National-konservative Kehrtwende in Russland
Nicht nur die Ermittlungen gegen Russlands Star-Regisseur Kirill Serebrennikow zeigen den Wandel der Kulturpolitik in eine noch konservativere Richtung. Für Diskussionen sorgt auch der Film "Matilda" über Russlands letztem Zaren Nikolaus II. und seiner Affäre mit einer Tänzerin.
Im Interview mit dem Internetsender Doschd gibt sich Kulturminister Wladimir Medinskij unschuldig. Beobachter sehen ihn als eine der treibenden Kräfte hinter dem Verfahren gegen Serebrennikow.
"Glauben Sie etwa, mir gefällt, dass sich alles um das Kulturministerium dreht? Unsere Mitarbeiter werden dauernd zu Befragungen gerufen, müssen Aussagen machen. Daran haben wir wenig Interesse."
Das Gogol-Zentrum wird vom Kulturministerium finanziert. Er könne auch keine besondere Härte gegenüber Serebrennikow erkennen, so Medinskij:
"Mit dem Hausarrest wurde die humanste aller Maßnahmen ausgewählt, angesichts der ernstzunehmenden Vorwürfe gegen ihn."
Die Anklage wirft Serebrennikow unter anderem vor, Fördergelder für die Inszenierung von Shakespeares "Sommernachtstraum" unterschlagen zu haben. Das Stück, so heisst der Vorwurf, sei nicht aufgeführt worden. Absurd, der "Sommernachtstraum" wurde mehrfach gespielt, auch Rezensionen belegen das. Absurde Anklagen und Gerichtsurteile gibt es immer öfter. Bisher allerdings vor allem in politischen Prozessen. Auf der Krim wurde gerade ein Mann von russischen Richtern zu mehreren Jahren Haft verurteilt, weil er angeblich Massenproteste organisiert hatte – zu einer Zeit, als die Krim auch nach russischer Rechtssprechung noch ukrainisch war. Die russischen Gerichte waren und sind nicht zuständig.
Medwedew forderte Innovationen in der Kultur
Auf den Fall von Serebrennikow angesprochen sagte Präsident Putin vor wenigen Wochen:
"Die Rechtsorgane kontrollieren die Verwendung öffentlicher Mittel ständig, in der Kultur ebenso wie in anderen Bereichen. Sollen wir Leute freilassen, nur weil sie für Kultur zuständig sind?"
Die Kultur gerate zur Zeit besonders ins Visier der Justiz, sagt die bekannte russische Theaterkritikerin Marina Dawydowa der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Es gehe darum, Menschen einzuschüchtern.
Bevor Putin 2012 zum dritten Mal Präsident wurde, herrschte noch ein anderer Ton. Der jetzige Premierminister Dmitrij Medwedew war damals eine Legislaturperiode lang Präsident. Er forderte Innovationen in der Kultur. Zum Beispiel in seiner Rede zur Lage der Nation 2009.
"Der Staat muss die Traditionen, das reiche klassische Erbe unserer Kultur bewahren und sich zugleich um die kümmern, die neue Wege im künstlerischen Schaffen suchen. Denn was heute Klassik genannt wird, entstand teils entgegen dem Kanon, indem man gewohnte Formen ablehnte und mit der Tradition brach."
Den Worten folgten Taten – vor allem in Moskau. Aus der Zeit stammt das nun in Verruf geratene Gogol-Zentrum mit Serebrennikow an der Spitze. Noch bei der Eröffnung 2013 lobte der Kulturdezernent der Stadt Moskau, Sergej Kapkow:
"Das Theater ist zu hundert Prozent ausverkauft. Es hat sein spezielles Publikum mit einer bestimmten Aufgabe: Zeitgenössische Stücke zu zeigen."
Was ist verletzend, was erlaubt?
Zwei Jahre später trat Kapkow als Kulturdezernent zurück. Präsident Putin hatte da bereits eine neue Linie vorgegeben. Zwar müsse man, um junge Leute für die Hochkultur zu begeistern, neue Formate entwickeln, aber:
"Das ist eine Aufgabe für Meister der Kultur. Sie müssen zeitgenössische Werke schaffen und dabei die Werte des Originals bewahren, seine moralisch-sittliche Botschaft, den Reichtum unserer Sprache."
Es gehe dabei keineswegs um Zensur, so Putin – vielmehr müssten die Künstler Verantwortung zeigen.
"Auch im kreativsten Milieu muss es eine Grenze geben zwischen zynischer, verletzender Provokation und einer kreativen Aktion."
Doch diese Grenzen sind bekanntlich äusserst subjektiv. Zur Zeit dominieren nationalistisch-konservative Stimmen die Debatte. Gerade ist in Russland der Film "Krim" angelaufen: Eine staatlich geförderte Liebesschnulze zur völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Halbinsel. In Moskau werden allenthalben patriotische Denkmäler eröffnet, mal für den Waffenerfinder Kalaschnikow, mal für den Massenmörder Stalin.
Lars Eidinger - "ein deutscher Porno-Darsteller"
Und in Russland sorgt der Film "Matilda" für Aufsehen, beziehungsweise die Kampagne dagegen. Der Film erzählt von Russlands letztem Zaren Nikolaus II. und seiner Affäre mit einer Tänzerin. Die Duma-Abgeordnete Natalja Poklonskaja sieht das Ansehen des Zaren beschädigt und begründet das unter anderem damit, dass ein Deutscher, der Schauspieler Lars Eidinger, den Monarchen spielt. Der Film soll in wenigen Wochen anlaufen.
"Das ist ein deutscher Porno-Darsteller, hier ist er in der Rolle eines Faschisten, hier in einem Teller mit Scheiße."
Eidinger hatte sich in einer Inszenierung des "Menschenfeind" an der Berliner Schaubühne eine Wurst in den Po geschoben. Poklonskaja bei einer Sitzung der parlamentarischen Arbeitsgruppe zum Schutz orthodoxer Werte am vergangenen Mittwoch:
"Jeder sucht sich seine Rolle selbst aus. Aber nicht die Rolle eines orthodoxen Heiligen!"
Laut Verfassung ist Russland ein säkularer Staat. Die Ausschusssitzung schloss mit einem gemeinsamen Gebet.