter. 1940 trat er in die NSDAP ein. Sein politisches Leben spielte sich, wie für die meisten Deutschen, in einer Grauzone ab. In einem privaten Brief von 1943 kommt diese Haltung am besten zum Ausdruck:
"Wir sind alle mitschuldig durch unsere bequeme Gotteszuversicht. Wir 'Stillen im Lande' hätten glühend wach in die Radspeichen eingreifen müssen. Jetzt gehören wir zu den Trägern des stellvertretenden Leidens. Aber nicht einmal durch ein Signal wie das Buch 'Mein Kampf' sind wir geweckt worden."
Während des Zweiten Weltkriegs sorgte Foerster dafür, dass von seinen wichtigsten Züchtungen einzelne Mutterpflanzen erhalten blieben. Auch als die sowjetische Militärverwaltung seine Gärtnerei 1945 beschlagnahmte, arrangierte er sich. Foerster schickte einen Bericht über sein züchterisches Lebenswerk an die Moskauer Akademie der Wissenschaften. Daraufhin bestellte der Botanische Garten in Moskau mehrere größere Pflanzenlieferungen in Bornim.
In der DDR wurde seiner Gärtnerei eine Sonderstellung zugewiesen. Sie durfte ihre Stauden weiterhin in die ganze Welt exportieren. Bis 1970, als er im Alter von 96 Jahren starb, ging Foerster täglich seiner gärtnerischen Arbeit nach.
Der Garten als Sinnzentrum
Vielleicht war Foersters spirituelle, von der Tätigkeit des Gärtners geformte Weltsicht für sein hohes Alter verantwortlich. Seine emphatischen, das Pathos nicht scheuenden Bücher feiern den Garten nicht nur als Lebens-, sondern auch als Sinnzentrum.
Für den Pantheisten Foerster waren Natur, Gott und Geist gleichbedeutend. In seiner lebenslangen Auseinandersetzung mit der Kultivierung seines Gartens entwickelte er eine Lebensphilosophie der Zuversicht und Sorge. Wie Karl Čapek war er ein zutiefst menschlicher Gärtner – von Erfahrungen der Macht- und Hilflosigkeit geprägt, aber trotzdem vom Impuls erfüllt, zu handeln, zu befähigen, zu pflegen und zu fördern.
Er glaubte daran, dass der Mensch sich am Anfang eines Prozesses befindet, der trotz Kriege und Zerstörung in eine heilvolle Zukunft mündet. Für den politisch stillen Foerster wird der Garten dabei zu einem Politikum ersten Rangs.
"Schon die letzten Jahrzehnte haben, allem Sturm der Zeitläufte zum Trotz, unsere Gärten um ungeahnte Schätze aus allen Weltgegenden bereichert. Der tiefste Frohsinn unserer Beziehung zu dem neuen Schönheitsreichtum der Gärten, der sich erst unserem Zeitalter erschloss, nimmt auch schon innersten Anteil an dem Glück der Menschen, die nach uns kommen, an den Aufgaben und Zuständen der Zukunft. Was erst mag im kommenden Jahrhundert dem Garten, was erst dem künftigen Menschen beschieden sein."
Die Entwicklung, die der Garten im kommenden Jahrhundert tatsächlich nehmen sollte, hätte sich Karl Foerster nie träumen lassen. Gemeinschaften junger, wilder Gärtner erobern sich heute mit Hilfe von Nachbarn und Freunden unwirtliche Brachflächen in den Großstädten und bauen lokal und ökologisch Obst, Gemüse, Gewürzkräuter und Blumen an. Dafür verwenden sie alles, was in der Industriegesellschaft ausgedient hat: Umgebaute Überseecontainer dienen als Lagerräume. Aus Europaletten und Frischhaltefolie werden Gewächshäuser gebaut. Lebensmittelkisten, Reissäcke und Milchkartons werden als Pflanzbehälter benutzt.
Urban gardening wird diese Bewegung oft genannt. In unterschiedlichen Ausprägungen lässt sie sich von Havanna bis nach New York und Detroit beobachten, von Stockholm bis nach Bern und Kopenhagen.
Grundsätzliche Fragen – gespiegelt in der Gartenarbeit
In Deutschland bildet der Prinzessinnengarten in Berlin-Kreuzberg die Speerspitze dieser Bewegung. Das viel beachtete Gemeinschaftsprojekt wurde 2009 von Marco Clausen und Robert Shaw gegründet. Beide Männer waren selbsterklärte Gartendilettanten mit der Bereitschaft, etwas über den Anbau von Pflanzen zu lernen und mit anderen Berlinern auf unkonventionelle Weise zusammenzuarbeiten.
Heute ist der Prinzessinnengarten mit seinem Café, Vorträgen, Workshops und Führungen zum Zentrum der Nachbarschaft um den Kreuzberger Moritzplatz geworden, einem der Berliner Wohngebiete mit der höchsten Arbeitslosigkeit und der größten Kinderarmut. Jede Saison machen sich hier Tausende Helfer die Hände schmutzig, säen Gemüse aus, pflegen und ernten es. Und überall in Deutschland hat das Konzept des Prinzessinnengartens Nachahmer gefunden.
Vielleicht sind Gärten wie der Prinzessinnengarten so erfolgreich, weil sie unaufdringlich eine der drängendsten Fragen unserer Zeit aufwerfen: Wie wir in Zukunft in unseren Städten leben wollen. Expliziter als die meisten ihrer historischen Vorgänger sind sie Vehikel politischer Prozesse. Die gelebte Erfahrung des Gärtnerns bringt hier automatisch Themen wie Biodiversität, Recycling, Umweltgerechtigkeit und Ernährungssouveränität in den Blick.
Marco Clausen, Mitbegründer des Prinzessinnengartens, sieht darin die eigentliche Aufgabe des Projekts:
"Also Nahrungsmittelsouveränität ist eine globale Herausforderung, der wir uns stellen müssen, auch in den Städten, weil die Städte nun mal die Orte sind, wo am meisten Ressourcen konsumiert werden. Dasselbe gilt für Biodiversität, also die biologische Vielfalt und vor allen Dingen unser Erbe an Nutzpflanzen, das unter veränderten Umweltbedingungen – Stichwort: Klimawandel – eine sehr wichtige Rolle spielen wird.
Oder die Endlichkeit von Ressourcen, von denen unser Leben abhängt, wie halt fruchtbare Böden. Urbane Gärten werden diese Probleme nicht lösen, aber ich glaube, sie sind wichtige Orte, um sie sichtbar zu machen und einen sehr praktischen Zugang dazu geben."
Der Hauptfokus des Prinzessinnengartens liegt auf der Düngemittel- und Pestizidfreien Kultivierung von Nutzpflanzensorten, die von der heutigen industriellen Landwirtschaft nicht mehr angebaut werden. Altertümlich aussehende Tomaten findet man hier, Kartoffeln in allen Größen und Farben, verschiedene Bohnen-, Erbsen- und Zucchinisorten, Sauerampfer, Minze und Pimpinelle.
Alternativen zur Konsummentalität
Für viele der Mitmachenden reicht das Gärtnern über die Freude, etwas Selbstangebautes aus der Erde zu ziehen, weit hinaus. Vielmehr finden sie hier eine Alternative zur alles bestimmenden Konsummentalität unserer Tage. Erst wer selbst zur Gießkanne greift, erkennt, welcher ökologische Aufwand nötig ist, um saisonales Gemüse ganzjährig in genormten, glatten Formen anzubieten, versteht, wie viele Pestizide, wie viel Erdöl, wie viel Treibhausgase nötig sind, um unseren Lebensmittelkonsum zu befriedigen.
"Also, es ist ja oft die Rede davon, dass in diesen Gärten andere Gesellschaftsentwürfe ausprobiert werden. Das ist insofern nicht utopisch, weil soweit ich es in Erinnerung habe, ist der U-Topos der Nicht-Ort, den es nicht gibt. In den Gärten, über die wir reden, sind das ja Orte, die es gibt und sie sind physisch da und sie erlauben, dass man schon mal etwas macht. Und das ist, glaube ich, die Stärke dieser Orte. Und das, was man da macht, hat schon was mit den Umbrüchen in dieser Welt zu tun. Mit all den Krisen, denen wir hinterherlaufen, die laufend ihren Namen ändern. Was sich ja auch auswirkt auf unser Weltverhältnis und unser Bedürfnis vielleicht auch, Alternativen zu entdecken.
Weil wir uns ja eigentlich laufend Prozessen ausgesetzt sehen, die größer sind als wir selber, die wir nicht mehr beeinflussen können, die wahnsinnig komplex sind, wo es dann immer heißt, dort herrschen Sachzwänge und es gibt keine Entscheidungsalternativen. Und gerade im Bereich Lebensmittel ist es halt sehr existenziell, glaube ich, von so komplexen Systemen abhängig zu sein, bei denen man das Gefühl hat, sie tun weder uns selber, noch unserem Zusammenleben, noch unserem Planeten gut. "
Nicht nur der Prinzessinnengarten, sondern auch der Versailler Küchengarten und Karl Foersters Bornimer Versuchsgärten waren Gemeinschaftsgärten. Auch sie wurden nur wenige Jahre nach ihrem Entstehen für Besucher freigegeben, auch sie entstanden durch die gemeinsame Anstrengung von Menschen, die an die sinnstiftende, die utopische Kraft des Gärtnerns glaubten.
Gärten sind keine natürlichen Orte, sie sind künstlich. Sie sind keine Idyllen, sondern Refugien der Arbeit. Sie sind eine Zone des Übergangs, in denen die menschliche und die natürliche Ordnung für gewisse Zeit zusammenkommen. Der Gärtner stemmt sich immer auch gegen die Unordnung der Welt, gegen ihre natürliche Auflösung, ihren Zerfall.
Menschen, meint der amerikanische Kulturwissenschaftler Robert Harrison in seinem Buch "Gärten", seien nicht dazu geschaffen, auf das Wüten, den Tod und das endlose Leiden ihrer Geschichte zu blicken. Gärten haben uns immer Zuflucht vor dem Tumult der Zeiten geboten. Eben weil wir in die Geschichte geworfen sind, so Harrisons These, müssen wir unsere Gärten kultivieren. Sie geben uns die Möglichkeit, unsere Hoffnung auf eine größere, bessere Ordnung wenigstens auf kleinem Raum zu realisieren.
Nicht nur für unseren Gewährsmann Karl Čapek sind sie der beste Beweis dafür, dass die Menschheit nicht ohne Grund auf der Erde ist, und dass wir besser daran täten, unser Schicksal und unsere Zukunft dem Gärtner anzuvertrauen.
"Wir Gärtner leben gewissermaßen für die Zukunft. Wenn die Rosen blühen, denken wir daran, dass sie im nächsten Jahr noch schöner blühen werden. In zehn Jahren wird aus dieser kleinen Tanne ein richtiger Baum werden – hoffentlich habe ich die zehn Jahre schnell hinter mir! Jedes weitere Jahr bedeutet mehr Wuchs, mehr Schönheit. Das Eigentliche, das Beste liegt noch vor uns."