Anthony Burgess: Clockwork Orange. Die Urfassung
Herausgegeben und mit einem Nachwort und Anmerkungen versehen von Andrew Biswell
Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2013
346 Seiten, 21,95 Euro
Gehirnwäsche und Gewaltexzesse
Durch Stanley Kubricks Verfilmung wurde "Clockwork Orange" zum Mythos. Anthony Burgess' sprachlich faszinierender Roman ist nun in einer aktualisierten "Urfassung" neu übersetzt und aufgelegt worden.
Vor allem verstörte Reaktionen erntete der englische Autor Anthony Burgess, als er 1962 seinen Roman "Clockwork Orange" veröffentlichte. Zu eigenwillig schien der in einer fernen, nicht mehr vom Kalten Krieg bestimmten Zukunft angesiedelte Plot und zu aberwitzig die Idee, für die Protagonisten eine auf dem Russischen und auf britischem Slang der Zeit basierende Jugendsprache, den Nasdat, zu erfinden. Durch Stanley Kubricks Verfilmung aus dem Jahr 1971 wurde "Clockwork Orange" dennoch zu einem legendenumwobenen Mythos, auch bei denjenigen, die nie einen Blick in die Vorlage warfen.
Die nun bei Klett-Cotta erschienene "Urfassung", die durch Begleittexte, darunter Interviews und Rezensionen des Autors ergänzt ist, bietet eine vorzügliche Möglichkeit, die Aktualität dieses vor allem um Gewalt kreisenden Romans zu überprüfen. Natürlich sind seit Erscheinen des Buches in allen Kunstformen derart viele Exzesse von Gewalt beschrieben worden, dass Burgess' Geschichte einer sich um den in Beethovens Musik vernarrten Erzähler Alex scharenden Jugendgang viel von seiner schockierenden Wirkung verloren hat. Und dennoch: Wie sich Alex und seine Freunde an Drogen berauschen, wahllos Schlägereien anzetteln und sich über Frauen hermachen, ist eine Ansammlung sinnlos brutaler Szenen, die mitunter wie ein Vorgriff darauf wirkt, was sich in heutigen Gesellschaften abspielt.
Moralphilosophisches Räsonieren
Heikler wird es, wenn sich "Clockwork Orange" – nachdem Alex von seinen Freunden verraten und zu einer langen Haftstrafe verurteilt wird – im Fortgang zu einem quasi moralphilosophischen Roman entwickelt. Das Räsonieren darüber, ob ein Mensch, dem nach einer Gehirnwäsche die Lust an Gewalt, am Bösen, ausgetrieben wurde und der somit nicht mehr über Willensfreiheit verfügt, noch ein Mensch ist, überzieht das Buch mit einer nicht wegzuwischende Patina. Das viel diskutierte, Alex' Läuterung andeutende 21. Kapitel, das in der amerikanischen Fassung fehlte, trägt überdies dazu bei, dass der Roman an Sprengkraft verliert.
Nichts verloren von seiner Faszination hat "Clockwork Orange" dort, wo die Sprache selbst ins Zentrum rückt. Ulrich Blumenbach, der unter anderem als Übersetzer von David Foster Wallace hervorgetreten ist, hat sich – nach den Arbeiten seiner Vorgänger Walter Brumm und Wolfgang Krege – daran gemacht, Burgess' Nasdat-Kunstsprache in ein adäquates, zeitgenössisches Deutsch zu bringen, das den historischen Hintergrund und den rasanten Wechsel der Sprachregister berücksichtigt.
Großartige Neuübersetzung
Das ist Blumenbach großartig geglückt. Selbst wenn man nicht zum (nützlichen) Glossar greift, wo Nadsat-Begriffe wie "bugattig" (reich), "Droog" (Freund) oder "horrorshow" (gut) erläutert werden, ist es ein Genuss, sich auf Satzperioden wie "Ich mach schlimme Sachen, bin am Krasten und Tolschocken und Schlitzen mit der Britwa und gönn mir gelegentlich ein Rein-raus-rein-raus" einzulassen und sich das Gemeinte nach Lust und Laune zusammenzureimen. Da strahlt "Clockwork Orange" kräftiger denn je.